Von Sokrates zum Smartphone

Warum Menschen auf die Jugend schimpfen

Eine griechische Flagge flattert hinter einer Statue des alten Philosophen Socrates an der Athen-Akademie. Foto: epa/Yannis Kolesidis
Eine griechische Flagge flattert hinter einer Statue des alten Philosophen Socrates an der Athen-Akademie. Foto: epa/Yannis Kolesidis

BERLIN (dpa) - Faul und respektlos soll sie sein, die «Jugend von heute»: Beschwerden darüber gibt es wohl mindestens so lange wie die Schrift. Auch heute nimmt das Jammern kein Ende. Warum eigentlich?

Sie lieben den Luxus, ärgern die Lehrer und lümmeln herum - mehr als 400 Jahre vor Christus hatte der griechische Denker Sokrates angeblich viel an den jungen Leuten seiner Zeit auszusetzen. «Die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat», moserte dann sein Schüler Platon. Und als Platons Zögling Aristoteles erwachsen war, sah es noch düsterer aus: Er verzweifle an der Zukunft der Zivilisation, wenn er die Jugend sehe, wird der entnervte Philosoph zitiert.

Kritik an der Jugend ist ein uraltes Phänomen - und heute noch sehr beliebt. Seit Tausenden von Jahren bekritteln Erwachsene die junge Generation, fürchten den Verfall der Sitten. Heute geht es oft um die sogenannten Millennials. Die 1980er und 1990er Jahrgänge seien faul, selbstmitleidig, besessen von Selfies und Superfoods - verhätschelte Narzissten, die glaubten, es gebe 165 Arten geschlechtlicher Identität, stänkert etwa ein britischer Journalist.

Griechen, Römer, Mittelalter, Moderne - immer sind es die gleichen Beschwerden und Beschwörungen. «Wohin sind der männliche Elan und das athletische Aussehen unserer Vorfahren verschwunden?», klagt 1772 ein englisches Magazin über die Mode der jungen Männer. «Diese verweiblichten, selbstverliebten, ausgemergelten Narren können niemals direkt von unseren Helden abgestammt sein.»

«Vor dem Alten Griechenland war es das Alte Ägypten, davor das Alte Mesopotamien. Es gibt aus vielen antiken Kulturen Belege für diesen Stereotyp der respektlosen jungen Männer», sagt der britische Althistoriker Matthew Shipton. Er hat den Zoff zwischen den Generationen im antiken Athen erforscht: «Man findet dort ziemlich viel von dieser Vorstellung, die wir heute auch noch kennen: Alles wird immer schlechter, man lebt in der schlimmsten aller Zeiten und Kinder respektieren ihre Eltern nicht mehr.» Spätestens mit dieser Generation geht es bergab, denkt jede Generation - und das offensichtlich schon seit Menschengedenken.

David Finkelhor hat ein Wort dafür erfunden: Juvenoia. Darin stecken die Bestandteile juvenil und Paranoia - das steht für die Angst vor der Jugend und zugleich auch die Angst um die Jugend. «Es geht um die übertriebene Besorgnis vor dem Effekt, den soziale Veränderungen auf Kinder haben», erklärt der Soziologe, der seit Jahrzehnten an der US-Universität New Hampshire über Jugendschutz forscht. «Wir ziehen gerne den Schluss, dass es schlecht um unsere Kinder steht. Und dass das wiederum unserer Gesellschaft schaden wird.»

«Auf ihrem Höhepunkt kennt die Jugend nur die Verschwendung, ist leidenschaftlich dem Tanze ergeben und bedarf somit wirklich eines Zügels», warnte der Grieche Plutarch im ersten Jahrhundert.

Im 20. Jahrhundert sei der Ton in sozialwissenschaftlichen Standardwerken ähnlich, sagt Günter Mey, Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. «Es ist häufig ein extrem negativer, defizitärer Blick, immer schon gedacht von der Ziellinie einer etablierten, erwachsenen Person.» Der junge Mensch wird als unfertiger Erwachsener gesehen - schlimmstenfalls gefährlich, nie ernstzunehmend.

