Niemeier und Maria schreiben Wimbledon-Geschichten

«Unglaublich» 

Deutschlands Jule Niemeier (2.v.l.) und Tatjana Maria (l) stehen auf dem Trainingsplatz. Foto: Frank Molter/dpa
Deutschlands Jule Niemeier (2.v.l.) und Tatjana Maria (l) stehen auf dem Trainingsplatz. Foto: Frank Molter/dpa

LONDON: Erst zum fünften Mal in der Profi-Ära stehen gleich zwei deutsche Spielerinnen im Wimbledon-Viertelfinale. Für das Duell von Jule Niemeier und Tatjana Maria erwartet eine Expertin ein «enges Match». Die Dortmunderin freut sich über besondere Glückwünsche.

Beim Training vor dem großen deutschen Wimbledon-Duell gingen Jule Niemeier und Tatjana Maria konzentriert ihrer Wege. Hatten die beiden deutschen Turnier-Sensationen tags zuvor inmitten des Interview-Marathons noch Zeit für einen kurzen Plausch gefunden, herrschte beim Feinschliff am Montag auf Platz 1 höchste Fokussierung. Als Niemeier sich im violetten Shirt auf die unangenehmen Unterschnitt-Bälle ihrer Gegnerin vorbereitete, machte sich Maria bereits am Rand warm und schlug direkt im Anschluss auf dem gleichen Court Bälle mit Ehemann und Trainer Charles-Edouard.

Auch wenn sich beide im Mittagstraining keines Blickes würdigten, präsentierten sich die so ungleichen Spielerinnen vor dem erst zweiten rein deutschen Damen-Viertelfinale in der Geschichte des Rasen-Klassikers bemerkenswert locker. «Wir spielen oft gegen Leute, die wir mögen», sagte die 34 Jahre alte Maria über ihre zwölf Jahre jüngere Kontrahentin vor der Partie am Dienstag (14.00 Uhr MESZ). «Ich glaube, wir kriegen das beide gut hin, dass wir rausgehen, unser bestes Tennis spielen, und danach ist alles wieder in Ordnung.»

Und auch Niemeier verschwendete mit Blick auf das Spiel auf Court 1, dem zweitgrößten Platz der Anlage, keinen Gedanken an die außergewöhnliche Konkurrenzsituation. Sie freue sich «extrem», dass auf jeden Fall eine Deutsche im Halbfinale stehe: «Für mich hat das nur positive Sachen.»

Zum fünften Mal überhaupt in der Historie des Profi-Tennis sind zwei deutsche Spielerinnen im gleichen Jahr unter den besten Acht in Wimbledon. Und ihre beiden außergewöhnlichen Geschichten faszinieren auch die internationalen Medien. Auf der einen Seite Niemeier als Wimbledon-Debütantin, die vor dem Turnier noch kein Grand-Slam-Match gewonnen hatte. Auf der anderen Seite Maria, die nur 15 Monate nach der Geburt ihrer zweiten Tochter so gut wie noch nie in ihrer langen Karriere ist.

«Es stellt sich heraus, dass doch noch eine ältere Mutter die Geschichte dieser Championships sein könnte», schrieb die englische «Daily Mail» staunend. Eigentlich wäre diese Rolle ihrer früh gescheiterten Florida-Nachbarin Serena Williams zugedacht gewesen. Nun erzählt Maria auf Deutsch, Englisch und Französisch immer wieder die Geschichte ihres reisenden Tennis-Familienbetriebs mit Ehemann und Trainer Charles-Edouard sowie den Töchtern Charlotte und Cecilia in die Kameras.

«Ich ziehe wirklich meinen Hut davor, wie sie das machen als Familie», schwärmte Niemeier. «Ich finde es unglaublich, mit zwei Kindern zu reisen.» Die Dortmunderin wird in London von ihrer Mutter, ihrem Bruder und einem Team um Trainer Christopher Kas begleitet.

Der Viertelfinaleinzug ist dabei nicht nur verbunden mit dem Einzug in den elitären «Last 8 Club» von Wimbledon, der unter anderem lebenslang Tickets garantiert, sondern bringt auch umgerechnet 360.000 Euro ein. «Das ist eine Menge Geld, das ist für uns beide sehr hilfreich zu wissen, dass man die nächsten Monate planen kann, dass man mit einem Physio reisen kann, das ist extrem wichtig», sagte Niemeier.

Auch wenn sie bereits dieses Jahr ein gemeinsames Bundesligaspiel für den TC Bredeney aus Essen absolviert haben, gab es dabei noch kein WTA-Duell der beiden. Das bislang letzte deutsche Aufeinandertreffen in einem Wimbledon-Viertelfinale entschied Angelique Kerber 2012 knapp in drei Sätzen gegen Sabine Lisicki für sich.

Und auch dieses Mal sieht die deutsche Damen-Bundestrainerin keine klare Favoritin. «Am Ende wird es ein enges Match mit ganz offenem Ausgang», sagte Barbara Rittner der Deutschen Presse-Agentur. «Spielerisch sehe ich Jule einen Tick vorne, weil sie einen noch stärkeren Aufschlag hat und in der Lage ist, Tatjana ihr Spiel mehr aufzuzwängen», sagte Rittner. Andererseits sei dies auch bei der unterlegenen Lettin Jelena Ostapeno im Achtelfinale der Fall gewesen. «Tatjana hat oft genug eindrucksvoll gezeigt, dass sie über sich hinauswächst. Sie wird alles tun, um es Jule so schwer wie möglich zu machen.»

So wird es auch darauf ankommen, wer auf der großen Bühne die besten Nerven hat. Sollte sie bei ihrem erst zweiten Grand-Slam-Turnier das Halbfinale erreichen, darf sich BVB-Anhängerin Niemeier wieder auf viele Glückwunsche einstellen. «Als großer Dortmund-Fan musste ich schon schmunzeln und habe mich natürlich gefreut», sagte sie über Nachrichten von Nico Schlotterbeck und Mats Hummels. «Ich hätte vor dem Turnier nicht damit gerechnet, dass ich hier sitze und so viele Leute meinen Namen kennen.» Am Dienstag könnten es noch ein paar mehr werden.

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