Europa muss sich auf zweite Corona-Welle vorbereiten

Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Konferenzsaal der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Foto: Pixabay
Konferenzsaal der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Foto: Pixabay

Europa muss sich jetzt auf zweite Corona-Welle vorbereiten

LONDON/KOPENHAGEN: Die europäischen Staaten sollten sich nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits jetzt auf eine zweite tödliche Welle von Coronavirus-Infektionen einstellen. Es sei an der «Zeit für die Vorbereitung, nicht für Feierlichkeiten», sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, am Montag der britischen Zeitung «The Telegraph». Er reagierte damit auf die Lockerung von Maßnahmen gegen die Pandemie in mehreren Ländern.

Besonders besorgt äußerte sich der WHO-Regionaldirektor über die Möglichkeit einer «Doppelwelle». «In dem Fall könnten wir eine zweite Covid-Welle haben und eine saisonale Grippe oder die Masern.» Viele Kinder seien nicht gegen die Masern geimpft, warnte Kluge. Die Länder müssten die Zeit nun nutzen, um ihr Gesundheitswesen zu stärken und zum Beispiel die Kapazitäten in Krankenhäusern auszubauen.

Zwar gingen in Staaten wie Großbritannien, Frankreich und Italien die Fallzahlen zurück, sagte der Experte. Aber das bedeute noch nicht, dass sich die Pandemie dem Ende nähere. Wegen der Coronakrise hält die WHO ihre zweitägige Jahresversammlung bis Dienstag nur online ab.


WHO-Konferenz startet mit Milliardenspende aus China - Kritik aus USA

GENF: Milliarden an Corona-Hilfe aus China, Versprechen einer kritischen Analyse der Corona-Reaktion und viel Aufrufe zu mehr Solidarität - so startet die WHO-Jahrestagung. Zum Auftakt kommt nichts aus den USA, erst später aus Washington Protest wegen Taiwan.

Mitten in der verheerenden Coronavirus-Pandemie haben Staatschefs und -chefinnen aus aller Welt an die Solidarität der Weltgemeinschaft mit den Schwächsten appelliert. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere beschworen die internationale Gemeinschaft bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montag, zuerst das Virus in den Griff zu bekommen, und anschließend Lehren aus dem Umgang mit der Pandemie zu ziehen. Bis Montag waren mehr als 4,7 Millionen Menschen weltweit infiziert, und mehr als 315.000 mit dem Coronavirus infizierte Menschen gestorben.

Die Spannungen in der WHO zwischen China und den USA, die China Vertuschung zu Beginn des Ausbruchs vorwerfen, kamen zum Auftakt nicht zur Sprache. Auch nicht die scharfe Kritik der USA an der WHO, sie habe am Anfang der Epidemie unter Druck Chinas nicht rigoros genug die Alarmglocken geläutet. Die USA überließen das Feld in der Auftaktsitzung den anderen, niemand aus Washington stand mit einem Redebeitrag zur Verfügung. Chinas Präsident Xi Jinping nutzte die Chance, China im besten Licht darzustellen. Xi kündigte zwei Milliarden Dollar (1,85 Mrd Euro) Corona-Hilfe zur Unterstützung ärmerer Länder an.

Die kontroverse Frage einer Teilnahme Taiwans, die die USA vor der Tagung zu einer Machtprobe hochstilisiert hatten, war ebenfalls vom Tisch. China lehnt die Teilnahme ab. Es betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz. Weil keine Einladung eingetroffen war, sagte Taiwans Außenminister, sein Land werde das Thema erst später im Jahr wieder aufgreifen. Eine Resolution zur Teilnahme Taiwans wurde ohne Abstimmung auf die nächste Sitzung verschoben.

Stunden später meldete sich US-Außenminister Mike Pompeo aus Washington zu Wort. Die USA verurteilten den Ausschluss Taiwans. «Das gehässige Handeln der Volksrepublik China, Taiwan zum Schweigen zu bringen, enthüllt, wie leer die Behauptungen Chinas sind, es wolle Transparenz und internationale Zusammenarbeit, um die Pandemie zu bekämpfen», teilte er mit. Er warf China vor, der Welt weiterhin wichtige Informationen über das Virus vorzuenthalten.

Das zweite kontroverse Thema, ebenfalls von den USA forciert, kam auch zur Sprache: dabei geht es um die Forderung, in einer internationalen Untersuchung zu klären, wie es zu dem Ausbruch des Virus kommen konnte und wie die WHO reagiert hat. Die Sprecher nahmen den USA den Wind gleich aus den Segeln: Untersuchung ja, aber dies sei nicht der richtige Zeitpunkt, meinte etwa UN-Generalsekretär António Guterres. Xi begrüßte eine Untersuchung mit wissenschaftlichen Ansätzen, die objektiv und fair bleibe. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kündigte eine eigene Untersuchung «zum frühestmöglichen Zeitpunkt» an.

