Zwangshaft bleibt umstritten

Ein Schild mit der Aufschrift «Cour de Justice de l'union Européene» steht vor den Bürotürmen des Europäischen Gerichtshofs im Europaviertel auf dem Kirchberg. Foto: Arne Immanuel Bänsch/Dpa
Ein Schild mit der Aufschrift «Cour de Justice de l'union Européene» steht vor den Bürotürmen des Europäischen Gerichtshofs im Europaviertel auf dem Kirchberg. Foto: Arne Immanuel Bänsch/Dpa

LUXEMBURG (dpa) - Die Frage, ob Diesel-Fahrverbote notfalls mit Zwangshaft durchgesetzt werden können, gibt nun den EU-Richtern zu denken. Und Markus Söder. Denn es geht darum, was passiert, wenn Politiker nicht tun, was ein Gericht von ihnen verlangt.

Markus Söder, bayerischer CSU-Ministerpräsident, kann weiter ruhig schlafen, vorerst. Zumindest in näherer Zukunft wird er nicht ins Gefängnis einrücken müssen. Ob ihm Zwangshaft angedroht wird, weil er bisher keine Diesel-Fahrverbote in München verhängen ließ, bleibt nach einer gut zweistündigen mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg weiter äußerst ungewiss.

Vor den höchsten EU-Richtern legten am Dienstag beide Seiten ihre weit auseinanderliegenden Positionen dar. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) verlangte die Umsetzung eines Urteils des Verwaltungsgerichts München von 2012. Darin war der Freistaat Bayern verpflichtet worden, auch Diesel-Fahrverbote zu erlassen, um vor allem auf viel befahrenen Straßen der Landeshauptstadt den Ausstoß von Stickstoffdioxid (NO2) auf den nach EU-Recht erlaubten Grenzwert zu bringen.

Weder Söder noch sein Amtsvorgänger mochten sich dazu durchringen. Und deswegen begehrte die Deutsche Umwelthilfe Zwangshaft gegen den Ministerpräsidenten und andere Amtsträger wie beispielsweise den Chef der Regierung von Oberbayern. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof reichte das Problem an den EuGH weiter. Zwar zeigten sie sich aufrichtig verärgert über die Missachtung des alten Urteils, doch wiesen sie auch auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen Zwangshaft für Amtsträger hin. Und verbanden das mit der Frage, ob Zwangshaft nicht unter EU-Recht geboten sein könnte.

«Die Deutsche Umwelthilfe möchte keinen Politiker ins Gefängnis bringen. Und es wird in Deutschland wahrscheinlich auch kein Politiker in Beuge- oder Zwangshaft genommen», sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, unmittelbar vor Prozessbeginn in Luxemburg. Denn mit einem einzigen Federstrich unter ein Diesel-Fahrverbot könne sich ja jeder Politiker wieder «in den rechtsstaatlichen Reigen» einreihen.

Nach der Befragung durch die 15 höchsten EU-Richter formulierte Resch: «Ich bin mit dem Verlauf sehr zufrieden.» Und er sei «sehr zuversichtlich, dass der heutige Tag eine ganz wichtige Weichenstellung bedeutet für die Durchsetzung von Recht und Gesetz auch gegenüber dem Staat».

Allerdings war auch aufgrund der Fragen der Richter nicht zu erkennen, wie in einigen Monaten ihr Urteil aussehen könnte. Gerichtspräsident Koen Lenaerts (Belgien) orakelte lediglich: «Ich denke, dass wir alles erfahren haben, was wir wissen müssen.»

Erwartungsgemäß lehnten die Vertreter Bayern und der Bundesregierung Zwangshaft für Amtsträger strikt ab. «Jede Einschränkung der Freiheit muss gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein», sagte eine Prozessvertreterin des Bundes. Was natürlich auch für eine ähnliche Klage gegen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) gilt.

Aber auch Friedrich Erlbacher vom Juristischen Dienst der EU-Kommission zeigte sich eher skeptisch gegenüber der Zwangshaft. Das EU-Recht sei «nicht ausreichend für einen Freiheitsentzug», sagte er. Es gebe eine «Verfahrensautonomie» in Deutschland, die auch die EU respektieren müsse.

Der bayerische Ministerialdirigent Winfried Brechmann hatte den EuGH zuvor schon mit der Aussage «Bayern hat das Urteil umgesetzt» überrascht. Auf 98,8 Prozent der Hauptverkehrsstraßen in München werde der NO2-Grenzwert schon jetzt eingehalten - und mit Ausnahme von «zwei bis drei Straßen des internationalen Durchgangsverkehrs» werde der Grenzwert «binnen ein bis zwei Jahren eingehalten». Was Remo Klinger, der Prozessvertreter der Umwelthilfe, lebhaft bezweifelte. Und Resch befand: «Wir hören von Bayern seit zehn Jahren: Im nächsten Jahr wird alles besser.»

