Ukrainischer Oberkommandeur berichtet von Gebietsgewinn bei Kursk
KIEW: Die Ukraine rückt bei ihrer Offensive bei Kursk in Westrussland weiter vor. Armeechef Syrskyj nennt erstmals Zahlen.
Die ukrainischen Streitkräfte haben bei ihrem Vorstoß auf russisches Gebiet nach eigener Darstellung bereits erhebliche Gebietsgewinne gemacht. Insgesamt seien bereits rund 1.000 Quadratkilometer unter ukrainischer Kontrolle, sagte ihr Oberkommandeur Olexander Syrskyj in einer Videoschalte zu einer Sitzung der Stawka, des Oberkommandos in Kiew. Der Beginn der Sitzung und Syrskyjs Worte wurden von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der Plattform X übertragen.
Zuvor hatte bereits der amtierende Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, von Gebietsverlusten berichtet. Nach seinen Angaben waren die ukrainischen Truppen auf einer Breite von 40 Kilometern etwa 12 Kilometer weit vorgedrungen, was ungefähr der Hälfte der von Syrskyj angegeben Quadratkilometer-Zahl entspricht. Unabhängig waren die Angaben beider Seiten zunächst nicht zu überprüfen.
Selenskyj wies die Innenbehörde der Ukraine und die Streitkräfte an, einen humanitären Plan für das Einsatzgebiet in Westrussland auszuarbeiten. Nach russischer Darstellung waren nicht alle Zivilisten aus dem Kampfgebiet evakuiert worden.
Schwere Kämpfe im Donbass
KIEW: Der Druck der russischen Militärs im Osten der Ukraine lässt nicht nach.
Fernab des Kriegsgeschehens um die westrussische Region Kursk haben russische Truppen ihre Angriffe rund um den Donbass im Osten der Ukraine fortgesetzt. Einmal mehr versuchten die russischen Streitkräfte, die ukrainischen Stellungen rund um Torezk und Pokrowsk zu durchbrechen, wie der Generalstab in Kiew in seinem abendlichen Lagebericht mitteilte. Bei Torezk seien die russischen Bodentruppen auch von einem Dutzend Luftangriffe unterstützt worden.
Schwere Gefechte lieferten sich russische Angreifer und ukrainische Verteidiger rund um Pokrowsk. Insgesamt seien im Tagesverlauf rund 25 Vorstöße russischer Einheiten registriert worden, von denen ein Großteil abgeschlagen worden sei. «Die feindlichen Verluste werden noch geklärt», hieß es dazu. Die Frontberichte konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Zum Stand der ukrainischen Gegenoffensive bei Kursk macht der Generalstab keine detaillierten Angaben. Es hieß dazu lediglich, dass russische Artillerie und Kampfflugzeuge versuchten, Stellungen der ukrainischen Streitkräfte bei Sumy im Osten des Landes anzugreifen. Das Gebiet um Sumy gilt als Nachschublinie und Aufmarschgebiet für die Offensive bei Kursk.
Putin: Russische Armee soll Ukrainer zurückdrängen
MOSKAU: Nach dem Überraschungsangriff der Ukraine auf russisches Gebiet gibt Kremlchef Putin seiner Armee den Befehl, die gegnerischen Truppen zu vertreiben. Verhandlungen mit Kiew erteilt er eine Absage.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Streitkräfte seines Landes aufgefordert, die in die Region um Kursk vorgestoßenen ukrainischen Einheiten aus dem russischen Staatsgebiet zurückzudrängen. «Die Hauptaufgabe des Verteidigungsministeriums besteht nun darin, den Feind aus unseren Gebieten zu vertreiben und eine zuverlässige Grenzsicherung zu gewährleisten», sagte Putin nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen.
