«Was für eine verrückte Nacht» - Tel Aviv trotzt den Raketenangriffen

Aus Gaza abgefeuerte Raketen fliegen in Richtung Israel, gesehen von Gaza-Stadt aus. Foto: epa/Mohammed Saber
Aus Gaza abgefeuerte Raketen fliegen in Richtung Israel, gesehen von Gaza-Stadt aus. Foto: epa/Mohammed Saber

TEL AVIV: Die Menschen in der Küstenmetropole bemühen sich nach einer langen Raketennacht um Normalität. Doch der Schrecken wirkt nach. Die Intensität der Angriffe ist ungewohnt.

Am Morgen wirkt es im Tel Aviver Süden fast so, als sei nichts geschehen. Junge Pärchen gehen im Szeneviertel Florentin mit ihren Hunden Gassi, Imbissbesitzer stellen Tische und Stühle auf die Bürgersteige. In den Cafés sitzen die ersten Gäste in der Sonne, frühstücken und trinken einen Espresso.

Die Menschen in Israel sind Krisen gewöhnt. Und doch ist die Stimmung in der Küstenmetropole nach dem massiven Raketenbeschuss der vergangenen Nacht gedämpfter als an anderen Tagen. Viele schauen gebannt auf ihre Handys, verfolgen die neuesten Nachrichten.

«Was für eine verrückte Nacht», ruft ein Gast in einem Florentiner Café den Umstehenden zu. Das Sirenengeheul und der Schrecken dürfte vielen noch in den Knochen stecken. Viele haben lange in Schutzräumen ausgeharrt, Schlaf ist nur schwer möglich gewesen.

Tel Aviv ist in den vergangenen Jahren nicht häufig Ziel von Raketenangriffen gewesen. Kam es dazu, dann war die Zahl der Raketen eher gering. Doch in der Nacht auf Mittwoch schossen militante Palästinenser regelrechte Salven aus dem etwa 70 Kilometer entfernten Gazastreifen in Richtung des bedeutendsten Wirtschaftszentrums des Landes. In Medienberichten ist von rund 200 Geschossen die Rede. Armeesprecher Jonathan Conricus berichtet am Mittwochmorgen von insgesamt mehr als 1000 Raketen, die binnen der vergangenen 38 Stunden auf Israel abgefeuert wurden.

Die meisten Raketen fängt das Abwehrsystem «Iron Dome» (Eisenkuppel) ab. Seine Erfolgsquote beziffert das Militär auf etwa 90 Prozent. Deutlich ist in der Nacht auf Mittwoch immer wieder ein Rumpeln am Nachthimmel über Tel Aviv zu hören.

«Ich hab mir fast in die Hosen gemacht», sagt ein Kioskbesitzer in Florentin nach der ersten Raketenwelle, die gegen 21.00 Uhr einsetzt. Für ihn ist der Beschuss mit Raketen sogar eine Premiere gewesen. Sechs Stunden später ertönen die Sirenen erneut und reißen Schlafende aus dem Bett.

Die meisten Häuser und Wohnungen in Tel Aviv verfügen über besonders gesicherte Schutzräume. Binnen eineinhalb Minute soll man sich nach einem Raketenalarm dorthin begeben. Nahezu jeder Israeli wird von einer Warn-App auf die Gefahr hingewiesen. Je näher man am Gazastreifen lebt, desto weniger Zeit hat man, sich in Sicherheit zu bringen.

Fehlen solche Unterschlupfe, dann können sich die Menschen in Israel vielerorts auch in öffentliche Bunker begeben. Auf der Internetseite der Stadt Tel Aviv findet man den nächstgelegenen Schutzraum mit wenigen Mausklicks.

Die im Gazastreifen herrschende, islamistische Hamas hatte die Raketenangriffe auf den Großraum Tel Aviv am Dienstagabend vorab angekündigt. Die israelische Armee zerstörte zuvor ein Hochhaus mit Büros von Mitgliedern des Hamas-Politbüros und Sprechern der Organisation, den sogenannten Hanadi-Turm - ebenfalls nach entsprechender Vorwarnung. Im Gazastreifen starben nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums seit der Eskalation der Gewalt bislang mehr als 50 Menschen.

Für einige Israelis reichte die Vorwarnzeit in der Nacht auf Mittwoch jedoch nicht aus, um sich in Sicherheit zu bringen. In der Stadt Cholon südlich von Tel Aviv etwa wird ein Bus getroffen, er brennt aus. Mehrere Menschen wurden Berichten zufolge verletzt. Wie die Armee bestätigt, starben in der vergangenen Nacht drei Menschen in den Städten Rischon Lezion und Lod.

Die Hamas hat angekündigt, dass auf jeden Angriff auf Hochhäuser im Gazastreifen ein Raketenbeschuss folgen wird. Armeesprecher Conricus gibt an, dass das Militär dort bislang zwei solcher Gebäude attackiert hat. Die Armee habe ähnliche Häuser als künftige Ziele ausgemacht, fügt er an. Ein Ende des gewaltsamen Konflikts wäre somit vorerst nicht absehbar.

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