Zäune gegen den «Angriff» aus Belarus? 

​EU uneins bei Migration

Ein Einwanderer kocht Essen im Lager Lipa in Bihac. Archivfoto: epa/FEHIM DEMIR
Ein Einwanderer kocht Essen im Lager Lipa in Bihac. Archivfoto: epa/FEHIM DEMIR

BRÜSSEL: Immer mehr Migranten kommen über Belarus unerlaubt nach Deutschland und in andere EU-Staaten. Damit steht der ewige Zankapfel der EU wieder im Fokus: die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Handelt die Staatengemeinschaft diesmal gemeinsam?

Angesichts einer zunehmenden illegalen Migration über Belarus ringt die Europäische Union um eine geschlossene Antwort. Einige Staaten wie Österreich und Litauen forderten am Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel, dabei auch auf den Bau von Zäunen an der EU-Außengrenze zu setzen. «Wir brauchen einen starken, robusten Außengrenzschutz», sagte Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg. Ihm zufolge sollten Maßnahmen wie Drohnen und Zäune an den Außengrenzen zumindest zum Teil von der EU finanziert werden. Dies lehnt jedoch unter anderem die EU-Kommission ab.

In der Bewertung des Vorgehens des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko waren sich die Gipfel-Teilnehmer am Freitag jedoch einig. «Der Europäische Rat wird keinen Versuch von Drittländern akzeptieren, Migranten für politische Zwecke zu instrumentalisieren», hieß es im Entwurf der Gipfelerklärung. «Er verurteilt die jüngsten hybriden Angriffe auf die EU-Außengrenzen und wird entsprechend reagieren.» Damit dürfte vor allem der Versuch gemeint sein, die Europäische Union nicht mit Waffen anzugreifen, sondern durch eine Vielzahl an Migranten zu destabilisieren. Weitere Sanktionen gegen Belarus werden bereits vorbereitet. Bundeskanzlerin Angela Merkel warf Lukaschenko beim Gipfel staatlichen Menschenhandel vor.

Der litauische Regierungschef Gitanas Nauseda forderte am Freitag, es brauche dringend Zäune oder andere physische Grenzen, um die «Krise» kurzfristig zu bewältigen. Niemand wisse, was morgen passiere. Vielleicht würden 3000 oder 5000 Migranten zur gleichen Zeit versuchen, die Grenze an verschiedenen Orten zu überwinden.

Litauen grenzt wie Lettland und Polen an Belarus. Die drei Länder haben bereits mit dem Bau von Hunderten Kilometern Grenzzaun begonnen. Die EU wirft Lukaschenko vor, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen und die Staatengemeinschaft so destabilisieren zu wollen.

Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, dass Minsk Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze. Damit steht mal wieder ein Thema im Fokus, bei dem die EU-Staaten schon seit Jahren nicht zueinander finden.

Bereits Anfang Oktober hatten zwölf EU-Staaten wie Österreich, Polen, Ungarn und Dänemark in einem Brief an die EU-Kommission gefordert, auch «physische Barrieren» an den Außengrenzen aus EU-Mitteln zu bezahlen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erteilte dem jedoch eine Absage. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel betonte am Freitag, alle Maßnahmen müssten im Einklang mit Menschenrechten stehen. Die Migranten würden von einigen EU-Ländern nicht angemessen behandelt.

Für Merkel war der Freitag in Brüssel ihr wohl letzter Auftritt auf europäischem Parkett. Falls wie geplant bis Mitte Dezember eine neu Regierung in Berlin steht, reist Olaf Scholz zum nächsten Gipfel.

Am Vorabend hatte Merkel sich mal wieder als Vermittlerin versucht. Im Streit mit Polen um den dortigen Rechtsstaat plädierte sie für «Wege und Möglichkeiten finden, hier wieder zusammenzukommen». Eine stundenlange Diskussion brachte jedoch keine Lösung.

Aus EU-Kreisen hieß es, die Beratungen seien in einer ruhigen Atmosphäre geführt worden. Luxemburgs Bettel stellte am Freitag hingegen fest, er würde sich wünschen, dass nicht bei jedem dritten Gipfel über die «elementarsten Werte» diskutiert werden müsse, «weil der eine oder andere uns das Leben nicht unmöglich, aber sehr schwer macht». Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, die überwältigende Mehrheit habe dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki die klare Botschaft übermittelt, dass man hoch besorgt sei.

Hintergrund des aktuellen Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts in Warschau, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission und etlichen anderen Staaten als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu ignorieren.

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