Von Simon Kremer und Mirjam Schmitt

Foto: epa/ Stringer
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TRIPOLIS (dpa) - In unmittelbarer Nähe zu Europa droht der Bürgerkrieg in Libyen vollends zu eskalieren. Auf dem Schlachtfeld sind längst Söldner aus aller Welt aktiv. Denn auf der südlichen Seite des Mittelmeers geht es auch um den Kampf um Bodenschätze.

Besinnlich ging es in den Tagen rund um Weihnachten im libyschen Luftraum nicht zu - obwohl eigentlich nur noch wenige Flugzeuge den Flughafen von Tripolis planmäßig anfliegen. Am Rand der Startbahn stehen Flugzeuge, die sich seit Monaten nicht mehr bewegt haben. Das Rollfeld selbst liegt größtenteils verwaist, Raketen haben die Dächer von Hangars durchschlagen, die Trümmer liegen noch herum. Aber frühmorgens zwischen 5 und 8 Uhr landeten in den vergangenen Tagen fünf Sonderflüge der Libyan Airlines in Libyen. Dazu mehrere Boeing 747 einer moldawischen Transportfirma. Abflugorte: Ankara, Istanbul und Ostende. Kurz darauf gibt es die ersten Videos syrischer Kämpfer in Libyen.

Der Konflikt am Südrand des Mittelmeers ist längst kein lokaler Bürgerkrieg mehr. Die einzelnen Konfliktparteien - darunter unzählige Milizen - werden schon länger von Ländern wie der Türkei, Italien, Frankreich oder den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Als der mächtige Feldmarschall Chalifa Haftar im April dieses Jahres seine Truppen aber in Richtung der Hauptstadt Tripolis und der dort ansässigen Einheitsregierung marschieren ließ, nahm der Konflikt eine dramatische Wendung. Wenige Tage bevor eine von den Vereinten Nationen organisierte Konferenz alle Konfliktpartner an einen Tisch bringen sollte, um endlich über eine politische Lösung zu sprechen, schuf der Armeechef aus dem Osten Libyens Fakten - mit Hilfe ausländischer Söldner.

«Söldner aus dem Sudan, Tschad und Russland spielten bislang vor allem auf Seiten Haftars eine Rolle», sagt der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. «Mit der Entsendung syrischer Milizen als Teil der türkischen Unterstützung sind Söldner jetzt erstmals auch auf Seiten der Gegner Haftars eine nennenswerte Kraft.» In einem bislang vertraulichen Bericht von UN-Experten, den die dpa im November einsehen konnte, kritisiert die Expertengruppe, dass Länder wie die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Jordanien mit illegalen Waffenlieferungen ein bestehendes Waffenembargo unterlaufen würden.

Am Wochenende tauchten erstmals Videos in den sozialen Netzwerken auf. Eine Gruppe Kämpfer behauptet darin in syrischem Dialekt, ein Militärlager von Kämpfern des Generals Haftar eingenommen zu haben. Die Aufnahmen entstanden nachweislich im Süden der Hauptstadt Tripolis, unweit der Frontlinie. Auch wenn die libysche Regierung weiterhin behauptet, die Bilder stammten aus Syrien.

Dort, im syrischen Afrin, soll es inzwischen Anwerbebüros für Kämpfer geben, die nach Libyen gehen wollen. Kurdische Anwohner in der Stadt bestätigten der Deutschen Presse-Agentur die Existenz der Büros. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, dass sich bereits rund 300 von der Türkei unterstützte syrische Milizionäre in Libyen aufhalten sollen. Den Kämpfern würden zwischen 2000 und 2500 US-Dollar für einen drei- bis sechsmonatigen Einsatz in Nordafrika gezahlt.

«Haftars Gegnern blieb nichts anderes übrig, als sich in die Arme der Türkei zu werfen», sagt Wolfram Lacher von der SWP. «Das Resultat ist ein Krieg vor Europas Haustür, der von fernen Mächten wie Russland und den Emiraten angetrieben wird, auf den die Europäer aus Eigenverschuldung aber überhaupt keinen Einfluss mehr haben.» Auch eine Analyse des Europäischen Rats für Internationale Beziehungen (ECFR) kam kürzlich zu dem Schluss, dass sich die EU und Italien zu stark auf kurzfristige Ziele wie die Bekämpfung der irregulären Migration über das Mittelmeer und Energieabkommen mit Libyen konzentriert hätten. Undurchsichtige Deals mit Milizen hätten die instabile Sicherheitslage erst befeuert.

In dem Konflikt geht es der Türkei aber nicht nur um Machtfragen, sondern auch um Rohstoffe. Der türkische Präsident Erdogan hatte mit Libyens Regierungschef Fajis al-Sarradsch im November nicht nur eine militärische Zusammenarbeit vereinbart, sondern auch ein Abkommen über Seegrenzen im Mittelmeer unterzeichnet. Mit dem diesem Abkommen erhebt die Türkei Anspruch unter anderem auf Gebiete in Nähe der griechischen Insel Kreta. Dort werden reiche Erdgasvorkommen vermutet. Die Vereinbarung war ohne das Einverständnis der anderen Mittelmeerstaaten unterzeichnet worden - die EU-Staaten halten es für illegal.

Je näher der libysche General Chalifa Haftar auf die Hauptstadt Tripolis vorrückt, umso eiliger hat es der türkische Präsident, die libysche Regierung zu unterstützen. Die Erlaubnis, Truppen nach Libyen zu schicken, will er sich schon am Donnerstag vom Parlament in Ankara holen.

Derweil versuchen auch andere internationale Akteure, Einfluss in Libyen zu nehmen. Ägypten, das auf der Seite Haftars steht, führt derzeit intensive Gespräche mit Frankreich und Italien. Deutschland plant für Anfang 2020 eine Konferenz in Berlin, um die wichtigsten internationalen Akteure an einen Tisch zu bringen. Aber die Akteure in Libyen haben bis dahin vielleicht schon Fakten geschaffen.

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