Die Kernfrage, ob Zwangshaft gegenüber Amtsträgern nach deutschem Recht erlaubt sei, wurde von Brechmann und Klinger natürlich völlig unterschiedlich beantwortet. Damit verbunden war auch die Frage, ob Freiheitsentzug in irgendeinem Gesetz so klar formuliert sei, wie es den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit entspreche. Und wie weit ein Richter ein Gesetz interpretieren könne. Bis ins Jahr 1957 hatte sich Klinger durch Bundestagsdrucksachen hindurchgearbeitet, um herauszufinden, was der Gesetzgeber damals über das Thema dachte. Für ihn war danach klar: Zwangshaft ist möglich.

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Leserkommentare

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Hans-Dieter Volkmann 07.09.19 14:40
Jürgen Franke 07.09.19 01:17
Herr Franke, natürlich gibt es vertraglich vereinbarte exakte Regularien unter den Mitgliedsstaaten. Ich gehe mal davon aus das Sie die politische Realität nicht berücksichtigt haben. Manchmal aber erweisen sich vereinbarte Regularien, gelinde gesagt, als sehr störend. Immer dann wenn die Souveränität einer Nation berührt wird. Ob diese berührt wird oder nicht entscheidet das Volk, nicht die exakten Regularien. Dann kann so etwas wie ein Brexit entstehen. Im ärgsten Falle bedeutet das dann entweder Austritt oder neu verhandeln.
Jürgen Franke 07.09.19 01:17
Herr Volkmann, da ich davon ausgehe, dass es
Ihrer Aufmerksamkeit sicherlich nicht entgangen ist, dass Deutschland ein Mitgliedsland der EU ist, dürfen Sie versichert sein, dass exakte Regularien für den Umgang mit den Staaten untereinander vorhanden sind, die so gestaltet sind, dass sie selbstverständlich die Souveränität eines Staaten nicht beeinträchtigen. Ihre Kritik an der parlamentarischen Demokratie ist Ansichtssache. Leider entspricht die Qualifikation einiger Abgeordneten, jedoch nicht den Anforderungen, die heute gestellt werden.
Hans-Dieter Volkmann 06.09.19 16:14
Jürgen Franke 06.09.19 02:08
Natürlich Herr Franke, aber doch an jene Gesetze dessen Land er vertritt. Es ist in der Weltpolitik ein großes Übel das jeder Politiker und jede Institution glaubt sich in die Angelegenheiten anderer Nationen einmischen zu müssen. Selbstverständlich gibt es Unterschiede, wenn sich Politiker so krass verhalten das andere Nationen gefährdet werden. In diesem Fall aber handelt es sich um innere Angelegenheiten der Nation Deutschland.
Thomas Knopf 06.09.19 14:29
Gesetze gelten nicht für PolitikerInnen ?
Da wird seit Jahr und Tag darüber gejammert , das viele PolitikerInnen nach eigener Norm schalten und walten...und nur weil s jetzt um s s' heiligs Blechle geht , ist das auf ein Mal gut so ? Wollte mal selbige verständisvolle Mitbürger erleben , wenn sich die Politiker weigern Ausländer abzus hieben !
Jürgen Franke 06.09.19 02:08
Auch Politiker haben sich
an Gesetze zu halten, auch wenn sie ihnen nicht gefallen.
Hans-Dieter Volkmann 05.09.19 16:47
Zwanghaft bleibt umstritten
Es ist nicht irgendein Gericht. Es ist das Gericht der Europäischen Union. Nicht vorstellbar. Ein deutscher Politiker wird inhaftiert weil er eine außernationale Anweisung nicht befolgt. Hier sollte einmal überlegt werden ob der Europäische Gerichtshof in jedem Fall über der Souveränität einer Nation steht. Politiker würden nicht mehr unbeeinflusst ihre Entscheidungen treffen. In Deutschland haben wir eine parlamentarische Demokratie. Sicherlich nicht das Beste was man sich vorstellen kann. Sollte es jemals geschehen das ein deutscher Politiker vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, dann hat Deutschland seine Souveränität verloren. Dann müsste die EU-Mitgliedschaft neu verhandelt werden. Die Folgen wären für ganz Europa katastrophal.
Hardy Kromarek Thanathorn 05.09.19 13:15
Absoluter Blödsinn wegen Beugehaft usw.!!!!!
Die Deutsche Umwelthilfe hat Sie nicht mehr alle!!! Die Regierung von Bayern kann hier in Ruhe schlafen! Es gibt keine Fahrverbote in Bayern und das ist vollkommen richtig so! Die DUH vernichtet hier Bürger der Arbeiterklasse, da diese Ihr Auto brauchen um zur Arbeit zu fahren und sich kein neues Auto leisten können! Wenn einer eingesperrt werden sollte, dann die Herren von der DUH und die Richter die diese vollkommen falschen Urteile verfasst haben! Weiter so Herr Ministerpräsident Söder!!!