„Wie ein postapokalyptisches Filmset“

​Bangkoks Geisterturm am Chao Phraya

Bangkoks Geisterturm am Fluss. Foto: Otvalo/Adobe Stock
Bangkoks Geisterturm am Fluss. Foto: Otvalo/Adobe Stock

BANGKOK: Manchmal werden Gebäude zu Legenden, obwohl sie nie bewohnt wurden. Der unvollendete „Sathorn Unique Tower“ in Bangkok gehört dazu. Die Bauruine ist heute fester Bestandteil der Skyline am Chao-Phraya-Fluss. Aber viele glauben an einen Fluch – denn es ranken sich Gruselgeschichten um den sogenannten „Ghost Tower“.

Inmitten von Bangkoks imposanter Skyline ragt ein Wolkenkratzer gespenstisch empor. 49 Stockwerke und 185 Meter ist der Sathorn Unique Tower hoch. Partiell ist er fertig, mit Geschossen voller weißer Rundbalkone. Aber der größte Teil gleicht einem rußgeschwärzten Skelett. Aus den oberen Etagen streben noch die Arme von Baukränen, wie Knochenscheren bei einer Obduktion. Der „Ghost Tower“, wie er genannt wird, ist eines der höchsten unvollendeten Gebäude der Welt – und Bangkoks bekanntes­ter „Lost Place“.

Der Sathorn Unique Tower vom Sathorn-Pier aus gesehen. Der Turm ist Bangkoks bekanntester „Lost Place“. Foto: dpa
Der Sathorn Unique Tower vom Sathorn-Pier aus gesehen. Der Turm ist Bangkoks bekanntester „Lost Place“. Foto: dpa

Jahrelang war der Betonturm, der vor allem Luxusappartements und Büroräume beherbergen sollte, ein beliebtes Ziel für Abenteurer und Influencer aus aller Welt. Sie steckten meist den Wachleuten ein bisschen Geld zu, um durch das leere Treppenhaus das Dach erklimmen zu dürfen. Zahlreiche Graffitis haben sie zurückgelassen – ebenso wie Fotos vom Inneren der Bauruine und vom atemberaubenden Ausblick über die pulsierende Großstadt, die sie stolz im Internet posteten. Manchmal kamen Hunderte Touristen am Tag, um den Rohbau zu bestaunen.

Obwohl das Betreten – vor allem aus Sicherheitsgründen – heute streng verboten und der Zugang versperrt ist, sind im Internet noch die Tipps und Tricks von Besuchern aus früheren Zeiten zu lesen. „Ganz oben hat man den schönsten Ausblick in ganz Bangkok“, schwärmte Katja aus München 2015. „Und wer auf Gebäude steht, die aussehen wie ein postapokalyptisches Zombie-Filmset – es gibt dafür nichts Besseres als den Ghost Tower.“

Yulia Yordanova aus Bulgarien, die in Bangkok lebt, war auch schon oben. „Es sieht gruselig aus, aber ich habe eine gewisse Vorliebe für gruselige Dinge“, erzählt sie der Deutschen Presse-Agentur. Der Bau sei ein einziges Mysterium. „Ich war überwältigt von der Tatsache, dass diese große Struktur da steht und komplett verlassen ist. Ich habe so viele Fragen. Warum und wie ist das passiert?“

Auf Boom folgt Krise

Der Turm ist eines der höchsten unvollendeten Gebäude der Welt. Der „Ghost Tower“ bietet einen atemberaubenden Panoramablick auf die Metropole und den Fluss. Foto: det-anan sunonethong / Adobe Stock
Der Turm ist eines der höchsten unvollendeten Gebäude der Welt. Der „Ghost Tower“ bietet einen atemberaubenden Panoramablick auf die Metropole und den Fluss. Foto: det-anan sunonethong / Adobe Stock

Ein Rückblick: Die 1990er Jahre, Bangkok boomt. Überall wird gebaut, meist in die Höhe. Einer, der bei dem Geschäft ordentlich mitmischt, ist der wohlhabende Architekt Rangsan Torsuwan. Aber dann kommt die Asienkrise, in deren Zug die Landeswährung Baht immer mehr an Wert verliert. Auch der Immobilienmarkt bricht zusammen. Weil der Finanzcrash in Thailand begann, ist er in der Region als „Tom Yam Gung“-Krise bekannt – in Anlehnung an die gleichnamige sauer-scharfe Garnelensuppe, das Nationalgericht des alten Siam.

Rund 500 große Bauprojekte seien 1997 von einem Tag auf den anderen zum Stillstand gekommen, erinnert sich der Stadtführer Santiporn. „Ich habe damals selbst meine Arbeit bei einer Bank verloren.“ Die meisten Projekte wurden aber schließlich fertig gebaut.