«Diese Krise kann kein Land allein lösen, wir müssen gemeinsam handeln», mahnte Merkel. Die Coronavirus-Pandemie habe deutlich gemacht, dass mehr getan werden müsse, etwa bei Frühwarnsystemen und Präventionsmaßnahmen sowie Forschungskooperation und der Stärkung der Gesundheitssysteme. Es müsse immer wieder geprüft werden, wie die Abläufe in der WHO verbessert werden können. «Am dringendsten aber ist jetzt natürlich, die Coronavirus-Pandemie einzudämmen», sagte sie.


Deutsch-französische Initiative für WHO-Reform

BERLIN: Deutschland und Frankreich planen nach den Worten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Initiative für eine Reform der Weltgesundheitsorganisation WHO. «Die WHO muss unabhängiger werden vom Einfluss einzelner Staaten», sagte der CDU-Politiker am Montag anlässlich der Jahrestagung der Organisation in Genf. Sie müsse zudem in ihrer koordinierenden Funktion stärker werden und benötige auch deutlich schnellere Informationen, wenn neuartige Infektionen auftreten. «Das ist kein Selbstzweck, sondern im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft.»

Deutschland wolle mit Frankreich ein Reformkonzept vorgelegen und während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 weiter entwickeln, sagte Spahn. Er betonte mit Blick auf die Corona-Pandemie: «Das Virus kennt keine Grenzen, also darf auch der Kampf gegen das Virus keine Grenzen kennen.» Es brauche dafür anerkannte und gut funktionierende internationale Organisationen. «Hier leistet die WHO einen entscheidenden Beitrag, aber es geht in der Zukunft noch besser.»

Das Bundesgesundheitsministerium hat der WHO nach eigenen Angaben nun weitere 66 Millionen Euro bereitgestellt. Davon sollen 25 Millionen Euro dem Kampf gegen die Corona-Pandemie dienen und 41 Millionen Euro der Arbeit in Bezug auf weltweite Gesundheitskrisen.


Taiwan protestiert gegen Ausschluss von WHO-Jahrestagung

TAIPEH: Die Inselrepublik Taiwan hat am Montag offiziellen Protest gegen ihren Ausschluss von der am Montag beginnenden Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingelegt. Kurz vor Beginn der Video-Tagung bezeichnete es Taiwans Gesundheits- und Sozialminister Chen Shih-chung als einen «Verlust für die WHO», dass das taiwanische Modell zur Bekämpfung des Coronavirus nicht mit der Weltgemeinschaft geteilt werden könne.

Nicht eingeladen zu sein, sei auch für Taiwan von Nachteil. Man habe so auch keine Chance, von den Erfahrungen anderer Staaten zu lernen.

«Das WHO-Sekretariat sollte den angemessenen Appellen der internationalen Gemeinschaft aufmerksam zuhören», forderte Taiwans Außenminister Joseph Wu. Er verlangte, Taiwan eine uneingeschränkte Teilnahme zu gewähren.

Über die Frage, ob Taiwan, das im Kampf gegen die Corona-Epidemie große Erfolge vorweisen kann, bei der Jahresversammlung der WHO teilnehmen darf, war ein heftiger Streit entbrannt. China betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz und blockiert ihre Teilnahme seit drei Jahren. Bislang haben die anderen der 194 Mitgliedsländer das hingenommen, aber in diesem Jahr haben die USA Verbündete zusammengetrommelt, um Taiwans Teilnahme durchzusetzen. Entsprechende Resolutionen dürften Initiativen zur Bewältigung der Corona-Krise zum Auftakt der zweitägigen virtuellen Tagung am Montagmittag zunächst verdrängen.

Dahinter steht ein Machtkampf der USA mit China. US-Präsident Donald Trump wirft der WHO vor, unter dem Einfluss Chinas zu stehen. Kritiker sagen, er wolle mit seinen Attacken auf China und die WHO vom vielfach kritisierten Umgang seiner Regierung mit der Corona-Pandemie ablenken. Trump hat die US-Beiträge an die WHO zunächst eingefroren und droht mit einer deutlichen Kürzung.

Von Bundeskanzlerin Angela Merkel war zum Auftakt der Konferenz eine Videobotschaft geplant. Deutschland ist für die Teilnahme Taiwans.

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