Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Sonntag

Foto: epa/dpa
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Söldnerchef Prigoschin wirft Armee Verminung von Rückzugswegen vor

MOSKAU: Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat erneut schwere Vorwürfe gegen die reguläre russische Armee erhoben. Soldaten hätten Mitte Mai eine Straße vermint, auf der seine Kämpfer aus der mittlerweile eroberten ostukrainischen Stadt Bachmut hätten herausfahren wollen, teilte Prigoschin am Sonntagabend auf Telegram mit. Er veröffentlichte auch ein Dokument, das ein Einsatzprotokoll von Mitte Mai darstellen soll und in dem zudem von Schusswechseln zwischen Wagner-Söldnern und Soldaten die Rede ist. Überprüft werden konnten diese Anschuldigungen nicht. Das Verteidigungsministerium in Moskau äußerte sich nicht.

Prigoschin hatte ähnliche Vorwürfe bereits vor wenigen Tagen erhoben. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) wertet sie als möglichen Versuch des 62-Jährigen, durch den Streit mit dem Verteidigungsministerium von kürzlich aufgekommenen Spannungen zwischen seiner Truppe und Kämpfern von Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow abzulenken.

Mehr als 15 Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine toben in Russlands Militärführung Machtkämpfe, die deutlich zutage treten. Immer wieder wetterte Prigoschin zuletzt gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dem er schlechte Kriegsführung und eine mangelhafte Versorgung der Wagner-Kämpfer mit Munition vorwarf.


Recherche: Geheimbericht über Moskaus Militärprobleme veröffentlicht

MOSKAU: Russlands Militär hat Recherchen von Investigativjournalisten zufolge versehentlich einen Text über Probleme bei der Mobilmachung für den Krieg gegen die Ukraine veröffentlicht - und kurz darauf wieder gelöscht. Das bekannte russische Portal «The Insider» veröffentlichte den Link zu einem Eintrag im Web-Archiv, wo der Text noch einsehbar ist.

In dem Dokument, das demnach kurzzeitig in einer Online-Zeitschrift des russischen Verteidigungsministeriums abzurufen war, benannte der russische Mobilisierungsbeauftragte Jewgeni Burdinski mit Blick auf die Rekrutierungswelle im vergangenen Herbst zwei Hauptprobleme: «die fehlende Bereitschaft eines Teils der Gesellschaft zur Erfüllung der militärischen Pflichten» sowie «die Bereitstellung von militärischer Ausrüstung und die Unterbringung des Personals».

Auch die «Bild» berichtete über das Dokument, in dem Burdinski an anderer Stelle den «Druck durch Internet-Blogger» verantwortlich macht für die Weigerung vieler Russen, in den Krieg zu ziehen. Geplant seien deshalb noch in diesem Jahr Razzien bei Wehrpflichtigen, hieß es. Moskau äußerte sich nicht zu der vermeintlichen Veröffentlichungspanne.

Kremlchef Wladimir Putin hatte im vergangenen September die Mobilmachung von rund 300.000 Reservisten angeordnet und damit eine regelrechte Panik in Russland ausgelöst. Hunderttausende Russen flohen damals ins Ausland. Entgegen anderslautender Aussagen aus dem Kreml befürchten viele Menschen aktuell, dass eine weitere Einberufungswelle geplant sein könnte.


Auch Polen an Kämpfen in Belgorod beteiligt

WARSCHAU: An den Kämpfen in der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine sind nach polnischen Medienberichten auch Polen beteiligt. Dabei handele sich um Söldner, die unter dem Namen «Polnisches Freiwilligenkorps» auf der Seite der ukrainischen Armee kämpften, berichteten die Online-Nachrichtenportale «Polsatnews.pl» und «Wprost.pl» am Sonntag. Sie beriefen sich auf eigene Mitteilungen der Gruppe im Messaging-Dienst Telegram und ein Video, das Soldaten auf dem Weg in Richtung Belgorod zeigen soll.

Nach Informationen von «Polsat» soll das «Polnische Freiwilligenkorps» im Februar gegründet worden sein. Anfangs habe es als nur aus Polen bestehende eigenständige Einheit an der Seite der ukrainischen Armee gekämpft. Inzwischen agiere die Truppe auch gemeinsam mit einem «Russischen Freiwilligenkorps». Wie viele Polen beteiligt sein sollen, ging aus den Berichten nicht hervor.

