Noch 100 Tage für die Notrettung

Tokios Risiko-Spiele 

Foto: epa/Bernd Thissen
Foto: epa/Bernd Thissen

TOKIO: Olympia in Tokio - das werden Notspiele unter strengen Auflagen. In rund 100 Tagen sollen die Sommerspiele eröffnet werden, doch die Corona-Lage ist weiter bedrohlich. Die Gastgeber investieren viel in die Sicherheit. Noch aber sind viele Fragen offen.

Für die Olympia-Macher von Tokio wird im Kampf um Vertrauen und ein tragfähiges Rettungspaket für die Not-Sommerspiele in Japan die Zeit knapp. 100 Tage bleiben den Organisatoren am Mittwoch noch, ehe im Olympiastadion die Flamme für die umstrittenen Spiele im Zeichen der Pandemie entzündet werden soll. «Wir tun unser Äußerstes für die Maßnahmen gegen das Coronavirus», beteuerte Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga gerade erst wieder. Alfons Hörmann, der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, indes sagte der «Welt am Sonntag»: «Die Spiele unterliegen dem größten Risiko in ihrer jüngeren Geschichte. Alles andere wäre schöngeredet.»

Wie ist die Corona-Lage in Tokio?

Erst Mitte März war ein zweimonatiger Notstand für den Großraum Tokio aufgehoben worden. Seither steigt die Zahl der Neuinfektionen erneut spürbar an. Daher wurden die Maßnahmen für die Hauptstadt wieder verschärft. In der Präfektur Osaka wurde zuletzt sogar der medizinische Notstand erklärt, weil die Krankenhäuser wegen der Ausbreitung ansteckenderer Virusvarianten überfordert waren. Die Impfkampagne verläuft schleppend, nur wenige der 126 Millionen Japaner sind bisher vollständig geimpft.

Wie reagieren die Organisatoren auf die Situation?

«Unsere erste und wichtigste Priorität ist es, eine sichere Umgebung mit Blick auf Covid-19 zu schaffen», beteuerte Organisationschefin Seiko Hashimoto jüngst in einem Gastbeitrag für den US-Sender NBC. Deshalb wird ausländischen Olympia-Fans die Einreise verwehrt, mehr als 600.000 Tickets waren offiziell eigentlich schon an Ausländer verkauft. Auch die Zahl von Helfern, Funktionären und Gästen von Sponsoren und Verbänden aus dem Ausland soll drastisch reduziert werden. Für alle zugelassenen Beteiligten werden bis Juni eine Reihe von Handbüchern erstellt, die bis ins Detail die Verhaltensregeln für Einreise und Aufenthalt festlegen. Ziel ist es, eine Olympia-Blase zu schaffen und Kontakte zu Tokios Bevölkerung zu minimieren.

Kann der olympische Fackellauf wie geplant weitergehen?

Rund 10.000 Läufer sollen die Fackel wie in einer Staffel durch alle 47 Präfekturen tragen, ehe am 23. Juli im Olympiastadion das Feuer entzündet wird. Wegen der Sorge um eine Ausbreitung des Coronavirus sollen die Japaner das Geschehen möglichst nur im Internet verfolgen. An der Strecke darf nur geklatscht, nicht gejubelt werden. Bei größeren Menschenansammlungen droht ein Abbruch der Etappe. Mehrere Prominente sagten ihre Teilnahme ab. Wegen der Notmaßnahmen in Osaka wurde der Abschnitt durch die Region gestrichen, statt durch Osakas Zentrum sollte der Lauf isoliert durch den Expo '70 Commemorative Park in Suita führen. Ein solches Szenario könnte sich in den nächsten Wochen an weiteren Stationen wiederholen.

Wie steht es um die vorgesehenen Testwettkämpfe?

Zum Check der Abläufe und für die Überprüfung der Corona-Maßnahmen haben die Organisatoren für April und Mai noch 18 Testwettbewerbe für Olympia und Paralympics angesetzt. Irritationen gab es aber um die in Tokio geplanten Olympia-Qualifikationen im Wasserspringen, Synchronschwimmen und Freiwasserschwimmen. Nach kurzfristiger Absage sollen die Wettbewerbe nun später stattfinden. Gestrichen wurde auch der geplante Lehrgang der deutschen Slalomkanuten auf dem Olympia-Kanal in Tokio. Die ohnehin knifflige Vorbereitung vieler Athleten wird durch solche Unwägbarkeiten zusätzlich erschwert.

Wie gehen die Sportlerinnen und Sportler mit der Lage um?

Die Mehrzahl der Athleten hofft weiter, dass die Spiele stattfinden können. Schließlich haben sie seit Jahren auf Olympia hintrainiert, teils ihre Lebens- und Karriereplanung auf Tokio abgestimmt. Doch viele haben auch Angst um ihre Gesundheit und kritisieren die anhaltende Unsicherheit. «Auf ihnen lastet enormer Druck», stellte der Verein Athleten Deutschland unlängst in einem Positionspapier fest. Die Nationalen Olympischen Komitees haben fast ausnahmslos ihre Teilnahme für Tokio zugesagt, nur Nordkorea hat bisher verzichtet.

Welche Rolle spielt das Impfen?

Das weltweit sehr unterschiedliche Impftempo gibt Anlass für viele Debatten. So wollen Länder wie Russland, Ungarn, Israel oder Mexiko Sportler bevorzugt impfen, andere Staaten haben das ausgeschlossen. Eine späte Impfung könnte den Formaufbau von Athleten stören. Ohne Impfung reist das Corona-Risiko mit nach Japan - auch bei Betreuern, Helfern und Journalisten. Die vom Internationalen Olympischen Komitee mithilfe von China angebotene Impfung mit einem chinesischen Vakzin ist umstritten und ohnehin in vielen Ländern wegen der fehlenden Zulassung nicht möglich. Weite Teile der japanischen Bevölkerung werden im Juli und August noch ungeschützt sein. Mediziner warnen davor, dass die Spiele im schlimmsten Fall zum Superspreader-Ereignis werden und neue Virusvarianten hervorbringen könnten.

Könnte Olympia noch einmal verschoben werden?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Allein die Verlegung um ein Jahr kostet die Organisatoren wegen zusätzlicher Ausgaben für Mieten, Personal, Ausrüstung und Lagerflächen rund 1,6 Milliarden Euro. Diese Mehrkosten wird Japan kaum noch ein weiteres Mal aufbringen wollen. Auch für die Corona-Maßnahmen sind bereits viele Millionen in die Vorbereitung der Sommerspiele geflossen, die dann wohl verloren wären. Zudem haben Japans Olympia-Macher immer wieder beteuert, mit den Spielen ein Zeichen für den Sieg gegen Corona setzen zu wollen. Dieses Symbol nun ausgerechnet dem politischen Erzrivalen China bei den Winterspielen in Peking im Februar 2022 zu überlassen, wäre für die Japaner ein zusätzlicher Extremschmerz.

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