Wo auch immer ihr seid

Geschichte einer vietnamesischen Familie

Heimat und Identität dominieren die zeitgenössische Literatur. Auch Khuê Phạm hat sich das Thema vorgenommen.
Heimat und Identität dominieren die zeitgenössische Literatur. Auch Khuê Phạm hat sich das Thema vorgenommen.

Die Berlinerin Kiêu, die ihren Namen selbst nicht ganz fehlerfrei aussprechen kann, lässt sich irgendwann einfach „Kimm“ nennen. Zu sehr haderte das Kind vietnamesischer Eltern mit Situationen, in denen sie gar nicht mehr angesprochen wurde, weil Deutsche sie aus Bequemlichkeit nicht beim Namen nennen wollten.

Die Journalistin der „Zeit“, Khuê Phạm, erzählt in ihrem Debütroman „Wo auch immer ihr seid“ die Geschichte von Kiêu, einer Journalistin, die wie so viele andere in westlichen Gesellschaften ihr Leben im ständigen Spagat zwischen verschiedenen kulturellen Einflüssen austarieren muss. Das Buch zeigt das Problem vieler Migranten, bei Einheimischen als fremd wahrgenommen zu werden und in der Kultur der Eltern oder Großeltern als Deutsche gesehen zu werden.

Fremd im eigenen Land

Die Mutter sagt über Kiêu, dass sie „sehr deutsch“ sei. Für die Protagonistin klinge das, als habe sie eine „anste­ckende Krankheit“. Die Autorin Phạm hat nie in Vietnam gelebt; in Deutschland habe sie sich vor allem entfremdet gefühlt. „Ich kannte die deutsche Sprache und Kultur viel besser als die vietnamesische, wurde in meiner Jugend aber trotzdem häufig zur Ausländerin gemacht“, sagt sie der dpa.

Kiêu ist eine moderne Frau, die keinen alten Rollenbildern gerecht werden will. Bisher hatte sie wenig Kontakt zu ihren Verwandten, die in der Welt verstreut leben. Dann ergibt sich die Gelegenheit eines Treffens mit einem Teil ihrer Familie in Kalifornien, nachdem Kiêus Oma gestorben war. Widerwillig reist sie mit ihren Eltern zur Beerdigung. Phạm nimmt den Leser dabei in schaurig-unangenehme Routinen einer Großfamilie mit.

Die Autorin verwebt die Geschichte von Kiêu, des in Deutschland ankommenden Vaters Ende der 1960er und auch die des Onkels, der als Kind vor den herannahenden kommunistischen Vietcong aus Saigon auf eine Flucht mit den amerikanischen Soldaten hofft, aber doch in der Stadt zurückbleibt, die bald von den Kommunisten übernommen wird. Später wagt der Onkel erneut eine abenteuerreiche Flucht.

Der Vater von Kiêu studiert in Deutschland Medizin. Rasch empfindet man Mitleid mit ihm, denn der Start wird als rau und anstrengend beschrieben. Man fühle sich so „überflüssig und klein“, bilanziert er nach dem Ankommen. Der Vater geht Gesprächen mit Deutschen aus dem Weg vor lauter Angst, Deutsch zu sprechen und dabei Fehler zu machen.

Romanfigur mit authenischen Zügen

Phạms Vater diente als Inspiration für Minh. Sie fragte ihn nach seiner Kindheit in Saigon, der ersten Zeit in Bayern und seinem Studentenleben. Für den Roman habe sie der Figur Minh aber „viele zweifelnde und melancholische Gedanken“ gegeben, die der Vater nicht so gehabt habe. „Man könnte also sagen: Ich habe viele wahre Details benutzt, um eine Romanfigur zu erfinden, die authentische Züge hat.“

Spaß an dem Buch machen die szenischen Beschreibungen der Autorin, die sehr detailliert das Alltagsleben im Vietnam der 1960er Jahre beschreibt. Für den Roman unternahm Phạm, die als Kind immer wieder in Vietnam war, zwei längere Recherchereisen, sprach mit Verwandten und interviewte Zeitzeugen des Vietnamkriegs.

Blick durchs Schlüsselloch

Der Roman zieht vor allem in seinen Bann, weil er einen Blick durchs Schlüsselloch ermöglicht, um die Lebenswelt einer jungen Migrantin kennenzulernen und darüber hinaus einen Einblick in die Geschichte und Kultur einer lebhaften und tief gespaltenen Familie zu erhaschen, die inmitten eines Kriegs nicht nur materielle Werte, sondern auch teils sich selbst verliert.

Mittlerweile gibt es einige Bücher auf dem Markt, die Identität und Heimat thematisieren – oft auch geschrieben von jungen Migrantinnen und Migranten. „Das Besondere an meinem Buch ist, dass es zum ersten Mal eine deutsch-vietnamesische Familiengeschichte erzählt, das gab es in der deutschen Literatur bisher nicht“, sagt Phạm. Zuerst habe sie die Geschichte ihrer Familie in einem Sachbuch aufgreifen wollen – letztendlich entschied sie sich für eine fiktionale Story.

Wie viele Teile des Buchs auf ihrer eigenen Geschichte beruhen und wie viel erfunden ist, könne sie gar nicht so genau sagen. Auch die Autorin habe, so berichtet sie, immer wieder selbst erfahren, was es bedeutet, wenn der eigene Name nicht verstanden wird. Eins steht jedoch für Phạm und ihren Vornamen fest: „Andererseits würde ich ihn, anders als Kiều, niemals ändern.“


Foto: Politycki & Partner/btb/dpa
Foto: Politycki & Partner/btb/dpa

„Wo auch immer ihr seid“ der „Zeit“-Journalistin Khue Pham ein fesselnder Roman über eine junge Frau und die aufregende Geschichte ihrer vietnamesischen Familie. Khue Pham erzählt in ihrem Debütroman von Kiêu, einer Journalistin, die wie so viele andere in westlichen Gesellschaften ihr Leben im ständigen Spagat zwischen verschiedenen kulturellen Einflüssen austarieren muss. 

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