«Welt»-Journalist Yücel wegen Terrorpropaganda verurteilt

Der Welt Journalist Deniz Yücel bei der Arbeit im Newsroom der Welt. Ein Gericht in Istanbul hat den «Welt»-Journalisten Deniz Yücel wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu mehr als zw... Foto: Marlene Gawrisch/Welt/dpa
Der Welt Journalist Deniz Yücel bei der Arbeit im Newsroom der Welt. Ein Gericht in Istanbul hat den «Welt»-Journalisten Deniz Yücel wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu mehr als zw... Foto: Marlene Gawrisch/Welt/dpa

ISTANBUL: «Willkürlich» und «politisch» - die Verurteilung Deniz Yücels wegen Terrorpropaganda in der Türkei stößt auf scharfe Kritik. Und schon während der Verkündung wird klar: Ein Ende des Falls ist das nicht.

Knapp zweieinhalb Jahre nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in der Türkei ist der «Welt»-Journalist Deniz Yücel in Istanbul wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verurteilt worden. Er erhalte eine Strafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen, entschied das Gericht am Donnerstag in Istanbul. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen wurde Yücel freigesprochen, wie aus dem Gerichtsprotokoll hervorgeht. Demnach wurden auch neue Strafanzeigen gegen Yücel gestellt.

Die Entscheidung stieß auf scharfe Kritik. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte, sie sende das «absolut falsche Signal» und trage nicht dazu bei, Vertrauen in die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Türkei aufzubauen. Yücel, der inzwischen in Deutschland lebt und nicht an der Verhandlung teilnahm, schrieb in der «Welt», es handele sich um ein «politisches Urteil.»

Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, dies zeige erneut, wie «erbärmlich» es um die türkische Justiz bestellt sei. Das Gericht habe sich über das Urteil des Verfassungsgerichts hinweggesetzt. Das hatte im vergangenen Jahr Yücels einjährige Untersuchungshaft unter anderem mit Verweis auf die Pressefreiheit für rechtswidrig erklärt. Yücels Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit seien verletzt worden.

Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Monatelang saß er in Einzelhaft. Erst nach langem politischen Tauziehen kam Yücel frei und durfte ausreisen. Gleichzeitig wurde Anklage wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung erhoben.

Hintergrund der Anschuldigen gegen Yücel waren unter anderem Artikel, die der 46-Jährige in seiner Zeit als Türkei-Korrespondent in der «Welt» veröffentlicht hatte. Darunter ist etwa ein Interview mit dem Kommandeur der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Cemil Bayik.

Sichtlich verärgert war Yücels Anwalt Veysel Ok darüber, dass mit dem Urteil gegen seinen Mandanten neue Strafanzeigen wegen Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates gestellt wurden. Die Vorwürfe beziehen sich dem Gerichtsprotokoll zufolge unter anderem auf einen Artikel Yücels mit der Überschrift «Putschist» aus dem Jahr 2016 und auf die schriftlich eingereichte Verteidigungsrede Yücels. Der Journalist nannte das «skandalös». Damit werde die «unantastbare Verteidigung eines Angeklagten vor Gericht kriminalisiert», sagte er der dpa.

«Deniz Yücel ist unschuldig und hat nur seine Arbeit als Journalist gemacht», erklärte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, zum Urteil. Es zeige, wie «politisiert und willkürlich» die türkische Justiz sei. Die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir werteten die Entscheidung als «Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der Türkei.»

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der «Welt» zum Urteil: «Die Türkei wendet sich von den gemeinsamen demokratischen Werten ab.» Sigmar Gabriel (SPD), der während Yücels Inhaftierung in der Türkei Außenminister war und in dem Fall vermittelte, schrieb auf Twitter: «Heute bin ich doppelt froh, dass wir Deniz Yücel damals aus der türkischen Haft heraus und zurück nach Deutschland bringen konnten. Danke allen, die damals mitgeholfen haben.»

Yücel war im Frühjahr 2015 als Korrespondent für die «Welt» in die Türkei gegangen. Wegen seiner kritischen Artikel geriet er schnell in das Visier der türkischen Justiz. Als er Ende 2016 erfuhr, dass er auf einer Fahndungsliste stand, tauchte er zunächst unter. Im Februar 2017 stellte er sich und wurde verhaftet.

Wie erst im Mai vergangenen Jahres bekannt wurde, war Yücel in seiner Haftzeit misshandelt worden. In einer Aussage vor dem Amtsgericht Berlin zu seinem Prozess berichtete Yücel von Schlägen, Tritten, Erniedrigungen und Drohungen durch Vollzugsbeamte. Yücel machte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich dafür verantwortlich. Erdogan hatte Yücel während seiner Haftzeit beschimpft und ihn unter anderem als «Agentterrorist» bezeichnet. So nannte der Journalist auch sein Buch, in dem er die Haft verarbeitet.

Maas erinnerte auch daran, dass noch zahlreiche deutsche Staatsangehörige in der Türkei inhaftiert seien. «Dabei sind in mehreren Fällen mindestens die Strafvorwürfe nicht klar nachvollziehbar», erklärte er. Solange diese Fälle nicht gelöst seien, «steht das entgegen einer Normalisierung des Verhältnisses der Türkei gegenüber uns wie auch der Europäischen Union insgesamt.»

Im Jahr 2017 hatte eine ganze Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger aus «politischen Gründen» zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Nach Angaben der Bundesregierung befinden sich zurzeit 62 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft. Aus «politischen Gründen» inhaftierte Deutsche werden nicht mehr gesondert aufgeführt. Zudem sind der Bundesregierung 65 Fälle von Deutschen bekannt, die aufgrund von Ausreisesperren die Türkei nicht verlassen können.

Am Donnerstag wurde auch das Verfahren gegen den wegen Terrorvorwürfen angeklagten Türkei-Deutschen Enver Altayli in Ankara fortgesetzt. Anträge auf Freilassung des 75-Jährigen und weiterer Angeklagter in dem Verfahren seien abgelehnt worden, sagte seine Tochter Dilara Yilmaz der dpa. Der Prozess soll Yilmaz zufolge am 30. September fortgesetzt werden.

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Markus Boos 17.07.20 13:52
@ Beat Sigrist
Sehr optimistisch, jedoch absolut richtig. Doch die EU wird das wieder mit gut Zureden lösen wollen.
Ein zahnloser Verein. Leider
Beat Sigrist 17.07.20 12:52
Jetzt ist die EU gefragt!
Für die ganze politische Führung der Türkei muss jetzt ein Einreiseverbot in die EU und den Schengen Staaten ausgesprochen werden. Alle Bankkonten sollten jetzt eingefroren werden, so wie es die USA macht mit Schurkenstaaten. Was aber noch viel wichtiger wäre, ein sofortiger Ausschluss aus der Nato bis die Türkei wieder eine demokratische Regierung besitzt und nicht von einem Diktator regiert wird.Schade um das sehr schöne Land und die etwa 45% der Bevölkerung welche schon sehr lange auf eine neue demokratische Regierung hofft.