Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Samstag

Foto: epa/dpa
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Zweiter Luftalarm für Lambrecht während ihres Besuchs in Odessa

ODESSA: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist am frühen Sonntagmorgen von einem neuerlichen Luftalarm in der ukrainischen Hafenstadt Odessa geweckt worden. Mit anderen Mitgliedern ihrer Delegation musste die SPD-Politikerin um kurz vor 1.00 Uhr Schutz im Bunker ihres Hotels suchen. Nach etwa 20 Minuten wurde Entwarnung gegeben und die Ministerin konnte auf ihr Zimmer zurückkehren.

Lambrecht sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie sei im Schlaf von dem Alarm überrascht worden. Aus Sicherheitsgründen habe sie vor der Reise in die Ukraine ihr Mobiltelefon abgegeben, um zu verhindern, dass sie geortet werden könne. Andernfalls wäre sie wohl noch wach gewesen und hätte auf dem Handy gelesen, erzählte die Ministerin.

Schon am Samstagnachmittag gegen 15.30 Uhr musste Lambrecht während eines Treffens mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Olexij Resnikow wegen eines Luftalarms für 45 Minuten in einen Bunker gehen. Auch Odessa wird regelmäßig von der russischen Armee mit Raketen sowie von Drohnen aus beschossen. Die Ministerin war zum ersten Mal seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist.


Selenskyj: Ukrainische Flagge verdrängt russische Scheinreferenden

KIEW: Nach der russischen Annexion besetzter Gebiete hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Osten des Landes gefeiert. «Die ukrainische Flagge weht bereits in Lyman im Gebiet Donezk», erklärte Selenskyj am Samstag in seiner täglichen Videoansprache. In der Stadt werde zwar immer noch gekämpft, doch von dem «Pseudoreferendum» sei dort keine Spur mehr, sagte er.

Russland hatte nach international nicht anerkannten Scheinreferenden erst am Freitag die vier Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja annektiert - obwohl es sie nur teilweise kontrolliert. Im Norden des Gebiets Donezk musste der Kreml nun mit dem Verlust von Lyman eine weitere bittere militärische Niederlage hinnehmen.

«Übrigens haben sie dort schon angefangen, sich gegenseitig zu beißen: Sie suchen nach den Schuldigen, beschuldigen einige Generäle des Versagens», kommentierte Selenskyj die verärgerten Reaktionen aus Moskau auf den Rückzug in Lyman. Es sei nur der erste Warnschuss für alle diejenigen, die sich am Krieg von Präsident Wladimir Putin beteiligten. Bis sie nicht das Problem mit dem einen lösten, «der diesen für Russland sinnlosen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, werden Sie einer nach dem anderen getötet und zu Sündenböcken gemacht», prophezeite der 44-Jährige.

Seinen eigenen Landsleuten versprach Selenskyj, dass die Armee das ganze Land von der russischen Okkupation befreien werde, während die russische Führung sich schließlich für den völkerrechtswidrigen Krieg verantworten müsse. «Die Welt wird eine Rückkehr in die Zeiten kolonialer Eroberungen, verbrecherischer Annexionen und totaler Willkür anstelle des Völkerrechts nicht zulassen», sagte er.


Russland verhängt Einfuhrverbot für Laster aus EU-Ländern

MOSKAU: Die russische Regierung hat ein Einfuhrverbot für Lastwagen aus EU-Ländern verhängt. Verboten sei sowohl der Gütertransport im bilateralen Handel als auch der Transit oder die Einfahrt aus Drittländern, heißt es in der am Samstag veröffentlichten Verordnung. Die Bestimmungen betreffen neben der EU auf dem europäischen Kontinent auch Norwegen, Großbritannien und die Ukraine. «Die Verordnung tritt am 10. Oktober in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember», hieß es in dem Dokument.

Das Verbot ist ausdrücklich auch eine Reaktion der russischen Führung auf ein Einfuhrverbot seitens der europäischen Länder gegenüber LKW-Transporten aus Russland und Belarus. Die EU hatte diese Maßnahme am 8. April als Teil eines Sanktionspakets verhängt. Die Sanktionen richten sich gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.


Lambrecht in Ukraine: Flugabwehrsystem Iris-T wird rasch geliefert

ODESSA: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat der Ukraine die rasche Lieferung einer ersten versprochenen Einheit des bodengestützten Luftabwehrsystems Iris-T SLM zugesagt.

