Ukraine-Konflikt überschattet Weltkriegs-Gedenken in Berlin

Federal President Frank-Walter Steinmeier in Berlin. Photo: epa/CLEMENS BILAN
Federal President Frank-Walter Steinmeier in Berlin. Photo: epa/CLEMENS BILAN

BERLIN: Gemeinsames Gedenken ungeachtet aktueller Konflikte: So hatte Bundespräsident Steinmeier sich den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vorgestellt. Aber nicht alle ziehen da mit.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine überschattet die geplanten Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion in Berlin. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk boykottiert eine Veranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Freitag, weil sie im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst stattfindet. Dies sei «aus Sicht der Ukrainer ein Affront, sehr bedauernswert und befremdlich zugleich», schreibt er in einem Brief an den Veranstalter, Museumsdirektor Jörg Morré. Außerdem sei ein gemeinsames Gedenken mit einem Vertreter Russlands wegen des Konflikts in der Ostukraine für ihn ausgeschlossen.

Das Bundespräsidialamt bedauerte die Absage, wies die Kritik an der Ortswahl aber zurück. Nach Angaben des Museums haben insgesamt sieben von 15 Botschaftern der Nachfolgestaaten der Sowjetunion ihre Teilnahme abgesagt, darunter auch die der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Russland und Belarus werden aber vertreten sein.

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion jährt sich am 22. Juni zum 80. Mal. Kein anderes am Zweiten Weltkrieg beteiligtes Land hatte eine höhere Opferzahl zu beklagen als die Sowjetunion mit etwa 27 Millionen Menschen. Gemessen an ihrer Gesamtbevölkerung waren die Ukraine und Belarus am stärksten betroffen. Ukrainischen Angaben zufolge kamen zwischen acht und zehn Millionen damalige Bewohner des heutigen ukrainischen Staatsgebiets zwischen 1939 und 1945 ums Leben.

Der Bundestag hat den Jahrestag bereits in der vergangenen Woche mit einer Debatte gewürdigt, die bedeutendste Gedenkveranstaltung wird aber die in Berlin-Karlshorst sein. Das Deutsch-Russische Museum befindet sich in dem Gebäude, in dem die Oberbefehlshaber der Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die bedingungslose Kapitulation unterzeichneten.

Steinmeier wird dort die Ausstellung «Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg» eröffnen und die zentrale Gedenkrede zum Jahrestag halten. Der ukrainische Botschafter Melnyk kritisiert die Ortswahl in seinem dreiseitigen Brief mit scharfen Worten als unpassend. Ihm geht gegen den Strich, dass das dem Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion gewidmete Museum nur Russland im Namen führt.

«Auf diese Weise wird de facto die UdSSR mit Russland gleichgesetzt, was eine Geschichtsverdrehung darstellt und vehement abzulehnen ist», schreibt Melnyk. Dies sei «brandgefährlich» für die deutsch-ukrainische Aussöhnung. Nationen wie die Ukraine, Belarus und die baltischen Länder würden «schlicht und einfach ignoriert». Die deutsche Gedenkpolitik müsse dringend auf den Prüfstand gestellt werden.

Vor allem diesen Vorwurf wies das Bundespräsidialamt mit deutlichen Worten zurück. «Was nicht zu akzeptieren ist, ist der Rundumschlag des Botschafters gegen die deutsche Gedenkpolitik», hieß es aus dem Umfeld Steinmeiers. «Er (Melnyk) erweist mit diesem pauschalen Vorwurf dem berechtigten Interesse seines Landes, aber auch den deutsch-ukrainischen Beziehungen einen schlechten Dienst.»

Auch das Auswärtige Amt reagierte mit «Verwunderung» auf den scharfen Brief Melnyks. Sprecherin Maria Adebahr verwies darauf, dass insgesamt 17 Organisationen - darunter Museen aus der Ukraine und Belarus - Mitglied des Trägervereins des Museums seien. Vor dem Gebäude würden die Flaggen Deutschlands, Russlands, der Ukraine und Belarus' nebeneinander wehen.

Unter den Trägern sind allerdings auch das Außen-, das Verteidigungs- und das Kulturministerium Russlands und damit die russische Regierung. Aus der Ukraine ist mit dem Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg nur eine Kulturinstitution dabei.

Das Museum im Osten Berlins ist zwar als «Museum Berlin-Karlshorst e.V.» im Vereinsregister eingetragen, bezeichnet sich selbst aber trotzdem als «Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst». Museumsdirektor Morré erklärt das damit, dass der Museumsverein 1994 nur von Russland und Deutschland gegründet worden sei. Die Museen aus Minsk und Kiew seien erst 1997/98 in den Trägerverein aufgenommen worden.

Als zweiten Grund seiner Absage nennt Melnyk die Teilnahme des russischen Botschafters. «Solange die Russische Föderation ihre militärische Aggression gegen die Ukraine sowohl im Osten als auch auf der Krim vorantreibt und meine Landsleute Tag für ermordet, solange Russland und seine Söldner Millionen Menschenschicksale in meiner Heimat zerstören, übersteigt ein gemeinsames Gedenken mit einem diplomatischen Kreml-Vertreter meine Vorstellungskraft», schreibt er.

Damit ist das Gegenteil von dem eingetreten, was Steinmeier mit der Gedenkveranstaltung, mit der Ortswahl und der von ihm unterstützten Einladung aller Botschafter eigentlich erreichen wollte. Sein Grundgedanke sei gewesen, «dass die Erinnerung an diesen Krieg über alle Differenzen und Konflikte hinweg eine verbindende Wirkung haben sollte», heißt es aus dem Präsidialamt. Daraus wird nun nichts.

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