Glaube und Aberglaube

Ursprünglich war der „Sathorn Unique Tower“ als Zwillingsturm zum „State Tower“ (hinten im Bild) konzipiert, der als Drehort für „Hangover 2“ weltbekannt wurde. Foto: Otvalo / Adobe Stock
Ursprünglich war der „Sathorn Unique Tower“ als Zwillingsturm zum „State Tower“ (hinten im Bild) konzipiert, der als Drehort für „Hangover 2“ weltbekannt wurde. Foto: Otvalo / Adobe Stock

Nicht so der Sathorn Unique Tower. „Die Leute glauben, dass der Turm von Anfang an mit einem Fluch belegt war, weil er einen Schatten auf den berühmten Tempel Wat Yannawa wirft.“ Die Thais seien eben nicht nur gläubige Buddhisten, sondern gleichzeitig extrem abergläubisch. Gerüchte, wonach das Gebäude über einem früheren Friedhof errichtet wurde, haben die Legende vom schlechten Omen noch verstärkt.

Wie glanzvoll die Ruine hätte werden können, zeigt der Zwillingsturm State Tower, den Architekt Torsuwan zeitgleich ganz in der Nähe hochziehen ließ. Bei der Einweihung 2001 war der State Tower das zweithöchste Gebäude der Stadt. Auf dem Dach, in 250 Metern Höhe, thront eine Goldkuppel, die allein 30 Meter misst. Berühmt geworden ist der opulente Wolkenkratzer durch die Erfolgskomödie „Hangover 2“. Eine Szene wurde in der Sky-Bar des Luxus-Restaurants „Sirocco“ im 64. Stock mit fantastischer Aussicht auf Bangkok gedreht.

Drehort für Horrorfilm

Der „Sathorn Unique Tower“ mit Reklame am Fluss Chao Phraya (l.) sowie das Mandarin Oriental Hotel und der State Tower mit seiner Goldkuppel dahinter (r.) aus zwei Perspektiven. Foto: dpa
Der „Sathorn Unique Tower“ mit Reklame am Fluss Chao Phraya (l.) sowie das Mandarin Oriental Hotel und der State Tower mit seiner Goldkuppel dahinter (r.) aus zwei Perspektiven. Foto: dpa

Der „Ghost Tower“ hat hingegen eher durch schaurige Geschehnisse Schlagzeilen gemacht. Ende 2014 wurde im 43. Stock die Leiche eines Schweden gefunden, der sich dort erhängt hatte. Die Hintergründe blieben unklar. 2017 gab Pansit Torsuwan – der Sohn des Bauherrn, der sich heute um den Sathorn Unique Tower kümmert – das Gebäude für Dreharbeiten zu einem Horrorfilm frei: „The Promise“ von Regisseur Sophon Sakdaphisit.

Die vergangenen 20 Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Foto: Evdoha / Adobe Stock
Die vergangenen 20 Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Foto: Evdoha / Adobe Stock

Alle anderen Anfragen, sogar aus Hollywood, lehnte Torsuwan ab, wie er 2017 in einem Interview sagte. „Dann würde der Turm zu einer noch größeren Attraktion werden.“ Er verstehe die Faszination, aber es sei seit jeher illegal, den Rohbau zu betreten – und zudem extrem gefährlich: „Ich muss darauf bestehen, dass es sich um Privateigentum handelt und Sie ohne Erlaubnis nicht hineindürfen.“ Um Inte­ressenten abzuschrecken, hatte er 2015 eine Gruppe Ausländer angezeigt, die das Gelände unbefugt betreten und Selfies vom Dach gepostet hatte.

Monument der Asienkrise

Und was sagen die Bürger Bangkoks zu ihrem verwais­ten Turm? „Für mich ist er ein Monument der ‚Tom Yum Gung‘-Krise. Er ist das deutlichste Zeichen, das es für sie geben könnte“, meint Peera Vorapreechapanich, der ganz in der Nähe aufgewachsen ist. „Ich habe ihn schon als Kind jeden Tag gesehen und mich immer gefragt, ob er wohl zu Ende gebaut, in irgendetwas anderes verwandelt oder abgerissen wird.“ Aber das weiß bis heute niemand so genau. Eins aber sei sicher: „Das Design ist wirklich schön“, so der 33-Jährige. „Der Architekt hat einen tollen Job gemacht. Zwar haben die vergangenen 20 Jahre Spuren hinterlassen, aber das Design ist zeitlos.“

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Thomas Sylten 24.10.21 21:30
Wirklich schade dass so eine gelungene Architektur verrottet, während jede Menge langweilige Schuhkartons die Augen von Generationen beleidigen dürfen.
Ingo Kerp 24.10.21 12:50
Seltsam, wie plortzlich ein Lost Place, seit Jahren unbeachtet, urploetzlich durch den intern. Blätterwald geistert.