Das System solle in den nächsten Tagen für den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland eintreffen, kündigte die SPD-Politikerin am Samstag bei einem Besuch in der Hafenstadt Odessa an.


Ministerin Lambrecht besucht in der Ukraine Gepard-Stellung

ODESSA: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat bei ihrem ersten Besuch in der Ukraine einen ursprünglich aus Deutschland stammenden Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard inspiziert. Am Einsatzort des Systems im Getreidehafen von Odessa sagte die SPD-Politikerin am Samstag, dieses helfe beim Schutz der «kritischen Infrastruktur» und bei der Abwehr von russischen Luftangriffen. Aus dem Hafen wird ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer in die Welt exportiert.

Bei einem Treffen mit ihrem ukrainischen Kollegen Olexij Resnikow kündigte sie auch die Lieferung einer ersten versprochenen Einheit des bodengestützten Luftabwehrsystems Iris-T SLM für die nächsten Tage an. Angesichts vieler russischer Luftangriffe sei eine Abwehr, einschließlich auch der schon gelieferten Drohnen «ganz wichtig».

Es sollten noch zusätzliche Lieferungen erfolgen, dafür wolle Deutschland bei den Verbündeten werben. «Das ist jetzt momentan aktuell das Wichtigste, dass diese Angriffe, die die Zivilbevölkerung treffen, in Angst und Schrecken versetzen und auch töten, dass diese Luftangriffe bekämpft werden können», betonte Lambrecht. Auch mit Panzern aus Griechenland und aus der Slowakei solle die Ukraine jetzt schnell versorgt werden für ihren Kampf gegen Russland. «Und Deutschland hilft dabei, die Lücken dann in Griechenland und der Slowakei zu schließen.» Dieser Ringtausch sei «ganz wichtig».

Zu den Forderungen der Ukraine an die Bundesregierung, Panzer zu liefern, bekräftigte Lambrecht: «Deutschland hat immer klar gemacht, dass wir keine Alleingänge gehen werden in diesem Bereich. Das ist auch in der Ukraine bekannt, dass wir uns immer abstimmen mit unseren Partnern, beispielsweise bei der Panzerhaubitze, die wir gemeinsam mit den Niederlanden geliefert haben und auch daran ausgebildet haben.» Bei Mehrfachraketenwerfern habe sich Deutschland mit den USA und Großbritannien abgestimmt. «Und genauso werden wir auch in Zukunft verfahren, auch wenn es um die Lieferung von Panzern geht.»


«Le Monde»: Frankreich liefert weitere Haubitzen an Ukraine

PARIS: Frankreich liefert der Ukraine zur Abwehr des russischen Angriffskriegs nach einem Bericht der Zeitung «Le Monde» sechs bis zwölf weitere Haubitzen vom Typ Caesar. Die Geschütze stammten aus einem Auftrag für Dänemark, das Land habe der Lieferung der technisch noch nicht abgenommenen Haubitzen an die Ukraine aber zugestimmt, berichtete die Zeitung am Samstag.

Wie der Élyséepalast mitteilte, habe Präsident Emmanuel Macron am Samstag mit der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen telefoniert. Beide seien sich einig, dass sie die Unterstützung für die Ukraine verstärken wollten, um ihr dabei zu helfen, ihre Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen, während Russland weiter eskaliert. Zur Lieferung der Haubitzen macht der Élysée indes keine Angaben.

Frankreich hat der Ukraine im Frühjahr und Sommer bereits 18 Caesar-Haubitzen geliefert. Die auf Lastwagen montierten Geschütze mit einem Kaliber von 155 Millimeter können Ziele in einer Entfernung von bis zu 40 Kilometern präzise treffen. Die ursprünglich für Dänemark bestimmten Haubitzen sind nach «Le Monde»-Informationen noch schlagkräftiger als die Version der französischen Armee. Statt 18 Geschossen können sie demnach 36 Geschosse mitführen und die Kabine ist besser gepanzert.

Wie die Zeitung berichtete, wird Macron die Lieferung der Haubitzen möglicherweise am Montag bei einem Besuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin offiziell verkünden. Bei einem gemeinsamen Abendessen wollen Scholz und Macron unter anderem über den Ukraine-Krieg und die Energiekrise beraten.


