Wenig Aufmerksamkeit, viele Stimmen

FDP schickt Beer nach Brüssel

Foto: epa/Adam Berry
Foto: epa/Adam Berry

BERLIN (dpa) - Sie will die Europäische Union wieder zum «Leuchten» bringen. Die FDP kürt ihre Generalsekretärin Beer zur Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die Wahl ist Routine - spannend wird es anderswo.

Die Spitzenkandidatin ist nicht zu beneiden. Als Nicola Beer beim FDP-Europaparteitag zu reden beginnt, geschieht, was so häufig geschieht, wenn sie sich einem Mikrofon nähert: Es wird laut im Saal. Anwesende unterhalten sich angeregt, während die Generalsekretärin den Leitantrag des Vorstands zur Europawahl vorstellt und sich dabei einmal quer durchs Parteiprogramm ackert. Vom freien Handel über weitreichende Reformen der EU-Architektur bis hin zu mehr Programmen zum Gang ins EU-Ausland ist alles dabei. Ein Zuhörer liest Zeitung, etliche schauen aufs Smartphone.

Dem Stargast, der liberalen dänischen EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, ergeht es kaum besser als Beer. Die Frau, die in Brüssel Tech-Giganten wie Google und Apple Milliardenstrafen aufbrummt, spricht ins Stimmengewirr von den Ängsten der Europäer und was die Liberalen mit ihrem Glauben an Möglichkeiten und Freiheit dem entgegensetzen könnten.

«Ihr kennt mich», ruft die 49-jährige Juristin Beer den Delegierten wenig später bei ihrer knappen Bewerbungsrede direkt vor der Wahl zu. «Ich bin mehr das mittelalte Kaliber, dafür aber schlacht- und aufbauerfahren.» Seit 2013 ist sie Generalsekretärin, jemand der viel weiß, es aber selten prägnant auf den Punkt bringt. Sie wird gewählt, mit jenen soliden 86 Prozent, die auch ihr Vorgänger Alexander Graf Lambsdorff beim Parteitag vor den Europawahlen 2014 holte. Herausforderer gibt es nicht. «Genau mit der Motivation werden wir das Ding rocken!»

Es rockt jemand anderes. Jubel, dröhnenden Applaus, bekommt nicht etwa das Gesicht der Liberalen im anstehenden Europawahlkampf, sondern die Frau auf Platz 2: Die 29-jährige PR-Managerin Svenja Hahn aus Hamburg, die auch die liberalen europäische Jugendorganisation LYMEC führt und die lautstarken Jungen Liberalen hinter sich hat.

Ein wenig ist das aber auch Beers Sieg: Hahns deutlich unterlegene Gegnerin, die Europaabgeordnete Nadja Hirsch, hat sich kurz vor dem Parteitag öffentlich gegen Beer gestellt. Sie erzählte dem «Spiegel», Beer habe vor einer Abstimmung im EU-Parlament versucht, Einfluss auf sie zu nehmen im Sinne der rechtsnationalen ungarischen Regierung von Viktor Orban. Die Geschichte über die engen privaten Bindungen insbesondere ihres Mannes in das Umfeld Orbans kam Beer höchst ungelegen, seither ist Beer in der Defensive.

«Ich habe keinerlei Sympathien für Herrn Orban» und auch nicht für dessen Ideen von einer «illiberalen Demokratie», die mit Einschränkungen der Presse- und Wissenschaftsfreiheit einhergeht, sagte sie nun. Für Beer ist es noch einmal gut gegangen. Auch ihre öffentlichen Zweifel am Zusammenhang von Erderwärmung und extremen Wetterereignissen wie Dürreperioden und Überschwemmungen haben innerparteilich nicht geschadet.

Wo Beer um Aufmerksamkeit ringen muss, dominiert einer wie gewohnt: Wenn Partei- und Fraktionschef Christian Lindner spricht, wird es still. Der Chef verdammt den Kompromiss zum Ausstieg aus der Kohle als ideologischen Unsinn und straft die AfD ab: «Eine Partei, die das Europäische Parlament abschaffen will, die sollte zu seiner Wahl gar nicht erst antreten.»

Nebenbei fordert Lindner eine Reform der europäischen Regelungen, wonach auch für Kinder im Ausland Kindergeld auf dem Niveau des Aufenthaltsorts der Eltern gezahlt wird. «Bei der Freizügigkeit haben wir ein Problem, wenn es darum geht, dass manche Menschen sich nur den Standort wählen wollen, wo sie dann nicht arbeiten mögen, um sozialstaatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.» So ein Geschäftsmodell dürfe es nicht geben - und eine Reform wäre doch ein wünschenswertes Signal an die austrittswilligen Briten.

Das gab es allerdings schon: Die EU-Staats- und Regierungschefs stellten dem damaligen britischen Premier David Cameron eine Reform in Aussicht. Das Kindergeld sollte an die Lebenshaltungskosten am Aufenthaltsort des Kindes angepasst werden. Geholfen hat es nichts, die Briten stimmten wenige Monate später für den Brexit. Aber nun soll sich ja vieles ändern: Die FDP hofft auf mindestens neun statt bisher drei Sitzen im EU-Parlament und darauf, dass die liberale Dachpartei Alde zweitstärkste Kraft wird. «Wir wollen Europa so verändern, dass es wieder leuchtet», verspricht Beer.

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