Wahlrat: Erdogan gewinnt Präsidentschaftswahl

Die türkische Wahlbehörde erklärt Erdogan zum Sieger der Stichwahl. Foto: epa/Necati Savas
Die türkische Wahlbehörde erklärt Erdogan zum Sieger der Stichwahl. Foto: epa/Necati Savas

ISTANBUL: Die Opposition kam ganz nah an einen Machtwechsel in der Türkei heran. Doch Erdogan hat es nach 20 Jahren an der Macht wieder geschafft. Seine Feinde sind bereits ausgemacht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich feiern. Er steht vor seinem Palast in der Hauptstadt Ankara, Tausende Menschen jubeln ihm zu mit türkischen Fahnen. «Unsere Demokratie hat gesiegt», sagt er. Niemand der 85 Millionen Türken habe verloren, gibt er sich zunächst versöhnlich - und wirft der Opposition wenig später einmal mehr Verbindungen zu Terroristen vor.

Erdogan hat die Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gewonnen, und damit seine Macht nach 20 Jahren an der Spitze der Türkei noch einmal zementiert. Er erhielt nach vorläufigen Ergebnissen rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Schon in der ersten Runde vor zwei Wochen lag er entgegen aller Voraussagen vorn, verfehlte aber die notwendige absolute Mehrheit.

Währungskrise, schlechtes Krisenmanagement nach der Erdbeben-Katastrophe im Februar und hartes Vorgehen gegen Regierungsgegner, all das konnte Erdogan am Ende nichts anhaben.

Die Opposition, die in einem Sechser-Bündnis angetreten war, beklagte einen unfairen Wahlkampf. Sie hatte gehofft, das Land nach einem Wahlsieg wieder demokratisieren zu können. Ihre Anhänger sind am Boden zerstört. Kilicdaroglu ist der Ansicht, die Wahl zeige trotz Erdogans Sieg, dass das Volk den «Wechsel einer autoritären Regierung» wolle.

Beobachter befürchten, dass Erdogan in Zukunft noch autoritärer regiert, nachdem er seine Macht erneut legitimiert hat. Europa und die USA müssen sich nun weiter auf Verhandlungen mit einem schwierigen Nato-Partner einstellen. Seine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg wird Erdogan wohl beibehalten.

Seinen Wahlerfolg hat Erdogan auch der Unterstützung einer islamistisch-nationalistischen Allianz zu verdanken. Das könnte in Zukunft seine Politik weiter prägen. «Erdogan hat den Charakter des Staates geändert. Er hat es geschafft, den türkischen Staat von einem laizistisch-nationalistischen in einen islamistisch-nationalistischen zu wandeln. Und das wird er weiter vorantreiben», sagt Asli Hürcan Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS).

Nach Erdogans Sieg zelebrierten Innenminister Süleyman Soylu und Tausende Anhänger ihr Morgengebet in die Hagia Sophia in Istanbul. 2020 hatte Erdogan die einstige Kirche trotz internationalem Protest von einem Museum in eine Moschee umwandeln lassen - ein Geschenk an seine religiöse Klientel.

Ebenfalls symbolisch und ein Triumph für Erdogan: Sein Sieg fiel genau auf den 10. Jahrestag der regierungskritischen Gezi-Proteste. Im Frühjahr 2013 hatten sich landesweit vor allem junge Menschen gegen Erdogans immer repressivere Politik aufgelehnt. Erdogan, damals noch Ministerpräsident, ließ die Proteste niederschlagen.

Die Niederlage ist umso bitterer für die Opposition. Sie schaut mit Entsetzen auf Erdogans Partner. Mit der islamistisch-kurdischen Hüda Par und der islamistischen Yeniden Refah hat Erdogan zwei Parteien ins Parlament geholt, die LGBT-und frauenfeindliche Politik machen. Die Hüda Par etwa will den Schutz der «traditionellen» Familie vor «abweichenden» Ideologien durchsetzen und Mädchen und Jungen getrennt unterrichten.

Die größte Herausforderung für Erdogan nach der Wahl wird die Wirtschaft sein. Die massive Inflation von rund 44 Prozent ist Experten zufolge auch hausgemacht, weil Erdogan entgegen gängiger wirtschaftlicher Logik an seiner Niedrigzinspolitik festhält.

Erdogan hat es dennoch geschafft, seine Anhänger davon zu überzeugen, dass er keine Schuld an der wirtschaftlichen Lage trägt. Die Wirtschaftsprofessorin Selva Demiralp schrieb in einem Beitrag, wenn Erdogan nicht zur konventionellen Wirtschaftspolitik zurückkehre, werde es sehr schwierig, den schon angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Die Türkei erwarteten «sehr kritische Tage».

Teil der Erfolgsgeschichte Erdogans sind auch die ungleichen Ausgangsbedingungen bei Wahlen. Der Wahlkampf, so attestierten es internationale Wahlbeobachter, war von Anfang an unfair. Erdogan habe «ungerechtfertigte Vorteile» gehabt, kritisierten sie. Der Großteil der Medien wird von Erdogan kontrolliert, die Opposition kam kaum vor - und wenn, dann meist negativ.

Erdogan verteilte auch großzügig aus der Staatskasse bezahlte Wahlgeschenke. Und er zeigte manipulierte Videos. Er beschimpfte die Opposition als Terroristen, sein Innenminister wiederum übte Druck auf unabhängige Wahlbeobachter aus. Bei der Abstimmung wurden mehrere von ihnen angegriffen.

