Wo kam das Coronavirus her?

Die heikle Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV-2

28. Januar 2020: Medizinisches Personal in Schutzanzügen am Eingang einer Klinik in Wuhan für Patienten, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Foto: CHINATOPIX/Ap/dpa
28. Januar 2020: Medizinisches Personal in Schutzanzügen am Eingang einer Klinik in Wuhan für Patienten, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Foto: CHINATOPIX/Ap/dpa

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie versucht die chinesische Propaganda, die Geschichte neu zu schreiben. Angesichts von mehr als 1,5 Millionen Toten weltweit will sich China in einem politisch aufgeheizten Klima nicht als Schuldigen anprangern lassen. „Auch wenn China als erster über das Coronavirus berichtet hat, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das Virus auch aus China stammt“, gibt Außenamtssprecher Zhao Lijian die Richtung vor. China wird dabei eher als mögliches Opfer dargestellt. Von Fledermäusen und Wildtierhandel als Ursprung ist keine Rede mehr.

Vielmehr verweisen Staatsmedien auf unbestätigte Berichte über mögliche Sars-CoV-2-Infektionen in anderen Ländern schon vor der Entdeckung der ersten Fälle Anfang Dezember 2019 in der zentralchinesischen Metropole Wuhan. Auch wurden Spuren des Virus auf einer Schweinshaxe aus Deutschland und anderen importierten Tiefkühlwaren gefunden. Wobei strittig ist, ob diese Spuren für eine Anste­ckung ausreichen. Trotzdem schreibt das Parteiorgan „Volkszeitung“ unter Hinweis auf „alle verfügbaren Beweise“, dass die Tiefkühlketten schuld sein könnten: „Covid-19 begann nicht in Wuhan.“

Politisierte Pandemie schwierig

„Es ist wirklich schwierig, dass es so politisiert ist“, sagt Fabian Leendertz vom Robert Koch-Institut (RKI). Der Epidemiologe soll mit einer Expertengruppe im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ursprüngen des Virus nachgehen. Auch ist eine Reise nach China vorgesehen. „Wann es losgeht, steht noch überhaupt nicht fest“, sagt Leendertz, der Infektionskrankheiten erforscht, die gleichermaßen bei Menschen und Tieren vorkommen. Gegenwärtig tauschen sich die Experten über die Ferne erstmal mit Kollegen in China aus.

Menschen tragen beim Einkaufen in Wuhan am 25. Januar 2020 Mund-Nasen-Schutz, als die Pandemie ausbrach. Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa
Menschen tragen beim Einkaufen in Wuhan am 25. Januar 2020 Mund-Nasen-Schutz, als die Pandemie ausbrach. Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa

„Wir gehen davon aus, dass wir da anfangen, wo die solidesten Beweise vorliegen – und das ist immer noch dieser Markt und Wuhan selbst“, sagt Leendertz. „Wir alle wissen, dass es wahrscheinlich nicht da angefangen hat.“ Denn nicht alle der ersten Infektionen wurden auf den Huanan-Markt in Wuhan zurückgeführt. Doch im Bereich der Wildtierstände wurden besonders viele Spuren des Coronavirus gefunden. „Es gibt den starken Verdacht, dass die Epidemie mit dem Wildtierhandel zusammenhängt“, schrieb Ende Januar Chinas Staatsagentur Xinhua. Kurz darauf verbot die Regierung das oft schmutzige Geschäft mit wilden Tieren, die in China als Delikatessen verzehrt werden.

Von dem Markt wollen sich die WHO-Experten in der Zeit zurückarbeiten. „Und dann gucken wir, wo uns die Spur hinführt. Ob es in China bleibt, oder ob es nach außerhalb Chinas führt“, sagt Leendertz. „Das ist ein ganz offener Ansatz.“ Er spielt die Erwartungen aber herunter. „Wir werden jetzt nicht irgendwie nach China fliegen, da unsere Superhelden-Anzüge anziehen, ein paar Fledermäuse einfangen und anfangen, den Markt abzustreichen und durch Krankenhäuser zu flitzen“, sagt Leendertz. „Das ist natürlich ganz anders.“ Es gehe mehr darum, mit den chinesischen Kollegen zu schauen, welche Spuren noch verfolgt werden sollten. „Das wird das Maximum sein.“

Schwierige Suche nach Patient-Null

Der Forscher ist aber zuversichtlich, dass der Ursprung des Virus „irgendwann“ gefunden wird. „Es wird wahrscheinlich doch der ursprüngliche Wirt, also eine Fledermaus, sein“, sagt Leendertz. Dann müsse man schauen, welche Art es sei, wo diese vorkomme und ob ein anderes Tier als Zwischenwirt involviert gewesen sei. „Die nächsten Verwandten des Virus, die aber nicht der Ursprung des Virus sind, sind bei Fledermäusen gefunden worden, und zwar im südlichen China.“ Wegen der milden Symptome werde es hingegen „schwierig bis unmöglich sein“, die erste Infektion, also „Patient Null“, zu identifizieren.

Ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie versucht die chinesische Propaganda, die Geschichte neu zu schreiben. Foto: CHINATOPIX/AP/dpa
Ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie versucht die chinesische Propaganda, die Geschichte neu zu schreiben. Foto: CHINATOPIX/AP/dpa

Indem US-Präsident Donald Trump vom „China-Virus“ spricht, Peking „zur Rechenschaft ziehen“ will und Forderungen nach Entschädigung laut werden, ist die Suche nach dem Ursprung auch eine Suche nach dem Schuldigen geworden. Doch weist Leendertz diese Denkweise zurück: „Wir Menschen infizieren uns dauernd mit Viren und Bakterien aus dem Tierreich.“ Das passiere überall. „Es ist ja nicht die Schuld Chinas oder irgendeines anderen Landes, dass da ein Virus von der Fledermaus wahrscheinlich oder einem anderen Tier auf den Menschen übergetreten ist“, sagt Leendertz. „Das ist schwer zu verhindern.“

Irreführung und Vertuschung

Chinas Propaganda arbeitet gleichwohl mit irreführenden Tricks. Plötzlich wurde sogar der deutsche Virologe Alexander Kekulé für die These bemüht, dass „Wuhan nicht der Ausgangspunkt der Pandemie“ sei, wie ihn Chinas Staatsfernsehen zitierte. Dabei hatte der Experte darauf verwiesen, dass der Ursprung in China liege und sich die in Italien gefundene Mutation des Virus weltweit verbreitet habe. Auf Twitter stellte Kekulé klar: „Die Coronavirus-Pandemie begann in China und der Ausbruch wurde anfangs möglicherweise sogar vertuscht.“

Zweifellos war die anfängliche Reaktion der Behörden in Wuhan unzureichend, was selbst chinesische Offizielle eingeräumt haben. Deswegen mussten einige Verantwortliche auch ihre Posten räumen. Warnungen von Ärzten vor einer rätselhaften neuen Atemwegserkrankung oder einer möglichen Wiederkehr des Sars-Virus von 2002/03 wurden in den späten Dezembertagen 2019 in den Wind geschlagen. Einige wurden sogar mundtot gemacht. Auch wurde noch bis 21. Januar 2020 offiziell behauptet, es gebe „keine Übertragung von Mensch zu Mensch“, obwohl Ärzte schon im Dezember solche Anste­ckungen erlebt hatten.

„Es lässt sich sicher sagen, dass sie schlecht mit dem Ausbruch umgegangen sind“, sagt der Gesundheitsexperte Huang Yanzhong von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR). Beim Ausbruch eines neuartigen Virus würden aber Fehler gemacht, wenn auch einige vermeidbar gewesen wären. „Wir sollten China gegenüber fair sein“, sagt Huang Yanzhong. Auch andere Länder wie die USA hätten Fehler begangen. Er verweist darauf, wie Trump und seine Regierung die Pandemie heruntergespielt hatten. „Das ist das Gleiche.“

Neutrale Forschung politisch heikel

Gemäß Fabian Leendertz vom Robert Koch-Institut (RKI) wird es schwierig sein, den „Patient-Null“ zu finden. Foto: Schnartendorff/RKI/dpa
Gemäß Fabian Leendertz vom Robert Koch-Institut (RKI) wird es schwierig sein, den „Patient-Null“ zu finden. Foto: Schnartendorff/RKI/dpa

Die These vom importierten Virus ist aus seiner Sicht „politisch motiviert“. „Es dient auch dem Zweck, China von der Verantwortung für die Pandemie freizusprechen“, sagt der Experte. Die Suche nach den Ursprüngen sollte eigentlich wissenschaftlich neutral ablaufen, sei aber politisch heikel. Das verheiße „nichts Gutes“ für die WHO-Mission. Ohnehin steht die UN-Organisation in der Kritik, zu sehr auf der Seite Chinas zu stehen, das als wichtiges Mitglied auch viel Einfluss hat.

Die Führung in Peking habe den Ton schon vorgegeben, sagt China-Kenner Huang Yanzhong. „Ich denke nicht, dass sie zulassen werden, dass das Ergebnis der Untersuchung ihr Narrativ in Frage stellen wird.“ Am Ende könnten die WHO-Experten diplomatisch auf China als bekannten Ausgangspunkt der Pandemie verweisen, aber hinzufügen, dass das Virus auch woanders hergekommen sein könnte, was weiter untersucht werden müsse. „Das würde China glücklich machen“, sagt Huang Yanzhong. „Ich glaube nicht, dass wir ein wirklich schlüssiges Ergebnis haben werden, das von allen Akteuren akzeptiert werden kann.“

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