Vielen Ostsee-Fischern droht das Aus

EU will Fangquoten senken

Der Fischer Ralph Krehl holt von seinem Arbeitsboot auf dem Deviner See, am Strelasund, in Sichtweite der Insel Rügen, ein Netz ein. Foto: Stefan Sauer/Dpa-zentralbild/dpa
Der Fischer Ralph Krehl holt von seinem Arbeitsboot auf dem Deviner See, am Strelasund, in Sichtweite der Insel Rügen, ein Netz ein. Foto: Stefan Sauer/Dpa-zentralbild/dpa

STAHLBRODE/FEHMARN (dpa) - Wenn die EU-Fischereiminister in Brüssel über die neuen Fangquoten für die Ostsee entscheiden, entscheiden sie zugleich über das Schicksal von Fischern. Für die Berufsverbände ist klar: Viele Betriebe verkraften keine Kürzungen mehr.

Stahlbrode am Strelasund, in Sichtweite der Insel Rügen, war mal ein Fischerdorf. Zu DDR-Zeiten hat die Fischereigenossenschaft mit Hering richtig Geld verdient, wie sich Fischer Ralph Krehl erinnert. «1.200 Mark gab es für eine Tonne Hering», sagt er. 1.800 Tonnen wurden pro Jahr gefangen. Dazu noch andere Fische. Wie viele Familien die Fischerei im Ort ernährte, weiß der 53-Jährige nicht mehr genau. Mehr als 20 Mann waren sie wohl in der Genossenschaft. Im Vorjahr noch neun, Anfang 2019 noch drei. Jetzt ist Krehl allein. Im Februar löste sich die Genossenschaft auf.

Krehl kaufte von seinen früheren Kollegen, die größtenteils in Rente gingen, was noch zu gebrauchen war. Er kannte für sich keine Alternative: «Ich habe noch zehn Jahre zu dienen», sagt er und ergänzt: «Vater, Opa, Urgroßvater - wir waren immer Fischer. Ich hatte schon mit 13 oder 14 ein kleines Boot und habe gefischt. Für mich kam nichts anderes in Frage.» Krehl lernte Fischer und blieb in der Genossenschaft. Seine Söhne brachen mit der Familientradition.

Mit den Fischkuttern kaufte Krehl auch die Fangquoten. In diesem Jahr durfte er noch 23 Tonnen Hering fangen. Im kommenden Jahr werden es vielleicht noch 6 oder 7 Tonnen sein, wenn die EU-Fischereiminister am Dienstag (15. Oktober) die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Quoten beschließen sollten. «Ich glaube nicht, dass bei der Entscheidung stark von den Empfehlungen der EU-Kommission abgewichen wird», sagt der stellvertretende Vorsitzende des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein, Benjamin Schmöde.

Der Heringsfang in der westlichen Ostsee soll um 71 Prozent reduziert werden. Beim östlichen Dorsch soll es einen Fangstopp geben, beim westlichen eine Senkung der Fangmenge um 68 Prozent. Der Deutsche Fischerei-Verband befürchtet, dass viele Betriebe an der Ostseeküste diese extremen Kürzungen nicht mehr verkraften und pleitegehen. An Schleswig-Holsteins Ostseeküste gibt es noch etwa 60 Fichereibetriebe, in Mecklenburg-Vorpommern noch knapp 230. Nach Angaben des Fisch-Informationszentrums Hamburg wurden im vorigen Jahr 86 Prozent des in Deutschland verbrauchten Fisches importiert.

Drei Viertel der Fischer leben Schmöde zufolge von den Erträgen ihrer Stellnetze, der Rest fährt mit Schleppnetzen auf See. «Davon wird der eine oder andere die Pläne der EU-Kommission wirtschaftlich nicht aushalten und aufgeben», sagt er. Auch für einige Stellnetzfischer könnte es schwierig werden. Die Stellnetzfischer an der Ostsee seien jedoch anders aufgestellt, viele von ihnen vermarkteten den Fisch selbst in der Region, sagt Schmöde. «Sie erzielen andere Preise als beim Verkauf an den Großhandel.» Wer mit Schleppnetzen zum Fischen fahre, habe höhere Kosten und sei deshalb «auf üppigere Quoten angewiesen».

Auch Krehl will die wenigen Tonnen Hering im kommenden Jahr selbst verkaufen. Seine Dorschquote war schon in diesem Jahr auf 2,5 Tonnen gesunken. «Wenn sie ganz wegfällt, soll sie.» Krehl hat auch Räucheröfen und eine Verkaufsbude am Hafen Stahlbrode von der Genossenschaft übernommen. «Wenn ich den Laden nicht hätte, müsste ich aufgeben», sagt er. Nur durch die Direktvermarktung kann er von seiner Arbeit leben, rechnet er vor: Beim Großhandel bekomme er gerade mal 45 Cent pro Kilo Hering. Im Laden, je nachdem, wie er die Fische verarbeitet, sind es 2,50 bis 3,00 Euro.

Dafür hat der 53-Jährige 16-Stunden-Tage. Früh um 5 Uhr bereitet er die Räucheröfen vor. Für acht Stunden kommt ein Verkäufer, sein einziger Angestellter. Krehl fährt am Vormittag raus zum Fischen. Auf dem Rückweg beginnt er schon mit dem Schlachten. Sein Geheimnis, wie er das schafft. Im Laden richtet er den Fang und den dazugekauften Fisch wie Lachs oder Heilbutt für die Auslage her. Zwischendurch nach Hause zur pflegebedürftigen Mutter. Sie ins Heim zu bringen, kommt nicht in Frage. Seine zweite Frau ist im vorigen Jahr gestorben. Der Lichtblick: Seine Söhne sind wieder in der Nähe. Am Nachmittag steht Krehl im Laden. Am Abend wartet Bürokram auf ihn. Im Januar macht er sowas wie Betriebsferien, aber für Urlaub bleibt keine Zeit. Das sei jetzt auch nicht wichtig, gibt er zu verstehen.

Der Fischer Gunnar Gerth-Hansen aus Burgstaaken von der Insel Fehmarn rechnet ebenfalls mit «gravierenden Auswirkungen» der geplanten Fangquoten. «Ich sehe mich als Traditionsfischer», sagt der 55-Jährige. «Ich habe Bestände garantiert nie überfischt.» Seit 1980 fischt er mit seinem Kutter. Er führt seinen Familienbetrieb mit einem Mitarbeiter in vierter Generation. Der Fischwirtschaftsmeister hat sich bereits vor mehr als 15 Jahren ein zweites Standbein im Tourismus geschaffen. Von November bis April geht er auf Hering-, Dorsch- oder Plattfischfang. In den Sommermonaten fährt er mit seinem 15 Meter langen Kutter «Tümmler» mit Urlaubern zum Schauangeln. «Ich kann von beidem alleine nicht leben», sagt Gerth-Hansen.

Nach dann 40 Jahren auf Fischfang will er ab dem kommenden Jahr etwas ruhiger treten, seinen Betrieb an den Mitarbeiter übergeben und nur noch im Nebenerwerb mit einem kleinen Boot zum Fischen rausfahren. «Das hat auch mit der gesamtem Entwicklung zu tun», sagt er. Seine Kollegen und er beobachteten bereits seit fünf Jahren, dass die Fischbestände in der westlichen Ostsee steigen. «Aber auf uns Fischer wird einfach nicht gehört.»

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