Weniger CO2-Ausstoß, mehr Diesel-Verbote

Unsicherheit für Autofahrer

Umweltaktivisten demonstrieren in Berlin. Foto: epa/Felipe Trueba
Umweltaktivisten demonstrieren in Berlin. Foto: epa/Felipe Trueba

BERLIN/LUXEMBURG (dpa) - Die Autokonzerne sind über ihre Lobby eng mit der Politik vernetzt, in Brüssel wie Berlin. Schärfere Klimaschutzregeln und neue Risiken beim Diesel bringen sie aus Sicht von Kritikern aber gleich von zwei Seiten in Zugzwang. Was bedeutet das für Verbraucher und Hersteller?

Verschärfte Vorgaben zum Klimaschutz und weitere Diesel-Fahrverbote setzen die Industrie unter Druck - und erhöhen zugleich die Unsicherheit für Millionen Autobesitzer. Einem umstrittenen Kompromiss der EU-Umweltminister zufolge müssen die Hersteller den Ausstoß des Treibhausgases CO2 aus ihren Fahrzeugen deutlich senken. Dieselfahrern in Deutschland drohen nach dem Urteil zu Streckensperrungen in Berlin zudem mehr Einschränkungen. Aus der Politik kommen Forderungen, den Konzernen notfalls hohe Bußgelder aufzubrummen, sollten sie die Auto-Emissionen nicht weiter senken.

Nach langen Verhandlungen hatten sich die EU-Staaten darauf verständigt, dass Neuwagen im Jahr 2030 im Schnitt 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen sollen als 2020. Deutschland - vertreten durch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) - trug dies mit, obwohl es über die ursprünglichen Ziele der Bundesregierung hinausging. Diese wollte nur 30 Prozent Minderung, wobei Schulze aber die abgestimmte Linie der Koalition wiedergeben musste und selbst mehr Klimaschutz wollte.

Beim Kohlendioxid (CO2) hatte die EU-Kommission eine Senkung um 30 Prozent gegenüber 2020 vorgeschlagen - ein Wert, den die deutsche Autoindustrie als machbar erachtete. Andere Länder wollten aber eine Reduktion um 40 Prozent und mehr. Österreich, das den EU-Vorsitz führt, plädierte als Kompromiss für 35 Prozent und setzte dies letztlich durch. Bis 2025 sollen mindestens 15 Prozent erreicht sein.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Einigung am Mittwoch in Berlin ein «vertretbares Ergebnis». Andernfalls hätte es keine Berechenbarkeit für Europas Autoindustrie gegeben. Schulze meinte, der 35-Prozent-Kompromiss sei «auf jeden Fall verträglich».

Kritischer gab sich der Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen. Dessen Chef Klaus Müller erklärte: «Für Verbraucher und das Klima ist eine deutlichere Senkung des CO2-Ausstoßes der Neuwagenflotte möglich.» Denkbar seien auch minus 45 Prozent bis 2030. «EU-Parlament und Rat müssen sich auf einen mutigeren Kompromiss verständigen.»

Die neuen Vorgaben sollen helfen, die Klimaziele der EU insgesamt zu erreichen und die Emissionen aus dem Straßenverkehr zu drücken. Bisher ist festgelegt, dass Neuwagen 2020 im Flottendurchschnitt nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen sollen.

Offen ist, ob durch einen allzu raschen Wandel von Verbrennern zu alternativen Antrieben mehr Jobs verloren gehen als hinzukommen. VW-Chef Herbert Diess warnte in der «Süddeutschen Zeitung»: «Die Transformation in der Geschwindigkeit und mit den Auswirkungen ist kaum zu managen.» Sollte gar das 40-Prozent-Ziel angepeilt werden, dürfte «etwa ein Viertel der Jobs in unseren Werken wegfallen».

Gleichzeitig werde Geld, das Volkswagen in den Fonds für Stickoxid-belastete Städte eingezahlt habe, «überhaupt nicht abgerufen». «Ich bin schon sehr enttäuscht über die Haltung, die einem da oft begegnet», sagte Diess etwa zur schleppenden Umrüstung alter Busse. Daimler und Opel äußerten sich nicht zu den EU-Zielen.

