Was ist ein Optimist?

Was ist ein Optimist?

Mein Leben lang war ich ein Optimist. Überall sah ich Hilfsbereitschaft, überall freundliche Leute, Sonne und zufriedene Menschen. Vielleicht hatte ich einen Sehfehler. Ich blendete Katastrophen aus. Wahrscheinlich als Selbstschutz. Aber wer sich selbst belügt, wird am Ende irre oder ernüchtert.

Ich kann heute die Erkenntnis nicht mehr leugnen, dass unsere Erde dabei ist, sich mit unserer massiven Unterstützung selbst zu zerstören. Wir beuten unseren Planeten aus, um uns zu bereichern. Wir fällen die Wälder, um sie zu verbrennen. Wir holen die Erdschätze aus der Tiefe, um mobil zu bleiben und versauen vorsätzlich das Erdklima. Wir halten die Organisation „Future for tomorrow“ für sinnvoll und belächeln sie zugleich. Wir drehen den Globus in alle Richtungen auf der Suche nach Ländern, wo Frieden herrscht, wo Freiheit und Bildung gedeihen, wo Demonstrationen und das Recht auf sexuelle und religiöse Selbstbestimmung selbstverständlich sind. Das Ergebnis ist vernichtend und verschlimmert sich von Tag zu Tag. Es ist unnötig hier all die Länder aufzuzählen, die bis vor wenigen Jahren noch als Demokratien eingeschätzt wurden. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Selbst Europa rutscht auf der Friedensliste ab. Die Kriegsmaschinerie wird wieder angeworfen. China erhöht seine Militärausgaben in diesem Jahr um sechs Prozent. Menschen leben millionenfach in Angst und verlassen ihre Heimatländer, um in noch erbärmlicheren Unterkünften zu landen. Meine Hoffnung auf die Zukunft ist nachhaltig erschüttert. Im Fernsehen muss ich mit ansehen, wie Flüchtlinge wieder aufs Meer zurückgeschickt werden, ich sehe Menschen, die stundenlang bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee für einen Becher Suppe anstehen. Und gleichzeitig sehe ich die sogenannten Reichen und Schönen, die ihr Geld verschleudern für Protz und ihre arrogante Lebensart. Bei ihrem Anblick kann ich gar nicht soviel kotzen wie ich möchte. Haben diese Typen – abgesehen von einem sehr kleinen Teil von ihnen- sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was der Welt durch ihren Lebensstil verloren geht? Nein. Die Welt scheint für ihren Luxus geschaffen. Danach wird ein Mausoleum von ihrem Scheißleben zeugen.

Da lobe ich mir meine Thai-Freunde, die auch alle kaum mehr besitzen, als sie zum Leben brauchen. Sie und ich, wir geben den Bettlern Abend für Abend ein paar Baht, damit sie und ihre Familien überleben können.

Wir verbrauchen zu viel Strom, zu viel Wasser und lassen zu viel Nahrung verkommen. Ein Großteil der Menschheit lebt vor sich hin, ohne zu bedenken, wie unsere Nachkommen einst leben könnten. Wird das Wort „Würde“ noch die Bedeutung haben, die sie uns bedeutet? Täglich gehen enorme Werte verloren. Ich bin zutiefst traurig über den Egoismus der Menschen. Ihren Fehler werden sie – wenn überhaupt – wohl erst begreifen, wenn ihr letztes Stündlein naht. Bei aller Ernsthaftigkeit habe ich heute einen Witz gehört, mit dem ich diese Kolumne ebenso ernsthaft beenden will: Zwei Kontinente treffen sich im Weltall. Sagt der Eine zum anderen: „Du siehst schlecht aus. Was hast du?“ – Der Andere antwortet: „Ich hab‘ Menschen“. Sagt der Eine: „Macht nichts. Das geht vorbei“.

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