Die Führung in Kiew wolle mit dem Vorstoß auf russisches Gebiet ihre künftige Verhandlungsposition stärken, sagte Putin weiter. Er erteilte Verhandlungen aber eine Absage. «Über welche Art von Verhandlungen können wir überhaupt mit Leuten reden, die wahllos Zivilisten und zivile Infrastruktur angreifen oder versuchen, Atomkraftwerke zu gefährden?» Nach einem Brand am russisch besetzten Atomkraftwerk Saporischschja geben sich beide Seiten derzeit die Schuld an dem Feuer.
Russland führt seit fast zweieinhalb Jahren seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Ukraine startete in ihrem Verteidigungskampf am vergangenen Dienstag erstmals einen Überraschungsangriff mit eigenen Truppen auf russisches Gebiet. Die Lage in der russischen Region Kursk gilt als unübersichtlich. Berichten zufolge haben sich ukrainische Einheiten vielerorts festgesetzt.
«Correio da Manhã»: Überraschender Lebensbeweis der Ukraine
MADRID: Zum Vorstoß ukrainischer Streitkräfte auf russisches Staatsgebiet schreibt die portugiesische Zeitung «Correio da Manhã» am Montag:
«Gerade als viele glaubten, der Krieg sei für die Ukraine nach einem äußerst schwierigen Jahr verloren, überraschte Kiew alle mit einer Mini-Invasion auf russisches Gebiet. (...) Gestern wurde bekannt, dass die Kiewer Streitkräfte bereits mehr als 30 Kilometer auf russisches Territorium vorgedrungen seien. Sehr zum Entsetzen des Kremls, der von einem weiteren eklatanten Versagen seiner Geheimdienste überrascht wurde, die vor einem Jahr ebenfalls nicht in der Lage waren, den Aufstand vorherzusehen, der die Söldner der Wagner-Gruppe vor die Haustür Moskaus brachte.
Der ukrainische Einmarsch scheint ehrgeizigere Ziele zu verfolgen, als die Schwäche der russischen Verteidigungsanlagen aufzudecken oder den Kreml zu demütigen. Das Hauptziel besteht wahrscheinlich darin, (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin zu zwingen, Einheiten von der Front abzuziehen, um den Druck dort zu verringern. Einige behaupten derweil, dass Kiew in Wirklichkeit darauf abzielt, Territorium zu erobern, um es später bei künftigen Friedensverhandlungen als Verhandlungsmasse zu verwenden. Eines ist sicher: Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen all jenen, die sie bereits zu Grabe getragen hatten, einen überraschenden Lebensbeweis geliefert.»
«The Telegraph»: Hilfszusage für Ukraine wird auf die Probe gestellt
LONDON: Die britische Zeitung «The Telegraph» kommentiert am Montag den Vorstoß ukrainischer Streitkräfte auf russisches Staatsgebiet:
«Während die versprochene Hilfe nur schleppend ankommt, hat Präsident Wolodymyr Selenskyj das bislang größte Risiko des gesamten Konflikts auf sich genommen und einen direkten Einmarsch in Feindesland angeordnet. Er hofft vielleicht, dass Russland dadurch gezwungen wird, Truppen zu verlagern und den Druck auf die Frontlinie weiter im Süden zu verringern. (...)
Der Kreml hat die Invasion lächerlicherweise als «terroristischen Akt» bezeichnet und versucht zudem, die alberne Behauptung aufrechtzuerhalten, es handele sich in der Ukraine lediglich um eine «militärische Spezialoperation». Aber es kommt Putin zupass, dass er nun behaupten kann, das Vaterland sei bedroht - nicht nur durch die Ukraine, sondern auch durch die Nato. Indem er diese Ängste schürt, könnte Putin seine Position sogar stärken. (.)
Der Westen scheint von dem ukrainischen Vorstoß überrascht worden zu sein und muss erst noch eine gemeinsame Reaktion formulieren. Ist man bereit, Selenskyj unmissverständlich Rückendeckung zu geben? Wir dürften bald erleben, dass das oft gegebene Versprechen, die Ukraine «um jeden Preis» zu unterstützen, auf die Probe gestellt wird.»