Woran der Auswanderer oft nicht denkt

Da bekomme ich immer wieder Mails von Leuten, die oft seit Jahren mit einer Thai-Frau in Deutschland leben, die Nase voll haben und beabsichtigen, nach Thailand auszuwandern. Sie fragen mich um Rat und meine Meinung zu diesem Vorhaben.

Was die technischen Fragen eines solchen Vorhabens betrifft, wie Visaregelung, Kosten von Lebensunterhalt und Hausbau usw., so kann sich jeder im Internet, aus Drucksachen der Botschaft oder aus der angebotenen Literatur informieren. Was aber bei solchen Plänen nach meiner Meinung zu wenig bedacht wird, ist der völlige Wechsel aller Lebensumstände, die außer Essen, Trinken und einem Bettwärmer nun mal zum Wohlbefinden des Menschen gehören. Hierzu Ratschläge zu geben ist schwierig oder gar unmöglich, wenn man die persönlichen Umstände, die familiären und finanziellen Gegebenheiten nicht kennt und vor allem nicht weiß, welche Erwartungen der potentielle Auswanderer für den Rest seines Lebens hegt. Ich kann daher hier nur ein paar Punkte ansprechen, über die sich jeder klar sein sollte.

Wer sich in Pattaya oder Phuket in eine Wohnsiedlung oder ein Condo einkauft, der lebt nach wie vor meist in einer Umgebung von Farangs bzw. hat mit Thais zu tun, die sich auf den Umgang mit Farangs eingestellt haben. Wer aber aufs Land, in das Dorf seiner Frau zieht, der sollte sich über die Dinge klar sein, auf die er sich in Zukunft einstellen muss.

Wer als Neuankömmling hierher kommt, wird normalerweise nur die gesellschaftlichen Regeln kennen, nach denen er bislang gelebt hat. Er hält es mehr oder weniger für selbstverständlich, dass die Welt in Thailand nach ähnlichen Regeln funktioniert.

Ihm fehlt es dann an Verständnis dafür, warum so viele Dinge hier anders sind als bei uns, und warum sie uns manchmal unlogisch, ungerecht oder auch moralisch verwerflich erscheinen, nicht aber den Bewohnern dieses Landes. Der Fehler, den viele Farangs hier begehen, ist, dass sie versuchen, diese fremde Umgebung, in der jeder existieren muss, der sich entschließt, hier zu leben, ausschließlich mit den Augen unserer eigenen kulturellen Basis zu sehen und ohne Abstrich nach den in unserem bisherigen Leben gewohnten Maßstäben zu be- oder auch zu verurteilen. Wer Thailand mit dem begreifen will, was er in unserem Kulturkreis von Kind auf als Unterschiede zwischen falsch und richtig, gut und böse eingetrichtert bekommen hat, anstatt zu versuchen, es mit den Augen der Menschen zu sehen, die in dieser Kultur groß geworden sind, der muss zu für diese Bedingungen unpassenden Urteilen und Schlussfolgerungen kommen und sich das Leben selbst schwerer machen als es schon ist.

Aber selbst mit dem besten Willen und nachdem man Jahre hier gelebt hat, wird es immer wieder vorkommen, dass man mit Situationen konfrontiert wird, für die unsere westliche Logik keine Lösung bietet.

Ich weiß nicht, wer den Film "Die weiße Massai” gesehen hat. Die Story einer deutschen Touristin, die sich bei einem Badeurlaub in Kenia in einen strammen Massai verliebt, ihren Verlobten sitzen lässt, ihr bisheriges Leben aufgibt, in Deutschland ihr Geschäft verkauft und als seine Frau zu ihm in sein Dorf zieht. Selbst mit dem besten Willen, sich in den Lebensrhythmus dort einzupassen, läuft sie schließlich gegen die Wand und muss aufgeben.

Nun ist das Leben in einem Thai-Dorf natürlich nicht mit dem Leben in einem afrikanischen Dorf zu vergleichen. Trotzdem muss ich oft, vor allem dann, wenn ich sehe, wie wieder mal ein Häusle bauender Farang hier aufgibt, an diesen Film denken. Es gibt da eine ganze Reihe Parallelen bei den Problemen. Die Leute sind sich nicht darüber klar, dass sie in Zukunft in einer Gesellschaft leben, in der alte, hierarchische Strukturen nur durch einen relativ dünnen Demokratieanstrich überdeckt sind. Unter Menschen, für die immer noch Geister ihr Geschick bestimmen, die an die Wiedergeburt glauben und deswegen bei jeder Gelegenheit bemüht sind, "tam boon” für ein späteres Leben zu tun, für die "Gesicht” wichtiger ist als Logik und Geld, wichtiger als Moral.

Wer gar gemeint hat, er könne hier den Traum verwirklichen, den doch wohl fast jeder mal geträumt hat: auszusteigen, in exotischer Umgebung zu leben und sich unter Palmen von einer samthäutigen Schönen verwöhnen zu lassen, der wird bald feststellen, dass das eben nicht mehr als ein Traum war.

Dass die Thais nicht nur ein faszinierendes Volk mit für jeden Gast aus einem anderen Land hochinteressanten Sitten, Gebräuchen, Schrulligkeiten und Angewohnheiten sind, sondern auch erhebliche Differenzen zwischen der westlichen und der östlichen Denkweise bestehen, wird einem meist erst durch unangenehme Erfahrungen bewusst

Und wessen Frau sich während ihrer Zeit in Deutschland mehr oder weniger gut den deutschen Lebensverhältnissen und eventuell auch dem Denken angepasst hat, der ist bass erstaunt, wenn seine Frau, in den Kreis der Familie und ihrer Freundinnen zurückgekehrt, plötzlich wieder zur hundertprozentigen Thai wird.