Finkelhor vermutet: Als Spezies, die sich in recht stabilen Verhältnissen entwickelt hat, haben Menschen schon evolutionär bedingt Angst vor Veränderungen. «Auf einer gesellschaftlichen Ebene geht es darum, dass ich Hüter bestimmter Werte oder Institutionen bin, die ich bewahren will», erklärt der Soziologe. «Und ich gehe dann davon aus, dass diese jungen Leute sie angreifen, abschaffen oder untergraben werden.» Je rasanter die Veränderung, desto abwehrender die Reaktion: Die Jungen sind schuld.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Hans-Dieter Volkmann 20.07.18 14:03
Mike Dong 19.07.18 17:39
Guten Tag Herr Dong, Sie fragen wie mich etwas Unerwünschtes beeindrucken kann. Grundsätzlich haben Sie Recht. Der Mensch ist von guten Dingen beeindruckt. Bei mir ist das etwas anders. Mein persönlicher Stil. Wenn ich schreibe das mich etwas Unerwünschtes im thailändischen Schulsystem beeindruckt hat so ist das zynisch gemeint, wie zu jener Zeit als ich ins Krankenhaus kam. Die schlechte Diagnose war für mich " beeindruckend." Dort teilte man mir die " frohe Botschaft" mit, dass ich Diabetes habe. Diese Ausdrucksweise ist zynisch gemeint mit einem Schuss Humor, trotz der beeindruckenden unerwünschten Mitteilung.
Norbert Kurt Leupi 19.07.18 18:20
Schule und zu Hause / Herr H.D.Volkmann
Werter Herr Volkmann ! Kurz und bündig : Auch das gehört zum so genannten "Kulturschock " : UNKULTUR in Bildung und Erziehung !
Mike Dong 19.07.18 17:39
@Hr.Volkmann / Hörigkeit
Da haben Sie ein wirklich wahres Wort benutzt. Aber wie kann Sie das beeindrucken ? Das Wort und was es beschreibt ist doch etwas völlig Unerwünschtes für einen modernen u aufgeklärten Menschen. Ich hatte das Glück sehr oft auf Lehrer zu treffen, die uns immer gelehrt haben, alles und jeden kritisch zu hinterfragen. Das fehlt nicht nur in Thailand völlig. Zusätzlich zu dem allgemeinen Desinteresse haben die Leute hier regelrecht Angst alte Verkrustungen aufzubrechen. Das ist auch einer der Hauptgründe für die Bildungsmisere hier. Weder die Lehrer fordern die Schüler, noch werden Sie von diesen gefordert. Sabai, Sabai, wird nichts gelernt, mai pen rai.
Hans-Dieter Volkmann 19.07.18 14:34
Mike Dong/Schule ist Grundlage
Werter Herr Dong, Herr Franke ,Sie haben völlig recht wenn Sie die Vernachlässigung des Elternhauses in Sachen Schulbildung ansprechen. Das ist in Thailand in hohem Maße so, aber in Deutschland gibt es das auch. Was ich sagen wollte ist das die Pädagogen die eigentlich qualifizierten Personen sein sollten welche Bildung vermitteln. Die Eltern sind ja in nur wenigen Fällen dazu geeignet. Was mich aber im thailändischen Schulsystem besonders beeindruckte ist eine gewisse Hörigkeit der Schulkinder gegenüber dem Lehrkörper. Diese Hörigkeit ging soweit das das was die Lehrer sagten uneingeschränkt gültig ist. Egal wie Kinder und Eltern darüber denken. Eigene Kritikfähigkeit wird den Schulkindern nicht gelehrt.
Jürgen Franke 18.07.18 23:54
Herr Volkmann, ich sehe in Ihrem Kommentar
keinen großen Widerspruch zu meinen Ausführungen, obwohl es nicht die Aufgabe der Eltern sein sollte, die Schule zu unterstützen, da das die meisten Eltern auch überfordern würde.
Mike Dong 18.07.18 23:51
@Hr.Volkmann / Schule ist Grundlage