Auch aus dem Branchenverband VDA kam Kritik: Der Kompromiss sorge nicht für eine «Balance zwischen Klimaschutz und Beschäftigung in Europa», sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes im RBB. Im Bayerischen Rundfunk ergänzte er: «Es geht uns gar nicht darum, dass wir gegen die Transformation sind. Sondern wir sind gegen eine zu schnelle Transformation, in der wir notwendige Veränderungen der Strukturen und Arbeitsabläufe nicht schnell genug berücksichtigen können.»

Bis 2030 sind indes noch zwölf Jahre Zeit - das umfasst etwa zwei volle Modellzyklen. Thomas Schlick, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, meinte immerhin: «Positiv ist für die Autobauer, dass nun langfristig klare Rahmenbedingungen abgesteckt wurden.»

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), zog eine gemischte Zwischenbilanz. «Es war wichtig, dass Deutschland sein Gewicht für den ausgewogenen Vorschlag der EU-Kommission in die Waagschale geworfen hat», sagte er. Aber er mahnte zugleich: «Die Regierungen stehen nun in der Verantwortung, in den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament auf Lösungen zu dringen, die kurzfristige gravierende Strukturbrüche vermeiden.»

Neben der Klimaschutz-Frage bewegt die Branche auch die Aussicht auf weitere Fahrverbote für Diesel. Dabei gibt es ein Grundsatzproblem: Einerseits ist der CO2-Ausstoß vieler älterer Diesel im Vergleich zu Benzinern ähnlicher Motorleistung geringer, andererseits aber ist ihre Stickoxid-Belastung tendenziell höher - was Gesundheitsrisiken erhöht und die Debatte um gerissene Schadstoff-Grenzwerte anheizt.

Nach dem Diesel-Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wurden Zweifel am Sinn kleinteiliger Fahrverbote für wenige Straßen laut. Gegen die Bundesregierung und Autobauer richtet sich der Vorwurf, zu spät und längst nicht ausreichend auf die Abgasprobleme reagiert zu haben. «Es droht ein Flickenteppich von Fahrverboten in deutschen Städten», sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, der dpa. Hersteller müssten Hardware-Nachrüstungen finanzieren.

Die SPD brachte Bußgelder gegen Autobauer ins Spiel, das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium will davon aber erst einmal absehen. Deutsche und ausländische Hersteller müssten sich zu Nachrüstungen von Dieselautos bekennen und für Städte mit drohenden Verboten die Kosten übernehmen, forderte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. Bei Weigerung sollte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für jedes Auto mit Schummelsoftware ein Bußgeld von 5.000 Euro verhängen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die auch das Fahrverbot in Berlin per Gericht durchgesetzt hat, pocht weiter auf eine «Blaue Plakette» an sauberen Fahrzeugen. In der Hauptstadt sollen für mindestens elf Straßenabschnitte bis Mitte 2019 Diesel-Fahrverbote verhängt werden.

Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer meinte: «Das wird jetzt Stadt für Stadt so weiter gehen, dass die Gerichte Fahrverbote verhängen.» Die Bundesregierung müsse ein neues Paket erarbeiten. «Das Ergebnis des letzten Dieselgipfels ist bei den Richtern durchgefallen.»

Unklar bleibt, ob die Berliner Variante mit streckenbezogenen Verboten wirksam ist, wenn nur kurze Abschnitte gesperrt werden. «Es ist anzunehmen, dass die Autofahrer andere Strecken nehmen, die nicht betroffen sind», sagte der Verkehrswissenschaftlers Gernot Sieg. «An den Messstellen werden zwar die Grenzwerte erreicht, aber es wird einfach anders verteilt.» FDP-Experte Oliver Luksic sagte: «Einzelne Sperrungen für wenige Meter in Berlin führen zu direkten Umgehungen und bringen nur Bürokratie, Wertverluste und Verunsicherung.»

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