Der Auswanderer, der seine mitgebrachten Ersparnisse aufbraucht, um damit ein Haus mit mehr oder weniger Farang-Komfort zu bauen, evt. noch einen Pickup zu kaufen und dann meint, mit seiner zwar knappen, aber für Thai-Verhältnisse immer noch fürstlichen Rente bis an sein Lebensende ein geruhsames Rentnerdasein zu führen, hat seine Rechnung oft ohne seine Frau und ihre Verwandtschaft gemacht. Für die ist ein Farang per se reich und muss von seinem Reichtum auch die anderen leben lassen.

Wovor man jeden, der mit vielen Illusionen hierher kommt, vor allem warnen muss ist, aufgrund seiner mitgebrachten Rechtsauffassungen zu meinen, dass es nur ein paar fein gezimmerter Verträge bedürfe (für die genug auf solche Dinge gefixte "Berater" bereitstehen), und schon sei man gegen alle möglichen Eventualitäten abgesichert. Dies ist eine verhängnisvolle Fehleinschätzung und hat manchen um sein Vermögen und den Glauben an die Menschheit gebracht. Für Thais sind Verträge meist nicht viel mehr als ein Versprechen, das man halten kann oder nicht, so wie es einem gerade in den Kram passt und das deshalb, wenn es hart auf hart kommt, oft das Papier nicht wert ist, worauf es geschrieben steht. Was vor allen Verträgen mit Fremden kommt, ist die Familie, das Dorf und all die zwischenmenschlichen Strukturen, die nirgends festgeschrieben sind, nach denen man aber lebt.

Wenn die Verbindung mit der Frau, die einen hierher gebracht hat, eines Tages in die Brüche geht, dann ist meist auch alles weg, was man hier investiert hat. Trotz einem bestehenden Miet- oder Darlehensvertrag oder einem eingetragenen Wohnrecht auf x Jahre in "seinem" Haus, kann es passieren, dass man sein Haus von der Verwandtschaft besetzt bekommt und so "kalt enteignet" wird, oder dass einem das Leben in der Dorfgemeinschaft durch die Nachbarn so verleidet wird, dass man letztlich noch froh darüber sein kann, mit dem Leben und dem, was man im Koffer forttragen kann, wegzukommen.

Dem Touristen mag Thailand wie ein Paradies erscheinen, in dem ewig die Sonne scheint und alle Menschen die Farangs lieben und herzlich willkommen heißen. Wer hier leben will, der muss sich aber darüber klar sein, dass Thais grundsätzlich keine Fremden mögen. Wer das ständige Lächeln der Thais für einen Ausdruck des Willkommens deutet, der wird bald enttäuscht feststellen, dass es eben eine Täuschung war. Wir sind hier zwar gelitten, weil wir meist für den Lebensunterhalt einer ganzen Sippe sorgen, die Regierung lässt uns aber bei jeder Gelegenheit spüren, dass wir nur Gäste sind und uns als solche zu benehmen haben. Arbeitsaufnahme ist für Ausländer nur in Ausnahmefällen erlaubt, und nur in Beschäftigungen, für die kein Thai zur Verfügung steht. Sie erfordert einen ausgedehnten Papierkrieg und den Nachweis entsprechenden Kapitals. Wer meint, hier ohne schriftliche Arbeitserlaubnis seine erlernten Fähigkeiten zum Gelderwerb einsetzen zu können, der landet sehr bald vor Gericht und wird abgeschoben.

Wer es aber in Kenntnis all dessen wagt, auf Dauer nach Thailand überzusiedeln, der wird hier bestenfalls nur eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung bekommen, die, wie auch eine Arbeitserlaubnis, von Jahr zu Jahr mit viel Aufwand erneuert werden muss und auf deren Erteilung kein gesetzliches Anrecht besteht.

Um mit all den daraus sich ergebenden Problemen (die kaum einem Auswanderer-Aspiranten in ihrem ganzen Umfang klar sind) zurechtzukommen, braucht man nicht nur die entsprechende Bereitschaft, sondern auch die mentalen Fähigkeiten, sich den Lebensumständen hier anzupassen. Wer dies nicht mit einem ehrlichen Ja beantworten kann, der sollte es sich sehr überlegen, bevor er zu Hause die Zelte abbricht und in ein fernes Land mit einer anderen Kultur zieht. Wenn er sich dann aber dazu entschließt, muss er sich darüber klar sein, dass ein Europäer, der hier in Thailand als Expat leben will, außer einer gesicherten finanziellen Grundlage (Kapital oder Rente) auch die Bereitschaft braucht, sich auf die Thai-Mentalität einzustellen. Wer das eine nicht hat oder das andere nicht bereit ist zu tun, bleibt besser zu Hause.

Ständiges Klagen über das aller Logik widersprechende Handeln der Thais, oder Wutäußerungen über moralische Defizite mögen zwar zeitweilig das innere Ventil etwas entlasten, und ständiger Suff, wie von nicht wenigen praktiziert, lässt zwar zeitweilig die Sorgen vergessen, rettet aber meist nicht vor dem endgültigen Absturz. Jeder Farang, der im täglichen Betrieb mit Thais zurechtkommen muss, würde über kurz oder lang einen Herzinfarkt kriegen, wenn er sich über alles und jedes hier aufregt, das seinen aus Europa mitgebrachten Vorstellungen von Logik oder auch Moral widerspricht.

Günther Ruffert

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