Velazquez oder „Velazquez“?

Das neue Jahr begann vielversprechend mit einer rabiaten Einführung in die Kunstgeschiche. Thaifreunde aus Bangkok waren zu Besuch, darunter Rong, ein Mann um die vierzig, welcher in einem Gymnasium Kunst und Architektur unterrichtet. Da er auch selbst malt, lag es nahe, ihm einen Künstler aus unserem Bekanntenkreis vorzustellen: Paule aus Berlin, seit den 90ern in Thailand.

Die Holztreppe, die hoch zu seinem Atelier in einem traditionellen Thaihaus führte, hatte ausgetretene Bohlen und knarrte, als wäre eine ganze Armee im Anmarsch. Unsere Ankunft war unüberhörbar. Sekunden später hörten wir schnelle Schritte näherkommen, die gar nicht zu einem Siebzigjährigen passen wollten. Da war ein jugendlicher Schwung darin, die auf einen leidenschaftlichen Menschen schließen ließ.

Die Türe öffnete sich mit demselben Schwung und Paule stand in einem verwitterten Morgenrock mit hochrotem Gesicht vor uns, die Haare wild zerzaust in alle Himmelsrichtungen weisend, wie bei Einstein. „Los, kommt rein,“ rief er unwirsch auf Deutsch „ich muss euch etwas zeigen!“ Ich wechselte einen besorgten Blick mit Rong, der freundlich den Wei machte. Ich hoffte, dass er „Los kommt rein“ für eine Art preussisches „Sawasdee krap“ hielt.

Spanischer Adel im Atelier

Paule eilte uns mit Riesenschritten quer durch durch das Atelier voraus, vorbei an einem halben Dutzend Staffeleien mit halbfertigen Porträts und blieb vor einem meterhohen Bild stehen, das einen spanischen Granden in einem schwarzen, mit Silberknöpfen verzierten Kostüm zeigte. Über der weißen Halskrause blickte ein bärtiges, wachsbleiches Gesicht halb herrisch, halb amüsiert auf den Betrachter. Die rechte Hand ruhte auf einem Stock, dessen vergoldeter Knauf einem Jaguarkopf nachgebildet war. Das Bild sah aber sehr mitgenommen aus, es franste an den Seiten üppig in braune Leinwandfäden aus, das Schwarz des Kostüms war stellenweise weißfleckig und rissig, durch kleine Löcher schimmerte das Tageslicht durch.

„What do you say now?“, fragte Paule, der sich vor dem Bild aufgebaut hatte, wie Napoleon nach einer gewonnenen Schlacht, während sein Blick ungeduldig zwischen uns hin und her wanderte. Spanische Schule, 17. Jahrhundert, dachte ich, aber ich bin ja kein Kenner umd wollte mich hier auf keinen Fall auf die Äste hinauslassen, ein falsches Wort könnte leicht als Sünde wider den heiligen Geist ausgelegt werden. Rong blickte eher auf Paule, offenbar fand er seine Erscheinung aufregender als den steifen Granden. Sein feines Lächeln war Antwort genug: Diese Art der Leidenschaft war ihm fremd, aber er war sichtlich beeindruckt.

Meine Ignoranz ließ ihn verzweifeln

Nun beugte sich Paule zur Leinwand vor, zeigte mit dem Finger ungeduldig auf das Bild und sagte mit einem flehentlichen Unterton: „Mensch, siehst du das denn nicht...? Schau dir das an... schau es dir an... dieHände...! schau dir diese Hände an... das kann nur ER!“ Ich blickte nun auch auf die Hände, hütete mich aber, mir in einer Sache, bei der es offenbar um Leben und Tod ging, den Mund zu verbrennen. Paule kam nun näher an mich heran, meine Ignoranz schien ihm den Verstand zu rauben, sein Gesicht wirkte wie entrückt. Dann faltete er beschwörend die Hände, ging ein bisschen in die Knie und rief mit echter Verzweiflung: „V-e-l-a-z-q-u-e-z! Mann! Das ist ein echter Velazquez!“ Es war Shakespeare pur, einfach vierhundert Jahre später.

Rumpelstilz lässt grüßen

Dann kam er erst richtig in Fahrt. Er sprang wie entfesselt auf das Bild zu, zeigte auf das Gesicht des Granden, dann auf Hände und Stiefel, wieder auf das Gesicht und kommentierte alles mit einem unglaublichen Schwall von Worten, die mit absoluter Gewissheit untermauern sollten, dass es sich hier um einen echten Velazquez handelte, SEINEN Velazquez. Wenn er anfänglich noch ein paar englische Wortfetzen in seine Suada einflocht, um Rong in die Debatte, oder besser: den Monolog, einzubeziehen, trug ihn sein Furor derart fort, dass er im lupenreinen Berliner Dialekt endete. Rong schien das nicht zu stören. Paules Gestik war Sprache genug, Velazquez war ihm als Kunstlehrer ein Begriff. Der Auftritt von Paule Rumpelstilz aber war eine völlig neue Erfahrung für ihn.

Unser Besuch endete damit, dass wir die halbfertigen Porträts auf den Staffeleien besichtigten. Paule war aber erstaunlich wenig daran interessiert und ich wunderte mich, dass sie seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren fast unverändert erschienen. Der Grund war, dass er die Lust an der Malerei verloren hatte und in den Kunsthandel gewechselt hatte. Den Velazquez hatte er auf den Philippinen, in Davao City, bei einem Trödler erworben und nun setzte er alles in Bewegung, um die Echtheit dokumentieren zu lassen. Er ließ sogar einen Experten aus Madrid einfliegen. „Ich lasse ihn restaurieren, auf meine Kosten, egal ob ich mich ruiniere, das IST ein Velazquez!“ sagte er immer wieder. Vor einem Jahr ist er verstorben. Wenn jemand das Bild eines spanischen Granden bei einem Trödler hierzulande sieht, dann ist das ein echter Velazquez, was denn sonst? Niemand sollte sich vom arrogant ironischen Blick des Porträtierten irritieren lassen.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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