Kinder nach Flugzeugabsturz im Dschungel gerettet

Wunder im Amazonas 

Militärangehörige laden einen der vier indigenen Geschwister, die nach einem tödlichen Flugzeugabsturz vermisst wurden, auf dem Militärflughafen aus einem Flugzeug aus. Foto: John Vizcaino/Ap/dpa
Militärangehörige laden einen der vier indigenen Geschwister, die nach einem tödlichen Flugzeugabsturz vermisst wurden, auf dem Militärflughafen aus einem Flugzeug aus. Foto: John Vizcaino/Ap/dpa

SOLANO: Kolumbien erlebt das Wunder, auf das die Welt wochenlang gehofft hat: Die vier nach einem Flugzeugabsturz vermissten Kinder, nach denen ein dichtes Regenwaldgebiet durchkämmt wurde, sind endlich gefunden. Sie leben. Nun wartet ihre Familie auf ein baldiges Wiedersehen.

«Milagro» - Wunder, mit diesem Wort melden die Soldaten per Funk den erlösenden Erfolg. Nach wochenlanger intensiver Suche sind die vier im kolumbianischen Regenwald vermissten Kinder lebend gefunden worden. Ein doppeltes Wunder, denn die Geschwister im Alter von 13, 9, 4 Jahren sowie einem Jahr überlebten nicht nur einen Flugzeugabsturz, sondern auch 40 Tage im dichten Dschungel.

Ein Suchtrupp der «Operation Hoffnung» aus Spezialeinsatzkräften des Militärs und Indigenen aus dem Department Putumayo habe die vier Kinder letztlich gefunden, wie der General der Streitkräfte, Pedro Sánchez Suárez, am Samstagmorgen (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz nach Ankunft der Kinder in Bogotá erklärte. Dort sollten sie im Militärkrankenhaus untersucht und versorgt werden.

«Eine Freude für das ganze Land. Die vier Kinder, die seit 40 Tagen im kolumbianischen Regenwald vermisst wurden, sind lebend gefunden worden», schrieb Kolumbiens Präsident Gustavo Petro auf Twitter. Dazu veröffentlichte er ein Foto von Soldaten und Indigenen im Dschungel, die die Kinder mit Wasser versorgten und fütterten.

«Die gemeinsamen Anstrengungen haben diese Freude für Kolumbien ermöglicht», sagte der Kommandeur der Streitkräfte, General Helder Fernan Giraldo Bonilla. Auf Fotos des Militärs waren die Kinder zu sehen, das kleinste auf dem Arm eines Soldaten, die drei anderen auf Plastikplanen auf dem Boden sitzend. Später war in einem Video der Luftfahrtbehörde zu sehen, wie die Kinder in einen Hubschrauber gehoben wurden.

Einen Vermissten gab es jedoch nach der Rettung der Kinder: Der belgische Schäferhund Wilson, der Medienberichten zufolge Fährten aufgespürt und maßgeblich zum Erfolg der Suche beigetragen hatte, war nicht zu den Einsatzkräften zurückkehrt. Die Suche nach Wilson werde fortgesetzt, kündigten die Streitkräfte an.

Mit großer Freude reagierten die Großeltern auf die Entdeckung ihrer Enkel. Narciso Mucutuy und Fátima Valencia harrten in einem Hotel in Villavicencio aus, einem Ort außerhalb des Dschungelgebiets von Guaviare, in dem die Kinder schließlich gefunden worden waren. «Als Großmutter bin ich sehr glücklich. Mein Herz atmet und springt», sagte Fátima Valencia im Fernsehsender RCN. «Bringt die Kinder zu uns nach Villavicencio, ich bitte um diesen Gefallen, ich brauche sie hier.»

Der Großvater dankte gegenüber dem Sender Caracol jenen, die die Suche nach den Enkeln unterstützt hatten. Sie hätten am frühen Abend von den Streitkräften die Information erhalten, dass die Kinder «gesund und wohlbehalten» gefunden worden seien, sagte Mucutuy. «Ich möchte sie jetzt einfach sehen.»

