Unruhen : Präsident spricht von «Staatsstreich»

Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew ist während einer Videokonferenz mit dem Europäischen Rat auf einem Monitor zu sehen. Foto: epa/Johanna Geron / Pool
Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew ist während einer Videokonferenz mit dem Europäischen Rat auf einem Monitor zu sehen. Foto: epa/Johanna Geron / Pool

NUR-SULTAN: Kasachstan hat die schwersten Unruhen seit Jahrzehnten erlebt. Noch immer sind viele Fragen offen. Etwa wer hinter den gewaltsamen Ausschreitungen steckt. Kremlchef Putin meldete sich dazu zu Wort.

Die schweren Ausschreitungen mit vielen Toten in Kasachstan sind nach Darstellung des Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew weitgehend beendet. «In Kasachstan ist die vollständige Ordnung wiederhergestellt», sagte der Staatschef am Montag in der Hauptstadt Nur-Sultan. Ziel der Ausschreitungen in der Ex-Sowjetrepublik sei eine Machtergreifung gewesen. «Dies ist der Versuch eines Staatsstreichs», sagte Tokajew, ohne zunächst zu sagen, wen er dafür verantwortlich hält. Er sprach von der schwersten Krise seit der Unabhängigkeit des Landes vor 30 Jahren.

Nach Angaben des Innenministeriums des autoritär geführten Landes wurden seit Beginn der Unruhen vor mehr als einer Woche mindestens 7939 Menschen in Gewahrsam genommen. Allein in der von den Unruhen besonders betroffenen Millionenstadt Almaty im Südosten des Landes seien auf zwei Märkten 207 Personen festgenommen worden. Jüngsten Angaben zufolge gab es mehr als 2000 Verletzte. Der sogenannte Anti-Terror-Einsatz werde bald abgeschlossen, sagte Tokajew.

Das öl- und gasreiche Kasachstan grenzt etwa an Russland und China. Tagelang war die Lage in dem Land unklar, auch weil kaum unabhängige Informationen ins Ausland drangen. Der Unmut über gestiegene Preise an den Tankstellen war in Proteste gegen die Staatsführung umgeschlagen. Tokajew hatte daraufhin die Regierung entlassen. Neben friedlichen Demonstrationen kam es auch zu gewaltsamen Ausschreitungen. Noch völlig unklar ist, wer dahinter steckt.

Russlands Präsident Wladimir Putin sagte bei einer Sitzung des von Moskau dominierten Militärbündnisses OVKS, die Lage sei nicht durch spontane Protestaktionen wegen der Treibstoffpreise verursacht worden, «sondern dadurch, dass zerstörerische Kräfte von außen die Situation ausgenutzt haben». Das Nachbarland sei Ziel einer «Aggression des internationalen Terrorismus».

Tokajew hatte die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) um Hilfe gebeten, die nach kasachischen Angaben mehr als 2000 Soldaten nach Kasachstan geschickt hat. Putin versicherte dem Kreml zufolge, dass die Truppen «in einem begrenzten Zeitraum» in Kasachstan blieben. Wie lange, das bestimme Tokajew. Vor allem die entsandten russischen Fallschirmjäger in der Ex-Sowjetrepublik hatten im Westen Besorgnis ausgelöst.

Es habe im Vorfeld geplante und abgestimmte Angriffe auf Gebäude von Regionalbehörden, des Strafvollzugs und auf Gefängnisse gegeben, sagte Tokajew. Plan sei es gewesen, zunächst Almaty einzunehmen. Danach sollte die Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana) folgen. Beweise für seine Behauptungen legte er nicht vor, wollte sie aber der Weltöffentlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt präsentieren.

Auch am Montag dauerte die Verwirrung um die Opferzahl an. Der Staatschef sagte, es seien 16 Sicherheitskräfte getötet worden. Wie viele Zivilisten ums Leben kamen, werde noch geklärt. Das Staatsfernsehen hatte zuvor unter Berufung auf das Gesundheitsministerium von mehr als 160 Todesopfern gesprochen. Diese Meldung wurde später ohne Angaben von Gründen gelöscht.

Am Montag galt eine landesweite Staatstrauer. Alle Flaggen wurden laut der Staatsagentur Kazinform auf halbmast gesetzt. In Almaty konnten die Menschen zwischenzeitlich wieder das Internet nutzen, wie eine Bewohnerin der Deutschen Presse-Agentur in Moskau bestätigte. Über Tage wurde das Internet immer wieder abgeschaltet.

«Schüsse höre ich seit gestern nicht mehr», erzählte die Frau. «Die Bilder von der zerstörten Stadt sind wirklich schrecklich.» Zu Wochenbeginn dauerten die Aufräumarbeiten an. Ausgebrannte Autos wurden von den Straßen und Plätzen geräumt. Zudem rollte der Busverkehr in Kasachstans größter Stadt wieder an.

Indes zeigten sich die Vereinten Nationen besorgt, nachdem Fotos von kasachischen Soldaten veröffentlicht wurden, die offenbar bei den schweren Unruhen Helme mit UN-Aufschrift trugen. «Wir haben diesbezüglich der Ständigen Vertretung Kasachstans unser Bedenken übermittelt», teilte eine UN-Sprecherin auf dpa-Anfrage mit. Sicherheitskräfte von UN-Mitgliedstaaten dürften die so genannten Blauhelme nur im Rahmen von UN-Friedensmissionen tragen, hieß es. Das ist in Kasachstan nicht der Fall.

Die Fotos waren Ende vergangener Woche aus der kasachischen Millionenstadt Almaty aufgetaucht. Wie genau die Soldaten an die Helme kamen und weshalb sie sie trugen, war zunächst unklar. Kasachstan ist UN-Mitglied. Kasachische Soldaten waren etwa bis zum vergangenen Jahr an einer UN-Friedensmission im Libanon beteiligt.

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Ingo Kerp 11.01.22 12:30
Ja ne, is klar. Bei "Unruhen" in einer Diktatur sind natürlich immer terroristische Kräfte von außen am Werk gewesen, während die Bevoelkerung bis dahin in einem Paradies leben durfte.