Von der Karibik bis Feuerland

Es brodelt in Südamerika

Foto: epa/ Alberto Valdes
Foto: epa/ Alberto Valdes

BUENOS AIRES (dpa) - Krawalle in Chile, Proteste in Bolivien, Exodus aus Venezuela - der Kontinent kommt nicht zur Ruhe. Die Frustration über Korruption, soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Härten entlädt sich auf der Straße.

Seit Wochen wird Südamerika von einer Welle der Proteste erschüttert. In Chile gehen die Menschen gegen hohe U-Bahn-Preise auf die Straße, in Ecuador demonstrieren Bauern gegen die Streichung von Benzin-Subventionen, in Bolivien fühlen sich Regierungsgegner um die Wahl betrogen. Die Wut der Menschen zeigt: Trotz vielerorts sprudelnder Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft ist es den Regierungen der Region nicht gelungen, die Gewinne gerecht zu verteilen und für einen sozialen Ausgleich zu sorgen.

ARGENTINIEN:

Der neu gewählte Präsident Alberto Fernández übernimmt Argentinien mitten in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für das laufende Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,1 Prozent und einer Inflationsrate von 54,4 Prozent. Die Armut in einem der einst reichsten Länder der Welt nimmt immer weiter zu: Im vergangenen Jahr rutschten nach Angaben der Statistikbehörde 3,4 Millionen Argentinier in die Armut ab. Nun leben 35,4 Prozent der Menschen in dem südamerikanischen Land unterhalb der Armutsgrenze.

Gewerkschaften und soziale Bewegungen fordern mehr Sozialmaßnahmen und legen mit Demonstrationen immer wieder die Hauptstadt Buenos Aires lahm. Viele setzen ihre Hoffnung auf die ehemalige Staatschefin Cristina Kirchner, die als Vizepräsidentin nun wieder in die Regierung einzieht. Allerdings läuft gehen sie ein knappes Dutzend Ermittlungsverfahren wegen Korruption, außerdem steht sie mit dem IWF auf Kriegsfuß. Die Rückzahlungsmodalitäten für den Rekordkredit des IWF über 57 Milliarden US-Dollar an Argentinien müssen nach dem Amtsantritt der neuen Regierung am 10. Dezember wohl neu verhandelt werden.

CHILE:

Nach wochenlangen Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen mit rund 20 Toten hat der chilenische Präsident Sebastián Piñera die Reißleine gezogen und den Asien-Pazifik-Gipfel und die Weltklimakonferenz in Santiago abgesagt. Dabei galt Chile in der Unruheregion Südamerika lange als Hort der Stabilität. Allerdings gibt es im reichsten Land der Region hohe Einkommensunterschiede: Vor allem Bildung und Gesundheitsversorgung sind sehr teuer.

Die heftigen Proteste entzündeten sich letztendlich an einer relativ bescheidenden Erhöhung der Metro-Preise. Viele der Demonstranten fordern nun aber mehr: eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsmodell und eine grundlegende Reform der Verfassung, die noch aus der Zeit der Militärdiktatur von Augusto Pinochet stammt.

BOLIVIEN:

Evo Morales ist der dienstälteste Präsident des Kontinents. Bereits seit 2006 leitet der frühere Koka-Bauer die Geschicke Boliviens - wenn es nach ihm geht, will er bis zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit 2025 am Ruder bleiben. Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl am 20. Oktober erklärte er sich direkt zum Sieger, obwohl die Opposition, aber auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die EU erhebliche Zweifel anmeldeten.

Seitdem liefern sich Anhänger und Gegner von Morales fast täglich heftige Auseinandersetzungen. Zwar floriert Bolivien unter dem linken Präsidenten, die Förderung von Gas und Lithium bescherte dem Armenhaus Südamerikas zeitweise Wachstumsraten von mehr als sechs Prozent. Doch das zunehmend selbstherrliche und autoritäre Gehabe des indigenen Staatschef stößt immer mehr Bolivianern bitter auf. Vor allem die Menschen im wirtschaftlich starken Osten des Landes fühlen sich von Morales über den Tisch gezogen.

VENEZUELA:

Seit Anfang des Jahres liefern sich Staatschef Nicolás Maduro und der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó einen erbitterten Machtkampf. Maduro ist international weitgehend isoliert, hält sich mit Hilfe des Militärs aber weiter an der Macht. Guaidó wird auf dem internationalen Parkett zwar hofiert, kann sich in Venezuela selbst aber nicht durchsetzen. Die humanitäre Lage in dem einst reichen Land mit den größten Erdölreserven der Welt ist katastrophal: Es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten und Dingen des täglichen Bedarfs. Ständig fällt der Strom aus, das Bildungswesen ist weitgehend zusammengebrochen.

Zwar kommt es kaum noch zu Massendemonstrationen gegen die sozialistische Regierung wie Anfang des Jahres, aber die Menschen stimmen mit den Füßen ab: 4,5 Millionen der gut 30 Millionen Venezolaner haben das Land bereits verlassen. Vor allem das Nachbarland Kolumbien gerät bei der Aufnahme der Flüchtlinge und Migranten zunehmend an seine Grenzen.

ECUADOR:

Bei Protesten der indigenen Bevölkerung gegen die Streichung von Benzinsubventionen sind in Ecuador mehrere Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden verletzt. Die Demonstranten steckten den Rechnungshof in Quito in Brand, die Polizei ging mit Tränengas und gepanzerten Fahrzeugen gegen die Demonstranten vor.

Die Kürzung der Subventionen für Treibstoff um jährlich 1,2 Milliarden Dollar war eine Auflage des IWF für einen Kredit von 4,2 Milliarden Dollar. Dadurch kostete der Liter Diesel plötzlich das Doppelte - vor allem indigene Bauern litten unter dem Preissprung. Mittlerweile hat die Regierung von Präsident Lenin Moreno zwar die Subventionsstreichung kassiert, das Problem der hohen Verschuldung und der sozialen Ungleichheit ist damit aber längst nicht vom Tisch.

PERU:

Der Kampf gegen die weit verbreitete Korruption hat Peru in eine Staatskrise geführt. Weil er sich in seinen Bemühungen gegen Vetternwirtschaft und Mauscheleien vom Kongress ausgebremst sieht, hat Präsident Martín Vizcarra das Parlament aufgelöst und eine Neuwahl für Januar anberaumt. Stärkste Partei im Parlament ist die von Keiko Fujimori geführte «Fuerza Popular» («Volkskraft»). Die Tochter des wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilten Ex-Präsidenten Alberto Fujimori (1990-2000) sitzt selbst wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft.

In den vergangenen Jahren konnte Peru zwar mit soliden Wachstumsraten glänzen, die boomenden Wirtschaft machte den Staat aber auch anfällig für Korruption. In dem Andenland wird gleich gegen drei ehemalige Präsidenten ermittelt: Alejandro Toledo (2001-2006), Ollanta Humala (2011-2016) und Pedro Pablo Kuczynski (2016-2018) stehen im Fokus der Behörden.

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