Russland führt seit mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Inzwischen gibt es immer wieder auch Kämpfe und Angriffe auf russischem Boden, insbesondere in der Region Belgorod.


Erneut Gefechte in russischer Grenzregion aufgeflammt

BELGOROD: In der russischen Grenzregion Belgorod sind offenbar erneut Kämpfe zwischen der Armee und an der Seite der Ukrainer kämpfenden Freiwilligenverbänden aufgeflammt. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow bestätigte am Sonntag Gefechte in der Ortschaft Nowaja Tawolschanka. Russlands Verteidigungsministerium teilte unterdessen mit, es sei gelungen, eine «Sabotage- und Aufklärungsgruppe ukrainischer Terroristen» am Überqueren eines nahe gelegenen Flusses zu hindern.

Im Gebiet Belgorod kommt es seit einiger Zeit immer wieder zu Kämpfen und Angriffen, für die Moskau stets Kiew verantwortlich macht. Tatsächlich aber scheint es sich bei den Eindringlingen auch dieses Mal wieder um Mitglieder des so genannten «Russischen Freiwilligenkorps» zu handeln, das zwar aufseiten der Ukrainer kämpft, aber aus russischen Nationalisten besteht.

Mehrere Mitglieder der paramilitärischen Organisation veröffentlichten am Sonntag auch ein Video, in dem sie behaupteten, mehrere Soldaten der russischen Armee gefangen genommen zu haben. Als Bedingung für deren Freilassung forderten die Männer ein Treffen mit Gouverneur Gladkow. Dieser zeigte sich wenig später tatsächlich offen für ein Gespräch - laut den Rebellen kam es letztendlich aber nicht zustande. Sie erklärten, die Gefangenen deshalb der ukrainischen Seite zu übergeben. Von dort gab es zunächst keine Reaktion.

Russland, das vor mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine begonnen hat, beklagte in den vergangenen Wochen zunehmenden Beschuss des eigenen Staatsgebiets. Opferzahlen und Schäden stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den Kriegsfolgen in der Ukraine, wo seit Beginn der russischen Invasion Tausende Zivilisten getötet wurden.


Neue russische Angriffe auf Ukraine - Flugplatz getroffen

KIEW: Bei neuen russischen Angriffen ist in der Zentralukraine offiziellen Angaben zufolge ein Flugplatz getroffen worden. Insgesamt seien in der Nacht auf Sonntag sechs Marschflugkörper auf sein Land abgefeuert worden, sagte der Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, Juryj Ignat. «Von sechs Marschflugkörpern wurden vier durch die Luftabwehr zerstört und zwei trafen leider einen Flugplatz in der Nähe von Kropywnyzkyj.» Über das Ausmaß der Schäden war zunächst nichts bekannt.

Russland feuerte demnach auch fünf Kampfdrohnen auf das Nachbarland ab, von denen drei abgefangen werden konnten. Die Ukraine, die sich seit mehr als 15 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt, wird derzeit täglich von auch weit weg von der Front beschossen. Häufig und schwer betroffen ist auch die Hauptstadt Kiew.

Unterdessen meldeten auch die russischen Besatzer auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim Drohnenangriffe, die demnach alle abgewehrt worden seien. «Die Krim soll spüren, dass sie zur Ukraine gehört», kommentierte die Sprecherin der ukrainischen Heeresgruppe Süd, Natalja Humenjuk, wenig später.


London: Russlands Beamtentum «paranoid» und verunsichert

LONDON: Die Unterdrückung von Kritik am russischen Angriffskrieg in der Ukraine nimmt in Russland nach Darstellung britischer Geheimdienstexperten absurde Züge an. Die Behörden seien «paranoid» und verunsichert, was in einem «zunehmend totalitären System» als zulässig gelte, hieß es im täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London am Sonntag.