Mit ihrer Mutter waren die Geschwister am 1. Mai mit einer Propellermaschine vom Typ Cessna 206 auf dem Weg nach Bogotá gewesen. Medienberichten zufolge war die Familie auf dem Weg zum Vater gewesen, der nach ständigen Drohungen durch eine Splittergruppe der Guerillaorganisation Farc aus der Region geflohen war. Jedoch stürzte die Maschine, mutmaßlich nach Problemen am Motor, im Department Caquetá im Süden des Landes ab.

Laut einem vorläufigen Bericht der Luftfahrtbehörde kollidierte das Kleinflugzeug mit Baumkronen und stürzte danach senkrecht zu Boden. Die Mutter der Kinder, der Pilot und ein indigener Anführer starben bei dem Absturz. Es wird angenommen, dass der Zusammenstoß mit den Bäumen den Aufprall so stark abbremste, dass der hintere Teil der Kabine kaum beschädigt wurde, weshalb die Kinder überlebten.

Während das Flugzeugwrack gefunden wurde, blieben die vier Kinder verschwunden. Spuren, die die großangelegte Suche unter Einsatz des Militärs zutage brachte, ließen auf ein Überleben der Kinder schließen. Soldaten fanden Schuhe, Windeln, Haargummis, eine lila Schere, eine Babyflasche, eine aus Blättern und Ästen gebaute Notunterkunft sowie halbverzehrte Früchte.

Anhand der gefundenen Gegenstände und Spuren konnten die Soldaten den bisher zurückgelegten Weg der Kinder rekonstruieren. Doch der Regenwald in der Region ist sehr dicht, was die Suche nach den Vermissten erheblich erschwerte. Zudem regnet es praktisch ununterbrochen. Auch verharrten die Kinder offenbar nicht an einem Ort, sondern zogen umher, was die Suche weiter erschwerte. Das Militär warf Lebensmittel und Hilfsgüter aus der Luft über dem Dschungel ab, über Lautsprecher wurde eine Botschaft der Großmutter in der indigenen Sprache der Kinder abgespielt.

Als Teil einer indigenen Gemeinschaft könnte den drei Mädchen und dem Jungen ihre gute Kenntnis der Region und des Regenwaldes geholfen haben, um zu überleben. Ihre Großmutter hatte vor allem auf die älteste Tochter vertraut. «Sie war immer wie die Mutter, sie hat die anderen mit in den Wald genommen», sagte sie zuletzt im Radiosender La FM. «Sie kennt die Pflanzen und Früchte. Wir Indigene lernen von klein auf, welche man essen kann und welche nicht.» Die Kinder hätten sich im Dschungel von wilden Maracujas und Mangos ernährt, teilten die Streitkräfte auf einer Pressekonferenz in Bogotá am Samstagmorgen mit.

Das Überleben der Kinder erinnert an den Fall der Deutsch-Peruanerin Juliane Koepcke, die 1971 einen Flugzeugabsturz im peruanischen Regenwald überlebte und nach zehn Tagen gerettet wurde. Da ihre Eltern als Biologen im Amazonasgebiet forschten, war der damals 17-Jährigen die Umgebung vertraut und sie konnte sich bis zu einem Fluss durchschlagen, wo sie schließlich von Waldarbeitern gefunden wurde.

Staatschef Petro lobte am Freitag die Stärke der Kinder. «Sie waren allein, aber sie haben ein Beispiel des Überlebens gesetzt, das in die Geschichte eingehen wird», sagte er nach seiner Rückkehr aus Kuba, wo er einen Waffenstillstand mit der linken Guerillaorganisation ELN bekanntgegeben hatte. «So sind diese Kinder heute, die Kinder des Friedens, die Kinder Kolumbiens.»

Zwar hat sich die Sicherheitslage nach dem Friedensabkommen 2016 zwischen der Regierung und der Farc verbessert, allerdings werden noch immer Teile des südamerikanischen Landes von illegalen Gruppen kontrolliert. Vor allem Indigene, soziale Aktivisten und Umweltschützer geraten immer wieder in das Visier der kriminellen Banden - so möglicherweise auch der Vater der vier Kinder.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.