BUENOS AIRES: Südamerika war zusammen mit den USA einer der Brennpunkte in der Pandemie. Nun ist es die Region mit den meisten Geimpften. Obligatorisch ist die Impfung gegen Covid-19 noch nicht, der Druck ist eher sanft. Wie hat Südamerika die Wende geschafft?
Zé Gotinha hat ein Tröpfchen als Kopf und das Logo des öffentlichen Gesundheitssystems Brasiliens auf der Brust. Seit mehr als 30 Jahren wirbt das Maskottchen für Impfungen. Einst gegen Polio, heute gegen das Coronavirus. Das Impfwesen hat eine lange Tradition im größten Land in Lateinamerika. «Wir haben schon als Kinder angestanden, um geimpft zu werden», sagt Daniele Moura aus Rio de Janeiro der Deutschen Presse-Agentur. Nun ist sie mit ihren Kindern zum Impfen gegangen.
«Die Corona-Impfung haben wir alle bekommen, ich die drei Dosen, die Kinder zwei.» Umso schwerer fällt es Moura zu akzeptieren, dass ihr Vater im Zusammenhang mit Covid-19 starb, bevor die Impfkampagne in Brasilien startete. Rund 660.000 Menschen sind in Brasilien im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben - mehr Corona-Tote gibt es nur in den USA. Gemessen an der Bevölkerungszahl gab es in keinem Flächenstaat der Erde so viele Corona-Tote wie in Peru.
Leichen in den Straßen Ecuadors, mangelnder Sauerstoff in Peru, Massengräber im brasilianischen São Paulo - Südamerika war einer der Corona-Brennpunkte. Auf dem Höhepunkt der Pandemie vor einem Jahr brach in Brasilien das Gesundheitssystem zusammen. Nun ist Südamerika die Region mit den meisten Geimpften, wie das Statistik-Portal Our World in Data der dpa bestätigte. 72,85 Prozent sind demnach in Südamerika komplett geimpft, 67,45 Prozent in Asien, 65,29 Prozent in Europa und 62,65 Prozent in Nordamerika (Stand 3. April).
In Chile, das zwischenzeitlich als Impfweltmeister galt, sind mittlerweile mehr als 90 Prozent der Menschen vollständig geimpft - über 80 Prozent haben sogar schon eine Auffrischungsimpfung erhalten. So schnell wie in kaum einem anderen Land der Welt impften die chilenischen Gesundheitsbehörden die Bevölkerung durch.
Just die schreckliche Erfahrung der Pandemie ist ein Grund, dass viele in Südamerika sehnsüchtig auf Impfstoffe warteten. Sie wirkte stärker als Verschwörungstheorien und Fake News wie vom brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der Corona verharmlost und den Sinn von Impfungen in Zweifel zieht.
In Argentinien und Brasilien liefen die Impfkampagnen zunächst schleppend an, weil die Regierungen Probleme hatten, genug Impfstoff zu beschaffen oder die Beschaffung verschleppten. Als die Kampagnen einmal in Schwung kamen, konnten die Länder der Region auf eine tief verwurzelte Impfkultur setzen und auf eingespielte Impfstrukturen zurückgreifen. Ärzteteams reisten ins tiefe Amazonasgebiet und entlegene Andendörfer, um die Bewohner zu impfen.
Brasilianer und Argentinier sind von klein an gewohnt, sich gegen zahlreiche Krankheiten impfen zu lassen: Ohne eine Reihe von obligatorischen Impfungen können Kinder beispielsweise nicht eingeschult werden. Bis ins Erwachsenenalter sind in Argentinien insgesamt 18 Impfungen, in Brasilien 19 Impfungen verpflichtend, darunter gegen Hepatitis A und B, Tuberkulose, Hirnhautentzündung, Masern, Windpocken, Tetanus und Gelbfieber.
Mouras Tochter Malu, heute zwölf, etwa hatte als Säugling mit sieben Tagen an einem Gesundheitsposten in Rio bereits die ersten Impfungen bekommen. «Wir haben uns mit anderen Müttern verabredet und sind zusammen los», erzählt Moura und zeigt Malus Impfausweis mit insgesamt mehr als 40 Dosen gegen verschiedene Krankheiten. «So entsteht eine Impfkultur.» Impfskepsis gibt es so kaum.
Die Impfungen sind kostenlos und werden an Gesundheitsposten, in Krankenhäusern und speziellen Impfpraxen verabreicht. Wie Chile setzen auch andere südamerikanische Länder in der Corona-Pandemie auf eine recht niedrigschwellige Impfkampagne ohne komplizierte Terminvergabe - auch in Kirchen, Fußballstadien und Impfstraßen. Das Sambodrom in Rio etwa wurde zu einem Drive-thru-Impfzentrum.
Bislang ist die Impfung gegen Covid-19 weder in Argentinien noch in Brasilien obligatorisch. Allerdings haben Abgeordnete bereits eine Initiative im argentinischen Kongress eingebracht, um die Corona-Impfung verpflichtend zu machen und in den nationalen Impfplan aufzunehmen. In Brasilien ist der Druck sanft: Ein Impfnachweis wird für viele öffentliche Einrichtungen und Veranstaltungen verlangt.
«Brasilien hat selbst gegen den Präsidenten gezeigt, dass es möglich ist, die Pandemie mit der Impfung zu bekämpfen», sagt Moura. «Dass wir hier heute stehen und gesund sind, verdanken wir der Wissenschaft.» Nun steht in Rio der Karneval an, am 21. April finden die wegen Corona verschobenen Umzüge statt - und Brasilien hat die niedrigsten Corona-Zahlen seit Beginn der Pandemie. Moura hofft, dass das so bleibt. «Wenn eine neue Welle kommt, würde sie viel weniger einschlagen, weil so viele geimpft sind.»