Volkswirte gedämpft optimistisch

«Aber die Unsicherheit bleibt»

Foto: Waltraud Grubitzsch/Zb/dpa
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NÜRNBERG (dpa) - Nimmt man die aktuelle Stimmung in den Chefetagen zum Maßstab, steht es um die deutsche Wirtschaft nicht gerade zum Besten. Volkswirte sehen die Lage nicht ganz so schwarz, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sogar ausgesprochen gut. Doch es gibt Risiken.

Trotz der eingetrübten Stimmung in vielen Chefetagen und den weiter schwelenden Welthandelskonflikten bleibt die deutsche Wirtschaft nach Experteneinschätzung vorerst auf Wachstum programmiert. Und auch der lang anhaltende Jobaufschwung werde sich in diesem Jahr moderat fortsetzen, betonten Volkswirte deutscher Großbanken in einer dpa-Umfrage zu Arbeitsmarkt und Konjunktur. Die durchschnittliche Zahl der Jobsucher in diesem Jahr werde deutlich unter denen von 2018 liegen, betonen die Experten. Noch immer gebe es viele freie Stellen, vor allem der Bedarf an Fachkräften sei groß.

Sorge bereitet den Ökonomen allerdings der Zollstreit zwischen den USA und China. Auch die von US-Präsident Donald Trump immer wieder angedrohten US-Zölle auf EU-Importe würden die deutsche Konjunktur ausbremsen, warnen die Fachleute. Das würde nach Einschätzung von Deutsche Bank-Volkswirt Marc Schattenberg vor allem die deutsche Autoindustrie treffen. «Und die bringt einen großen Teil der Wertschöpfung in Deutschland. Das wäre ein Klotz am Bein für die deutsche Konjunktur», warnt der Ökonom.

Auf dem Arbeitsmarkt laufe es jedenfalls noch rund, betonen die Fachleute einmütig. So ist nach ihren Prognosen im Mai die Zahl der Arbeitslosen um rund 65.000 auf 2,164 Millionen gesunken. Das wären rund 150 000 weniger als vor einem Jahr. Einige Volkswirte gehen sogar von einem etwas stärkeren Mai-Rückgang aus. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen gibt die Bundesagentur für Arbeit (BA) an diesem Mittwoch (29. Mai) bekannt.

Was die weitere Entwicklung der deutschen Konjunktur angeht, so sehen die Ökonomen allerdings längst nicht so schwarz wie viele Unternehmenschefs laut jüngstem Ifo-Geschäftsklimaindex. So hat die Deutsche Bank erst vor wenigen Tagen ihre Wachstumsprognose für 2019 nach oben korrigiert: Dort ist man überzeugt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 0,7 Prozent wachsen wird statt nur um 0,5 Prozent. Der Finanzdienstleister Allianz rechnet sogar mit einem BIP-Wachstum von 1,0 Prozent für 2019.

Vor übertriebener Schwarzmalerei warnt auch der DZ-Bank-Volkswirt Eckart Tuchtfeld: «Ich gehe davon aus, dass die konjunkturelle Schwächephase im zweiten Halbjahr überwunden sein wird» - vorausgesetzt, der EU blieben US-Schutzzölle auf bestimmte EU-Produkte erspart. Skeptischer ist hingegen Katharina Utermöhl von der Allianz. Sie fürchtet, dass das «Expansionstempo in der zweiten Jahreshälfte nicht gehalten werden kann». Dabei verweist sie auf Probleme der Autoindustrie und auf die Welthandelskonflikte. Und auch Martin Müller von der KfW-Bank sieht «das Konjunkturtal noch nicht durchschritten».

Weitgehend einig sind sich die Ökonomen hingegen, was die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angeht. Trotz der leichten konjunkturellen Schwäche werde sich in den kommenden Monaten «der positive Trend fortsetzen», ist DZ-Bank Volkswirt Michael Holstein überzeugt. Viele Unternehmen stellten oft unabhängig von ihrer Auftragslage Mitarbeiter ein - schon um sich die knapper werdenden Fachkräfte zu sichern. Daneben boome die konjunktur-unabhängige Gesundheits-und Pflegebranche.

Anders verhalte es sich hingegen bei der Industrie. «Dort normalisiert sich inzwischen die Einstellungserwartung. Es gibt vorsichtige Signale einer Zurückhaltung», berichtet Deutsche Bank-Volkswirt Schattenberg. Vor allem schwächere Exporte etwa nach China würden inzwischen beim verarbeitenden Gewerbe immer deutlicher spürbar.

Treffen könnte diese Situation nach Schattenbergs Einschätzung über kurz oder lang auch die sogenannten industrienahen Dienstleister, wie Werbeagenturen, Wirtschaftsprüfer, Anwälte und Liegenschaftsverwalter. Diese hätten lange Zeit vom Boom der Industrie profitiert und könnten nun in den «Abwärtssog der Industrie» geraten, gibt Schattenberg zu bedenken. Insgesamt bleibe die Dienstleistungsbranche nach seiner Prognose zusammen mit der Baubranche und dem privaten Konsum aber weiterhin Konjunkturstütze und Jobmotor.

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