Weichenstellungen und Stimmungstests

 Michael Häupl. Foto: epa/Christian Bruna
Michael Häupl. Foto: epa/Christian Bruna

WIEN (dpa) - Die SPÖ muss sich in ihrer ungewohnten Rolle als Oppositionspartei noch zurechtfinden. Eine Personalentscheidung am Samstag wird dabei eine große Rolle spielen. Zugleich bekommt die Regierung erste Noten.

Er war mindestens der zweitwichtigste Mann in Österreichs Sozialdemokratie: Michael Häupl. Nach 24 Jahren wird der höchst einflussreiche 68-jährige Chef der Wiener SPÖ am Samstag abgelöst - und wird im Mai für seinen Nachfolger auch den Platz an der Spitze der Hauptstadt räumen. Die Wahl der fast 1.000 Delegierten kommt einer Weichenstellung gleich. Erstmals treten im wichtigsten SPÖ-Landesverband zwei Kandidaten in einer Kampfabstimmung an. Sie verkörpern eine unterschiedliche Ausrichtung. Der bedächtig-sachliche Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (56) gilt als Mann der Mitte, der auch die Nöte und Ängste mancher Wähler der FPÖ durchaus versteht. Der spitzzüngig-selbstbewusste SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder (48) scheint eher geneigt und geeignet, Wähler auch weit links abzuholen.

Überdeutlich signalisiert der Vorgang: Die SPÖ ringt auf vielen Ebenen mit ihrer Ausrichtung und auch mit ihrer neuen Rolle als Oppositionspartei. «Der parteiinterne Machtkampf zweier Lager raubt Kraft und Zeit beim Agieren gegen die schwarz-blaue Bundesregierung», sagt der Politologe Peter Filzmaier. Es geht für die Sozialdemokraten um nichts Geringeres, als bei der Landtagswahl 2020 das «rote Wien» gegen den Höhenflug der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ zu verteidigen. SPÖ-Chef und Ex-Bundeskanzler Christian Kern, der so schnell wie möglich wieder Regierungschef werden will, hat eine Devise ausgegeben: Nach dem Parteitag die Reihen schließen und Wien markant als «Politik-Alternative» gegen ÖVP und FPÖ positionieren.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die soziale Karte. Die Pläne der neuen rechtskonservativen Bundesregierung, die Notstandshilfe für sozial Schwache abzuschaffen, stoßen im rot-grün regierten Wien genauso auf Ablehnung wie der Vorstoß, dass die Mindestsicherung gedeckelt und die Leistungen für Asylbewerber beschränkt werden sollen. Die von ÖVP und FPÖ angesichts des Wirtschaftsbooms gestrichene «Aktion 20.000» zur Integration von Langzeitarbeitslosen kritisierte Schieder als «Abschaffung der Arbeitsmarktpolitik».

Schieder wie Ludwig setzen auf das Thema leistbares Wohnen. Dank der langen Tradition der Stadt beim Bau von Gemeindewohnungen profitierten aktuell 500.000 Menschen, also jeder vierte Bürger Wiens, von den günstigen Mieten der Sozialwohnungen, rechnet Ludwig vor. In der durch Zuwanderung stark wachsenden Stadt sollen weiter Tausende geförderte Wohnungen pro Jahr entstehen, Schieder spricht
von 25.000 bis 2025.

Wie dringend die SPÖ in ihrer Hochburg, in der sie seit 1945 ununterbrochen den Bürgermeister stellt, ihr Profil schärfen muss, zeigte die Nationalratswahl im Oktober 2017. ÖVP und FPÖ kamen in der mittlerweile zweitgrößten Stadt im deutschen Sprachraum zusammen auf 42 Prozent, SPÖ und Grüne nur auf rund 40 Prozent. «Das nehme ich sehr ernst. Da schrillen die Alarmglocken», sagt Ludwig. Denn bei der Wahl 2020 liebäugelt auch FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit einer Kandidatur um den Posten im prächtigen Rathaus.

Die neue ÖVP-FPÖ-Regierung muss sich im Superwahl 2018 - vier Landtage werden neu bestimmt - am Sonntag (28. Januar) einem ersten Stimmungstest stellen. Dann wird in Niederösterreich, dem Bundesland mit den meisten Wählerstimmen, ein neues Parlament gewählt.

Dort darf die ehemalige Innenministerin und neue Ministerpräsidentin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) laut Umfragen mit rund 45 Prozent rechnen. Das wäre zwar der Verlust der absoluten Mehrheit, aber unbestritten ein sehr achtbares Ergebnis. Die FPÖ wird sich auch wegen ihres mäßigen Erfolgs von 2013 mit damals nur 8,2 Prozent wohl mindestens verdoppeln. Die SPÖ dürfte mit 26 Prozent ihren zweiten Platz hinter der ÖVP verteidigen. Die Grünen bangen, ob sie wie bei der Nationalratswahl aus einem Parlament fliegen.

Ludwig macht sich und der SPÖ jedenfalls Mut und setzt auf die mittel- bis langfristige Entzauberung des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Dessen Popularität werde sich abschwächen, wenn klar werde, dass die Bundesregierung stärker auf Seiten der Hauseigentümer und nicht auf Seiten der Mieter stehe, hofft er.

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