Werter Hr.Volkmann, ich sehe es hier seit vielen Jahren. Die Kinder werden hier in den ersten Jahren bereits von den Eltern völlig vernachlässigt, was die Bildung angeht. Auf ALLEN Gebieten, nicht nur Wissen, sondern auch soziale Kompetenz. Die Kinder kommen dann in die Schule u können absolut gar nichts. Noch nicht mal richtig Zähneputzen. Die Nachbarkinder von mir gehen alle in öffentliche Schulen, meine in die internationale Schule. Alle so 1-7 Klasse. Da sind Unterschiede vorhanden, die unglaublich groß sind u zwar von MEHRERE Jahre an Entwicklung, wenn man Gleichaltrige vergleicht. Wenn man schon ein so schlechtes Schulsystem wie in T hat, muß man feststellen: OHNE ELTERN GEHT ES NICHT !!! Die meisten können heutzutage in der 7. Klasse noch nicht mal richtig lesen u schreiben, u zwar in Thai. Englisch ist absolute Fehlanzeige ausserhalb internationaler Schulen. Selbst Thai Schulen mit internationalem Programm lassen viel zu wünschen übrig. OHNE ELTERN GEHT ES NICHT !!! Das trifft übrigens nicht nur in T zu, sondern auch in Europa od USA.
Hans-Dieter Volkmann 18.07.18 17:46
Jürgen Franke 18.07.18 13:18
Werter Herr Franke, das sehe ich aber deutlich anders. Grundlage für die Bildung ist die Schule, die können in den meisten Fällen Bildung besser vermitteln als das Elternhaus. Aufgabe des Elternhauses ist es die Schule zu unterstützen. Den eigenen Kindern klarmachen was eine gute Schulbildung für ein späteres Leben bedeutet. Es kann vorkommen das die Methoden in der Schule nicht zu akzeptieren sind. Hab ich in Deutschland erlebt. Dann darf man als Elternteil auch zeigen das man sich erfolgreich wehren kann. Habe vor der Schule Flugblätter verteilt und die örtliche Presse verständigt. Meine beiden Stieftöchter (Thais) haben auch dadurch gelernt das man sich gegen eine scheinbare Übermacht wehren kann.
Jürgen Franke 18.07.18 16:42
Lieber Jack, leider war das immer schon so
doch sollte man die Hoffnung nicht aufgeben, dass die positiven Veranlagungen der Eltern sich auf die Kinder vererbt haben. So bald sie jedoch aus dem Haus sind, sinkt der Einfluss zwangsläufig, denn die Umwelt übernimmt jetzt die Formung des Menschen. Aber auch dann sollte das Gehirn der Menschen eingeschaltet bleiben. Wichtig ist vor allen Dingen, die Kinder von jedem Aberglauben und Religion fern zu halten, denn Glauben ist nicht Wissen.
Norbert Kurt Leupi 18.07.18 15:06
Bildung der Jugend / Herr Jürgen Franke
Lieber Jürgen! Das war eigentlich schon immer so , auch vor hundert Jahren : zu Hause muss beginnen , was blühen soll im Vaterland ! Nur das zählt alles nicht mehr im 21.Jahrhundert und einer globalisierten Welt !Woher sollen wir wissen ,wie die Jugend von Heute tickt ,wenn wir sie nicht fragen ? Und auf die Erwachsenen hören können sie auch nicht mehr , dazu ist ihre Musik zu laut !
Jürgen Franke 18.07.18 13:18
Die Grundlagen für die Bildung der Jugend
werden im Elternhaus gelegt. Die Bildung in der Schule kann dort lediglich aufbauen. Bedauerlicherweise ist die Schulbildung in Deutschland Aufgabe der Bundesländer, so dass jeder Kultusminister seine eigene Suppe kocht.
Mike Dong 18.07.18 09:56
Das die Bildung bei den "jüngeren Jahrgängen" vor die Hunde geht, ist ja wohl unbestritten. Aber es gibt ja Wikipedia.
Thomas Sylten 18.07.18 04:26
Neu vs Alt
Als junger Mensch habe ich mit meinen Freunden gegen Atomkraft gekämpft und leerstehende Häuser besetzt - und wurde dafür von einer Generation kritisiert die ihrerseits fremde Länder besetzt hatte.
Heute vermisse ich bei der Jugend eher ein etwas kämpferischeres Sich-Einsetzen für Frieden und Umwelt, und bin weit davon entfernt die (wenigen) Aktiven zu kritisieren. Aber auch die heutigen Hänger und Kiffer werden bald strunzbürgerlich sein und die Stirn über ihre Nachfolger runzeln. Es ist nun mal das Privileg der Jugend, ihnen noch unbekannte, jedoch längst eingefahrene Strukturen munter in Frage zu stellen, bevor sie sich später selber in denselben Strukturen "verfangen" und sie immer verbissener gegen die neue unbefangene Jugend verteidigen. Schön, wenn man sich dann auch als "alter Sack" noch erinnern und entsprechend relativieren kann.. :)