Die Sechser-Allianz um Kilicdaroglu wiederum hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdogan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik. Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kilicdaroglu eine Antiflüchtlingsrhetorik. Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an und vor allem nicht bei den kurdischen Wählern. Obwohl die prokurdische HDP noch mal zur Unterstützung Kilicdaroglus aufrief, lag die Wahlbeteiligung im kurdisch geprägten Südosten unter der von der ersten Runde.

Mit einer Lockerung von Repressalien oder gar mit einem Bemühen um eine Lösung im Kurdenkonflikt darf die Minderheit wohl nicht rechnen. Zudem ist auch das Parlament, in dem Erdogans Allianz eine Mehrheit hält, das nationalistischste in der Geschichte der Türkei. Erdogan machte bei seiner Siegesrede deutlich, der seit 2016 inhaftierte ehemalige HDP-Chef Selahattin Demirtas komme nicht aus dem Gefängnis «solange wir an der Macht sind» - obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dessen Freilassung angeordnet hatte.

Zumindest die rund 3,4 Millionen Syrer im Land dürften nach Erdogans Sieg erstmal aufatmen. Zwar hat auch Erdogan, wie die Opposition, angekündigt, Flüchtlinge wieder nach Nordsyrien zurückzuschicken, mit größeren Umsiedlungen rechnen Beobachter jedoch nicht. Erdogan wisse genau, dass mittelständische türkische Unternehmer im südosttürkischen Gaziantep und Sanliurfa syrische Flüchtlinge als Arbeitskraft bräuchten, sagt Expertin Aksoy. «Diese Unternehmen sind das Rückgrat seines klientelbasierten Systems.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Thomas Gittner 30.05.23 00:50
@Johann Mueller, passiert dies auch wenn du...
...auf andere Portale einen Kommentar postest ?, oder wenn du mit deinem Endgerät (postest du von einem Laptop oder Desktop) von einem Anderen LAN/WLAN (also nicht von deinem Netzt in deiner Wohnung/Condo) einen Kommentar sendest ?
Johann Mueller 29.05.23 21:10
@Jürgen Franke 29.05.23 20:50
Jürgen - danke für deinen Input ! Hab schon vieles ausprobiert - ALLES negativ - ein IT-Spezialist könnte evtl. das Problem lösen ? Gibt es hier welche ? GN8
Johann Mueller 29.05.23 21:10
@Jürgen Franke 29.05.23 20:50
Jürgen - danke für deinen Input ! Hab schon vieles ausprobiert - ALLES negativ - ein IT-Spezialist könnte evtl. das Problem lösen ? Gibt es hier welche ? GN8
Jürgen Franke 29.05.23 20:50
Johann, möglicherweise liegt es nicht an
Deiner alten Kiste, denn bei mir wird schon mal vorgeblendet, dass nicht gespeichert werden konnte und trotzdem kam der Kommentar an.
Johann Mueller 29.05.23 19:40
Sorry Sorry....
Mein Post erscheint schon wieder 2x - wie bereits früher - gggrrrr ! Jetzt muss ich meine ALTE Kiste nach 13 Jahren wirklich ersetzen !
Johann Mueller 29.05.23 19:20
Türkinnen und Türken haben ihn wiedergewählt.....
In den westlichen Demokratien (USA, Frankreich) wird die Präsidentenwahl oft mit einem Vorsprung in der Grössenordnung von 0.1 % gewonnen - 2 % sind demgegenüber viel. Nun muss die EU weiter mit Recep Tayyip Erdoğan zurechtkommen, der als unausweichlicher Partner noch schwieriger werden dürfte. Madame Ursula Gertrud von der Leyen hat Erdoğan für seinen Wahlsieg im Namen der EU herzlich gratuliert.
Johann Mueller 29.05.23 19:20
Türkinnen und Türken haben ihn wiedergewählt.....
In den westlichen Demokratien (USA, Frankreich) wird die Präsidentenwahl oft mit einem Vorsprung in der Grössenordnung von 0.1 % gewonnen - 2 % sind demgegenüber viel. Nun muss die EU weiter mit Recep Tayyip Erdoğan zurechtkommen, der als unausweichlicher Partner noch schwieriger werden dürfte. Madame Ursula Gertrud von der Leyen hat Erdoğan für seinen Wahlsieg im Namen der EU herzlich gratuliert.
Jürgen Franke 29.05.23 16:50
Erdogan ist demokratisch gewählt worden,
auch wenn das Ergebnis vielen Menschen nicht gefällt, denn hier lief die Propaganda auf Hochtouren fü Erdogan.
werner spierling 29.05.23 15:30
Diktator Erdogan hat sich die Wahl wieder erschlichen mit der Dummheit und dieser ungebildeten Türken wieder werden sich die Gefängnisse seiner Gegener füllen weil Meinungsfreiheit verboten wird Diese Türkei hat in der EU nichts verloren sämtliche Anträge auf Eis legen Milliarden von EU Geldern für die Zurückhaltung der Syrischen Wirtschaftsflüchtlinge sind in Diktator Erdogans Taschen gelandet leider werden unsere Unfähigen Politiker trotzdem mit diesem Verbrecher Geschäfte machen.Wie soll man den nächsten Generationen so etwas erklären die diese Schulden bezahlen sollen
Ingo Kerp 29.05.23 12:30
Erdowahn hat die Wahl gewonnen, auch dank der massiven Unterstützung der in Deutschland lebenden Türken. Die lieben und verehren den Erdowahn so sehr, das sie auf keinen Fall unter seinem Regime leben wollen und lieber in Deutschland bleiben.