«We will miss them»

Letzte Sitzungswoche für Briten in Straßburg

Foto: epa/Clemens Bilan
Foto: epa/Clemens Bilan

STRAßBURG (dpa) - Am 31. Januar soll Großbritannien die EU verlassen. Im Europaparlament debattieren die Parlamentarier aus dem Vereinigten Königreich noch einmal mit ihren Kollegen. Welche Änderungen bringt der Brexit für das EU-Parlament und die Abgeordneten?

In der blassen Wintersonne glänzen die silberfarbenen Fahnenstangen vor dem Straßburger Europaparlament. An einem der Pfosten flattert der Unionjack, voraussichtlich zum letzten Mal in einer Sitzungswoche in der französischen Stadt. «Jetzt ist der Kampf verloren», sagt der Labour-Abgeordnete Seb Dance der Deutschen Presse-Agentur. «Ein unglaubliches Gefühl der Traurigkeit».

Dance hat gegen den Brexit gekämpft, vergeblich. Am 31. Januar soll der britische EU-Austritt nun tatsächlich über die Bühne gehen. Für Dance ist es das Ende seiner Karriere im Europaparlament - und das Ende eines historischen Kapitels. «Der Job ist ein Job, aber die Beziehung, die man zum eigenen Land hat, wird sich auf eine Weise ändern, die wirklich bestürzend ist», sagt Dance. Was er seinen Kollegen im Parlament als Botschaft hinterlassen möchte? «Nehmt nichts als selbstverständlich. Vielleicht ist niemand anderes dumm genug, ein Rein-Raus-Referendum abzuhalten.»

Auch den Parlamentskollegen aus anderen EU-Ländern fällt der Abschied von den Briten nicht leicht. «Mit Ausnahme der Abgeordneten der Brexit Party waren die britischen Kolleginnen und Kollegen fraktionsübergreifend respektiert», sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU) - «We will miss them.» (Auf Deutsch: «Wir werden sie vermissen.») Ohne die Briten werde das Parlament nicht nur kleiner, sondern auch ärmer an politischer Kontroverse, an trockenem Humor und häufig guter Rhetorik, sagt auch der Linken-Brexit-Experte Martin Schirdewan.

Straßburg ist die vorletzte Etappe - zum allerletzten Mal werden die Briten Ende Januar in Brüssel an einer Sitzung des Europaparlaments teilnehmen und dann auch noch fast als letzte Amtshandlung über das Brexit-Abkommen abstimmen. Zwei Tage später, um Mitternacht, soll die Mitgliedschaft in der EU dann beendet sein. «Ich wünsche den Briten viel Erfolg und der EU, dass sie endlich aufwachen und von ihrem Irrweg abkehren möge», gibt ihnen der AfD-Europaabgeordnete Jörg Meuthen mit auf den Weg.

Für die 73 Briten im Europaparlament heißt es zwar «Goodbye» - doch für 27 Politiker aus 14 EU-Staaten startet mit dem Brexit die Amtszeit im Europaparlament. So war es in einer Parlamentsreform 2018 beschlossen worden, die jetzt erst wirksam wird, weil der britische EU-Austritt insgesamt drei Mal verschoben wurde.

Damals einigte man sich darauf, mit dem Abschied des großen Mitgliedsstaats auch das Europaparlament zu verkleinern von heute 751 auf 705 Abgeordnete. Die 46 Mandate werden in einer Reserve geparkt, bis der EU möglicherweise neue Mitgliedsstaaten beitreten. 27 Mandate sollen dagegen an jene Länder verteilt werden, die bisher im Europaparlament im Verhältnis zur Bevölkerung zu wenige Sitze haben.

Deutschland ist davon nicht betroffen, es behält wie bisher 96 Mandate. Frankreich und Spanien sollen nun indes jeweils fünf Sitze mehr bekommen, Italien und die Niederlande jeweils drei und Irland zwei. Mehrere weitere Staaten bekommen jeweils einen neuen Parlamentarier.

Welche neuen Abgeordneten kommen, ist dem EU-Parlament noch nicht in jedem Fall bekannt. «Wir warten noch auf die Meldung aus einigen Mitgliedsstaaten», sagte ein Sprecher des Europaparlaments am Montag. Sollten die Namen nicht alle rechtzeitig genannt werden, bleiben die Mandate übergangsweise vakant. Wie sich die Stärke der Fraktionen durch die neue Zusammensetzung ändert, steht noch nicht fest.

Einige der neuen Abgeordneten haben sich allerdings bereits selbst zu Wort gemeldet - und zwar ziemlich gefrustet über die lange Wartezeit wegen des immer wieder verschobenen Brexits. Der sollte ja eigentlich schon am 29. März 2019 über die Bühne gehen, wurde dann aber auf den 12. April, den 31. Oktober und letztlich auf den 31. Januar vertagt. Die Nachrücker stehen in einigen Ländern bereits seit der Europawahl fest und drehen seither Däumchen.

«Das ist aus meiner persönlichen Sicht natürlich frustrierend», sagte der designierte irische Abgeordnete Barry Andrews aus Dublin im Herbst dem irischen Sender RTE. Er habe die vergangenen Monate mit Redeverpflichtungen und freiwilligem Engagement überbrückt. Staatliche Gelder oder Diäten standen ihm in der Zeit noch nicht zu. Nachrückende Abgeordnete hätten keinerlei Anspruch auf Vergütungen, bevor Sie ihr Amt antreten, erklärt das Europaparlament.

Auch die scheidenden britischen Abgeordneten müssen nach dem Brexit wohl wieder einen neuen Job suchen. Abgeordnete, die mindestens ein volles Jahr im Amt waren, haben nach Angaben des EU-Parlaments bei Ende ihres Mandats aber immerhin Anspruch auf ein Übergangsgeld. Sie bekommen für jedes Jahr ihres Mandats ein Monatsgehalt.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 15.01.20 13:37
Die Briten werden jetzt in den harten Alltag ohne EU entlassen. Das dürfte kein "Independent day" sein am 31.01.2020. Auch Träumereien vom Aufleben eines Empires werden versinken, da nichts härter ist, als die Realität.