Vor 60 Jahren: Gagarin fliegt als erster Mensch ins All

Foto: Pixabay
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MOSKAU: In 108 Minuten umrundet Juri Gagarin die Erde. Er schreibt damit 1961 Geschichte und verärgert zugleich die USA. Die Sowjetunion hat einen neuen Helden. Was ist von Gagarin heute geblieben?

Als der erste Mensch im All vor 60 Jahren wieder Boden unter den Füßen hat, wird er zunächst für einen Außerirdischen gehalten. Juri Gagarin überrascht damals die Förstersfrau Anna Tachtarowa mit ihrer Enkelin beim Kartoffelpflanzen auf einem Feld, weil sich die sowjetischen Raumfahrtingenieure beim Landeplatz um Hunderte Kilometer verrechnet hatten. Wegen des orange Raumanzugs und des weißen Helms halten sie Gagarin für ein «Monster», wie die russische Boulevardzeitung «Komsomolskaja Prawda» schreibt. Der Kosmonaut ruft ihnen aber zu: «Ich bin einer von Euch!»

Russland erinnert in diesen Tagen mit viel Pathos an seinen Helden, der am 12. April 1961 Raumfahrtgeschichte schreibt. In 108 Minuten umrundet der Kampfpilot im Alter von 27 Jahren einmal die Erde. Er sieht damit als erster Mensch den Planeten von oben - nachdem die Sowjets schon einen Satelliten und Hunde ins All geschickt haben. Es ist ein Meilenstein für die Sowjetunion und ein Schock für die USA im Wettlauf der Supermächte im Kalten Krieg. Die kommunistische Propaganda schlachtet dies als Sieg über den Kapitalismus aus.

Was damals aber verheimlicht wird: Bei dem Flug läuft nicht alles glatt. «In 10 von den 108 Minuten stand Juri Gagarin kurz vor dem Tod», schreibt die Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta» Jahrzehnte später. Beim Eintritt in die Erdatmosphäre löst sich die Landekapsel nicht wie vorgesehen vom Geräteteil des Raumschiffs «Wostok» (Osten). Sie dockt nur deshalb schließlich ab, weil beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht abgetrennte Verbindungskabel durchbrennen.

Auch beim Landen an der Wolga im Süden gibt es eine Panne: Ein Fallschirm löst sich und verheddert sich dabei nur durch Glück nicht in dem Hauptfallschirm. Ansonsten hätte es Gagarin wohl sein Leben gekostet. Seine Landekapsel sollte eigentlich bei Wolgograd 900 Kilometer südöstlich von Moskau aufsetzen, landet stattdessen aber nahe der nördlich gelegenen Stadt Saratow.

Juri Alexejewitsch Gagarin hat damals durchaus einkalkuliert, dass sein Pionierflug tragisch enden könnte. Mehrere Testraketen sind zuvor schon beim Start explodiert. Gagarin schreibt vor seinem Flug einen Abschiedsbrief an seine Frau Valentina: «Ich habe ehrlich gelebt und zum Nutzen der Menschen - auch, wenn dieser Nutzen klein war», heißt es in einem Buch über den Raumfahrer.

Der Sohn einer Bäuerin und eines Tischlers wird am 9. März 1934 im Dorf Kluschino im Westen Russlands geboren. Bei Moskau lernt er den Beruf des Gießers, wird später Pilot bei den Luftstreitkräften. Der Flug ins All macht ihn über Nacht international berühmt.

Nach seinem spektakulären Flug machen Gerüchte von Wodka-Exzessen und Frauengeschichten die Runde. Am 27. März 1968 stürzt er beim Test eines Jagdflugzeugs vom Typ MiG-15 UTI bei Moskau ab. Um seinen tragischen Tod ranken sich viele Legenden, weil die Umstände des Unglücks lange geheim geblieben sind. Gagarins Urne wird bei einem Staatsbegräbnis in der Kremlmauer beigesetzt.

Bis heute ist der nur etwa 1,65 Meter große Kosmonaut und Frauenschwarm mit seinem charmanten Lächeln unvergessen. Es gibt in Russland unzählige Gagarin-Denkmäler und eine Stadt, die nach ihm benannt ist. In vielen Ländern haben Straßen seinen Namen, auch in Deutschland.

Wenn die neue Crew zur ISS wie damals Gagarin vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur - heute in der Republik Kasachstan - abhebt, dann gibt es Rituale in Erinnerung an den ersten Weltraumflug: neben dem Pflanzen eines Baums «pinkeln» die Raumfahrer gegen die Reifen eines Busses, wie es der erste Kosmonaut vor 60 Jahren getan hat.

«Nach dem Tod Gagarins ist unterschiedlich mit seiner Person umgegangen worden, je nachdem wie seine Popularität in die jeweilige Zeit gepasst hat», sagt der Berliner Historiker Arnd Bauerkämper der Deutschen Presse-Agentur. Unter dem Ex-Präsidenten Boris Jelzin (1931-2007) habe der Kosmonaut zum Beispiel keine größere Rolle gespielt. «Jelzin wollte sich vom Sowjet-Erbe distanzieren», meint Bauerkämper, der an der Freien Universität Berlin lehrt. Anders sei das bei Kremlchef Wladimir Putin, der das Nationalpolitische betone.

«Gagarins Flug wirkt bis heute nach», sagt der Historiker. Der Kosmonaut prägt damals den Begriff des «blauen Planeten» und schwärmt bei seinem Flug: «Ich sehe die Erde! Sie ist so wunderschön!» Damals wie heute ist der Kosmonaut zugleich ein Hoffnungssymbol vieler junger Menschen. Nach dem Motto: Jeder kann ins All fliegen, wenn er die dafür Eignung hat - selbst ein einfacher Junge aus der Provinz.

Für Russland sei die Erinnerung an den «Kolumbus des Kosmos» nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sein Flug eine Demütigung für die USA gewesen sei, sagt Bauerkämper. Schon 1957 seien die Sowjets mit dem ersten Satelliten (Sputnik 1) eher im All gewesen als die Amerikaner. 2020 gab Russland in Erinnerung daran seinem Corona-Impfstoff den Namen Sputnik V (V wie Vakzin) - das weltweit erste für eine breite Anwendung in der Bevölkerung registrierte Vakzin. Doch 1969 war es der Amerikaner Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betrat.

Was ist noch von Gagarin geblieben? Es gibt einen Mondkrater und einen Asteroid mit seinem Namen. Auf der Erde ziert sein Konterfei viele T-Shirts, Tassen und Kalender - ein Geschäft, an dem sich noch immer gut verdienen lässt. Als Markenname geschützt ist Gagarins Spruch «Pojechali!» («Los geht's»). Das meldet er damals der Bodenstation, bevor er ins All aufbricht.

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