So werde wohl das öffentliche Zurschaustellen von Gegenständen in den Farben der ukrainischen Flagge, blau und gelb, verfolgt. Beispielsweise sei Berichten zufolge der Mitarbeiter eines Pflegeheims festgenommen worden, weil er in einer blau-gelben Jacke zur Arbeit erschienen sei. Ein anderer Mann sei ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, weil er die blau-gelbe Fahne der russischen Luft- und Weltraumkräfte gezeigt habe.

Kritik an dem Vorgehen komme inzwischen selbst von der ultra-nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands, die den Krieg in der Ukraine unterstütze, aber ebenfalls ein blau-gelbes Logo habe.

Das Verteidigungsministerium in London veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.


«The Sunday Times»: Ukraine braucht klare Nato-Perspektive

LONDON: Die Ukraine hofft, im Juli beim Nato-Gipfel in Litauen einen Fahrplan für die Aufnahme in das Verteidigungsbündnis zu bekommen. Dazu meint die Londoner «Sunday Times»:

«Der Nato-Gipfel in Vilnius wird ein Schlüsselmoment sein. Selbst Emmanuel Macron, der anfangs versuchte, den Vermittler eines Deals mit Putin zu spielen und noch im April die Idee einer amerikanisch geführten Weltordnung zu untergraben schien, hat dazu aufgerufen, die Ukraine nach dem Krieg auf einen «Weg der Mitgliedschaft» zu bringen. Da ein Konsens über eine Vollmitgliedschaft wahrscheinlich schwierig sein wird, hat der französische Präsident eine mehrjährige Sicherheitsgarantie vorgeschlagen, ähnlich der, die Israel von den USA erhält. Polen hatte bereits eine ähnliche Idee geäußert.

Großbritannien sollte seine Bemühungen fortsetzen, ein stärkeres Ergebnis zu erzielen als eine Wiederholung der Nato-Bestätigung von 2008, dass die Ukraine in Zukunft Mitglied werden wird. Das überzeugendste Argument gegen einen Beitritt der Ukraine - dass dies eine Provokation für Russland wäre - ist hinfällig geworden, seit Putin das stalinistische Ausmaß seiner Ambitionen offenbart hat. Großbritannien sollte sich auch weiterhin um einen Konsens bemühen, bei dem die Ukraine siegen kann, anstatt sich mit einem Abkommen zufrieden geben zu müssen, bei dem sie weite Teile ihres Territoriums verlieren würde.»


Russischer Angriff bei Dnipro: Viele Verletzte in zerstörtem Wohnhaus

KIEW/DNIPRO: Nach einem russischen Angriff in einem Vorort der ukrainischen Millionenstadt Dnipro haben Rettungskräfte zahlreiche Verletzte aus den Trümmern eines zerstörten Wohnhauses gezogen. Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte am Samstagabend in Kiew mit: «Wieder hat Russland gezeigt, dass es ein Terrorstaat ist. Leider sind Menschen unter den Trümmern.» Die Behörden meldeten 20 Verletzte, darunter auch Kinder. Davor war von 13 Verletzten die Rede gewesen. Der Staatschef veröffentlichte ein Video, auf dem das völlig zerstörte zweistöckige Gebäude zu sehen war. Einsatzkräfte suchten nach Überlebenden.

Russische Raketen- und Drohnenangriffe treffen in der Ukraine immer wieder auch zivile Infrastruktur. Laut Selenskyj schlug ein Geschoss zwischen zwei zweistöckigen Wohnhäusern ein. Zuvor hatte es in der Region Luftalarm gegeben. Es war unklar, was genau dort eingeschlagen war. Dnipro liegt im Südosten der Ukraine.

«Die Russen werden die Verantwortung tragen für alles, was sie unserem Staat und den Menschen angetan haben», sagte Selenskyj. Er hatte zuvor auch ein Video veröffentlicht von einem Gespräch mit Journalisten aus Lateinamerika, indem er erneut betonte, dass mit der derzeitigen russischen Führung keine Verhandlungen möglich seien für eine Beendigung des Krieges.

Die einzige Chance für Russland sei, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen, sagte er. Der 45-Jährige bekräftigte, andernfalls bis zum Sieg der Ukraine und einer Niederlage Russlands in dem Krieg zu kämpfen. Im Fall einer Niederlage Russlands, drohe dort eine Revolution, meinte er.

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