Keine Entwarnung beim IS

Foto: Bundesamt Für Verfassungsschutz
Foto: Bundesamt Für Verfassungsschutz

BERLIN (dpa) - Die Terrormiliz IS hat ihr Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak verloren. Doch die Extremisten sind weiter aktiv. Vor allem über das Internet. Der Verfassungsschutz ist überzeugt: Auch in Deutschland ist weiterhin jederzeit mit einem Anschlag zu rechnen.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hält die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auch nach ihrer militärischen Niederlage für eine Gefahr. «Beim IS kann ich keine Entwarnung geben», sagte Haldenwang der «Welt am Sonntag». «Wir müssen weiter jederzeit auch mit einem Anschlag in Deutschland rechnen.» Der IS bestehe noch immer, mit Blick auf Europa «vor allem im Sinne eines virtuellen Cyber-Kalifats, das zu Anschlägen anstachelt und auch immer noch Anhänger für Anschläge steuern kann».

Die Zahl der Menschen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz als potenziell gefährliche Radikal-Islamisten einstuft, ist laut Haldenwang im vergangenen Jahr um mehr als 300 gestiegen. «Wir rechnen in Deutschland rund 2240 Personen dem sogenannten islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zu. Ihnen trauen wir jederzeit einen Anschlag oder die Unterstützung eines solchen zu», sagte er. Dazu kämen noch eventuelle Rückkehrer, die nach der militärischen Niederlage des IS wieder nach Deutschland kämen.

Seit dem vergangenen Sommer stieg die Zahl aber nur noch leicht an - im August 2018 hatten die Sicherheitsbehörden bereits rund 2220 Radikal-Islamisten ausgemacht. «All diese Personen rund um die Uhr im Blick zu behalten, ist nicht möglich», betonte Haldenwang. «Pro Person bräuchte man bis zu 40 Beamte. Wir konzentrieren uns deshalb auf die, die wir als besonders gefährlich betrachten.»

Zum «islamistisch-terroristischen Personenpotenzial» werden die von den Polizeibehörden identifizierten sogenannten Gefährder sowie «relevante Personen» gezählt, aber auch andere Menschen, die der Verfassungsschutz auf dem Schirm hat. Gefährdern trauen die Behörden jederzeit einen Terroranschlag zu. Als relevant wird beispielsweise eingestuft, wer im extremistischen Spektrum eine Führungsrolle hat, als Unterstützer gilt oder enge Kontakte zu Gefährdern unterhält.

Nach dem Fall der letzten syrischen IS-Bastion Baghus Ende März ist das selbst ernannte Kalifat der Extremisten zwar zerstört, trotzdem gilt die Terrormiliz noch nicht als besiegt. Hunderte, wenn nicht gar Tausende IS-Kämpfer sind in den unübersichtlichen Wüstengebieten Syriens und des Iraks untergetaucht. Vor allem über das Internet verbreiten IS-Anhänger weiterhin Propaganda. Schon seit geraumer Zeit setzen die Extremisten auf Einzeltäter, die sich im Internet selbst radikalisieren und dann zur Tat schreiten.

Sorgen bereiten dem Verfassungsschutz auch nach Deutschland zurückkehrende Kinder von IS-Anhängern, die sich mit ihren Familien im ehemaligen Herrschaftsgebiet der Terrormiliz im Irak oder in Syrien aufgehalten haben. «Wir fragen uns: Entsteht hier die neue Terroristengeneration?», sagte Haldenwang. Dschihadisten-Kinder hätten beim IS Gewalt miterlebt und verehrten ihre gefallenen Väter als Helden. Anschlagsversuche aus vergangenen Jahren zeigten, dass Heranwachsende früh zu Attentätern werden könnten. Er plädierte für eine Gesetzesänderung, um Kinder im Einzelfall überwachen zu können.

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