Warten auf Prozess auch drei Jahre nach Geschwister-Tod im Dorfteich

Ein Schild mit der Aufschrift «Teichanlage - Betreten auf eigene Gefahr. Eltern haften für ihre Kinder.» steht an einem Teich im Ortsteil Seigertshausen. Foto: Frank Rumpenhorst/Dpa
Ein Schild mit der Aufschrift «Teichanlage - Betreten auf eigene Gefahr. Eltern haften für ihre Kinder.» steht an einem Teich im Ortsteil Seigertshausen. Foto: Frank Rumpenhorst/Dpa

NEUKIRCHEN/SCHWALMSTADT/MARBURG (dpa) - Hätte ein Zaun das Drama verhindern können? Drei Geschwister ertrinken in einem Dorfteich. Der Bürgermeister ist angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Sein Verteidiger ist sich sicher: Der Prozess wird bundesweit viele Rathaus-Chefs nach Hessen blicken lassen.

Drei Geschwister ertrinken in einem Dorfteich in Hessen. Die Tragödie in Neukirchen (Hessen) sorgt im Sommer 2016 bundesweit für Schlagzeilen. Doch die Schuldfrage ist drei Jahre danach immer noch nicht geklärt. Die Blicke richten sich bereits seit geraumer Zeit zum Amtsgericht Schwalmstadt. Nach langem juristischem Hick-Hack soll der Fall dort verhandelt werden. Die Anklage ist zugelassen, der Eröffnungsbeschluss ergangen. Doch Prozess-Termine lassen auf sich warten.

Verantworten muss sich der Bürgermeister von Neukirchen, einer 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde zwischen Marburg und Bad Hersfeld. Im Ortsteil Seigertshausen ereignete sich das Unglück am 18. Juni 2016. Seitdem ist für Rathaus-Chef Klemens Olbrich (CDU) nichts mehr, wie es mal war. Der 62-Jährige ist angeklagt wegen fahrlässiger Tötung.

Laut Staatsanwaltschaft versäumte es Olbrich als Verantwortlicher für Sicherungsmaßnahmen, den Teich als potenzielle Gefahrenquelle abzusichern und einzuzäunen. Die Behörde geht davon aus, dass es dem Rathaus-Chef bekannt war, dass die Fläche rund um den Teich als Freizeit- und Spielfläche genutzt wurde. Für Olbrich kam der Abend der Tragödie einem Schock gleich. Die Ereignisse wirken auch heute noch nach. «Das belastet mich. Die Bilder werden mir zeit meines Lebens nicht mehr aus dem Kopf gehen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Bei den Opfern handelte es sich um die fünf, acht und neun Jahre alten Kinder einer in der Nähe wohnenden Familie. Der elf Jahre alte Bruder hatte seine spielenden Geschwister am Abend gesucht und nach Hause holen wollen. Als er das Unglück sah, alarmierte er Nachbarn und diese dann die Rettungskräfte. Laut den Ermittlern konnten der fünfjährige Junge und seine achtjährige Schwester nicht schwimmen. Der Neunjährige konnte schwimmen, er kam in dem trüben, 40 Meter breiten und ein bis zwei Meter tiefen Teich dennoch ums Leben. Die deutsch-syrische Familie verlor drei ihrer seinerzeit sechs Kinder.

Seither geht es um die Schuldfrage. Ist es der Bürgermeister, wie von der Staatsanwaltschaft angenommen? Olbrichs Verteidiger Karl-Christian Schelzke verneint: «Es gibt Schicksale, für die es keinen Schuldigen gibt. In unserer Vollkasko-Mentalität nehmen wir Deutschen an, man könne immer einen Schuldigen finden.» Er spricht von «ungünstigen Umständen», die zum Tod der Kinder geführt hätten.

Schelzke, früher Oberstaatsanwalt in Frankfurt, ehemals Bürgermeister in Mühlheim am Main und aktuell Geschäftsführender Direktor des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, sagt: Der Bürgermeister hätte die Entscheidung zur Einzäunung des Teiches gar nicht allein treffen dürfen. «Dafür wäre ein Beschluss des Magistrats erforderlich gewesen. Weil der Teich seit Ewigkeiten aber so liegt, ist es unwahrscheinlich, dass der Magistrat zugestimmt hätte.» Zudem habe es nie Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Teich eine Gefahr darstellt.

Eine wichtige Frage für den Prozess ist, um was für eine Art von Teich es sich handelt. Olbrich, gelernter Jurist und seit mehr als 25 Jahren im Amt, sprach von einem «Fischteich» oder «Freizeitteich», der keines Zaunes bedürfe. Schelzke sprach von einem «Badeteich». Für die Staatsanwaltschaft ist es ein «Löschwasserrückhalteteich» - und für den hätten Sicherungspflichten bestanden, für die der Bürgermeister verantwortlich sei. Für solche Wasserreservoirs für die Feuerwehr gibt es Vorschriften. Sie enthalten die Bestimmung, dass er von einem 1,25 Meter hohen Zaun umgeben sein muss.

Da so ein Unglück an vielen Orten hätte passieren können, räumt Rechtsanwalt Schelzke dem Fall bundesweite Bedeutung ein. «Viele Bürgermeister schauen gespannt auf das Verfahren und fragen sich, ob sie womöglich besser etwas einzäunen oder sichern sollten.» Wegen der Brisanz des Falls reicht es Schelzke auch nicht, wenn sein Mandant irgendwie glimpflich davonkommt, etwa mit einer Einstellung des Verfahrens. Laut dem Strafgesetzbuch liegt der Strafrahmen für fahrlässige Tötung bei einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe. «Wir wollen einen Freispruch», sagt Schelzke.

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