Weiter so oder Kurswechsel? Was Frankreichs Wahlen für Europa heißen

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PARIS: Nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel stehen in Deutschland die Zeichen auf Neuausrichtung. Deutschlands starker Partner in der EU wählt bald ebenfalls. Steht ein Präsidentenwechsel in Frankreich und damit womöglich eine Zeitenwende in der EU bevor?

Die Aussichten für Europa könnten aus Frankreich betrachtet rosiger sein. Denn abgesehen vom amtierenden Staatschef und EU-Freund Emmanuel Macron hatten zuletzt vor allem zwei Europaskeptiker die Nase in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl im kommenden April vorne. Namentlich das Schwergewicht der französischen extremen Rechten, Marine Le Pen, und der politische Neuling und Rechtspopulist Éric Zemmour. Mit der neuen republikanischen Kandidatin Valérie Pécresse kommt aber neue Dynamik in das Rennen. Was bedeutet das auch angesichts des Regierungswechsels in Deutschland für die Europäische Union?

Während Le Pen im Wahlkampf 2017 noch mit einem «Frexit», einem französischen EU-Austritt warb, ist die Rechtsaußenpolitikerin inzwischen davon abgekommen. Seit Jahren versucht sie, ihre Partei auf einen gemäßigteren Kurs und damit zu Wahlerfolgen zu führen. Die Neuausrichtung ging gar mit einem Namenswechsel ihrer Partei einher. War Le Pen 2017 noch Kandidatin des Front National, geht sie nun für das Rassemblement National ins Rennen.

Dennoch sucht Le Pen vor allem mit denen den Schulterschluss, die mit der EU auf Konfrontationskurs stehen - Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban etwa oder Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki. So spricht sie von imperialistischen Visionen aus Brüssel, fordert mehr Souveränität für Frankreich. Ihr Ziel als Präsidentin ist ein Europa der Nationen, in dem Länder nur dann bei gemeinsamen Projekten mitmachen, wenn es ihnen passt. In den Umfragen liegt sie aktuell zwischen 16 und 18 Prozent. Sie kandidiert zum dritten Mal für die Präsidentschaft.

Auch Zemmour dürfte eher auf Kuschelkurs mit Europas Rechtsnationalen als mit der Bundesregierung oder den EU-Institutionen gehen. Noch bleibt der Publizist, der immer wieder mit rechtspopulistischen Aussagen für Empörung sorgt, beim Thema EU vage. Doch auch er fordert etwa den Vorrang französischen Rechts vor der EU-Gesetzgebung. In den Umfragen lag er zeitweise sogar vor Le Pen, sackte zuletzt aber auf 13 bis 14 Prozent ab.

Während wochenlang Macron, Le Pen und Zemmour in den Umfragen hervorstachen, könnte sich das Blatt nun wenden. Nach der Ernennung von Valérie Pécresse zur Kandidatin der konservativen Republikaner schossen ihre Zustimmungswerte hoch. Institute sahen sie zuletzt gleichauf mit Le Pen und damit als ernstzunehmende Konkurrenz für Macron. Wie Macron ist auch Pécresse europafreundlich, will die Gemeinschaft stärken, etwa beim Thema Verteidigung. Macrons Europa-Staatssekretär Clément Beaune warf ihr in Folge der Ausführung ihrer Europapläne vor, die aktuelle Politik zu kopieren.

Dem Pro-Europäer Macron gelang 2017 bei seiner ersten Kandidatur der Sieg. Wohl auch, weil sein schärfster Konkurrent neben Le Pen, der Konservative François Fillon, kurz vor der Wahl erheblich von Enthüllungen über eine mutmaßliche Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope auf Parlamentskosten geschwächt wurde.

Immer wieder hatte Macron in seiner ersten Amtszeit aber mit politischen Krisen zu kämpfen. Da waren die wochenlangen, teils gewaltvollen Gelbwestenproteste, Demonstrationen gegen die Rentenreform und eine Affäre um einen ehemaligen Sicherheitsmitarbeiter. Trotz seines Willens, die Politik umzukrempeln, blieben Kritik an Regierungsstil und dem System der französischen Politikelite haften.

Der französischen Linken werden bei den Wahlen derzeit keine Chancen auf den Sieg ausgerechnet. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten dümpeln teils zwischen fünf und zehn Prozent. Versuche eines Zusammenschlusses erhielten zuletzt reihenweise Absagen aus den einzelnen Parteien.

Favorit für die Wahlen ist deshalb nach wie vor Macron, den in Umfragen etwa ein Viertel der Französinnen und Franzosen unterstützen. In Frankreich gibt es für gewöhnlich zwei Runden bei den Präsidentschaftswahlen. Geht kein Kandidat und keine Kandidatin aus der ersten Abstimmung mit absoluter Mehrheit hervor, fällt die Entscheidung in einer Stichwahl. Dass in einer zweiten Wahlrunde eine Mehrheit der Bevölkerung mit Zemmour oder Le Pen Rechtsaußen wählt, gilt als unwahrscheinlich. Die Wahl eines Pro-Europäers in Gestalt von Macron oder womöglich Pécresse scheint daher in der aktuellen Situation ein realistisches Szenario.

Entsprechend macht man sich in Brüssel momentan keine Sorgen, dass die wichtige Achse Berlin-Paris künftig wegfällt, Deutschland und Frankreich keine Zugpferde der EU mehr sein werden. Das EU-Engagement der Ampel-Koalition steht außer Frage. Und bevor es in Frankreich an die Wahlurnen geht, kann das Land der EU noch einmal seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken, wenn zum neuen Jahr die französische EU-Ratspräsidentschaft beginnt.

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