Offenbar Explosionen auf russischem Militärflughafen auf der Krim

SEWASTOPOL: Auf der von Russland annektierten ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim ist es offenbar erneut zu Explosionen auf einem Militärflughafen gekommen. «Der Information der Rettungskräfte nach ist ein Flugzeug über die Landebahn hinausgeschossen und in Brand geraten», schrieb der von Moskau eingesetzte Gouverneur der Stadt Sewastopol, Michail Raswoschajew, im Nachrichtendienst Telegram am Samstag. Die Feuerwehr sei im Einsatz. In sozialen Netzwerken kursierende Videos zeigten allerdings dicke Rauchwolken mit starken Explosionen. Beobachter vermuteten, dass ein Munitionslager in Brand geraten sein könnte.

Dem ukrainischen Militär sind bereits mehrere Schläge auf Stützpunkte der russischen Luftwaffe auf der Halbinsel gelungen. Im August etwa wurde der Militärflughafen bei Saki auf der Krim angegriffen. Der Militärflughafen Belbek bei Sewastopol gilt als einer der wichtigsten für das russische Militär.

Russland hat die Krim 2014 annektiert und begann am 24. Februar einen großen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach dem Vorbild der Krim versucht sich Moskau mit Hilfe einer Annexion nun auch vier weitere ukrainische Gebiete einzuverleiben. Russland kontrolliert diese nur teilweise. Und militärisch musste Moskau zuletzt Niederlagen verkraften, vor allem in der Ostukraine.


Regierungsparteien siegen bei tschechischen Senatswahlen

PRAG: Die liberalen und konservativen Regierungsparteien in Tschechien haben die Senatswahlen klar gewonnen und ihre Mehrheit in der Parlamentskammer verteidigt. Alle zwei Jahre werden ein Drittel der 81 Sitze im Oberhaus neu besetzt. Nach dem Ende der Stichwahlen am Samstag erreichte das Wahlbündnis Spolu (Gemeinsam) von Ministerpräsident Petr Fiala 18 der 27 frei werdenden Sitze. Die populistische Oppositionspartei ANO von Ex-Ministerpräsident Andrej Babis gewann nur drei Mandate. Das ging aus den Daten der tschechischen Statistikbehörde CSU hervor.

Die Beteiligung war mit 19,4 Prozent äußerst gering. Mit besonderer Spannung wurde das Duell zwischen dem Senatspräsidenten Milos Vystrcil (Spolu) und der ANO-Kandidatin Jana Nagyova in Jihlava (Iglau) beobachtet. Letztlich konnte sich Vystrcil, der sich unter anderem als Unterstützer der Ukraine und Taiwans hervorgetan hat, mit 60 Prozent der Stimmen durchsetzen. Senatoren werden für sechs Jahre gewählt. Der Senat hat ein Mitspracherecht bei der Gesetzgebung und kann Verfassungsänderungen verhindern.

Die Abstimmungen galten als erster Stimmungstest für die regierende Fünf-Parteien-Koalition seit der Parlamentswahl vor knapp einem Jahr. Das Kabinett war zuletzt wegen der hohen Energiepreise unter Druck geraten, steuerte aber mit einem Strom- und Gaspreisdeckel für Haushalte und Kleinabnehmer gegen.


Nato-Erweiterung: Erdogan warnt Schweden und Finnland

ISTANBUL: Die Türkei will der Nato-Norderweiterung um Schweden und Finnland erst dann zustimmen, wenn die beiden nordischen EU-Länder «ihre Versprechen einhalten». Dies sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag vor dem Parlament. Sein Land beobachte die Bemühungen Schwedens und Finnlands, ihre Zusagen zu erfüllen. In der Frage der Terrorismusbekämpfung könne die Türkei keine Zugeständnisse machen, sagte Erdogan weiter. Details nannte er nicht. Alle 30 Nato-Mitgliedsstaaten müssen der Erweiterung zustimmen. Bisher haben 28 dies getan, die Türkei und Ungarn nicht.

Schweden und das benachbarte Finnland hatten infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Mitte Mai beantragt, Mitglieder des Verteidigungsbündnisses zu werden. Die Türkei hatte den Beginn dieses Prozesses zunächst blockiert und das mit der angeblichen schwedischen und finnischen Unterstützung von «Terrororganisationen» begründet. Es geht dabei unter anderem um die syrische Kurdenmiliz YPG sowie die Gülen-Bewegung, die die Türkei für den Putschversuch 2016 verantwortlich macht. Ende Juni unterzeichneten die drei Länder eine Absichtserklärung, die auf die Vorbehalte Ankaras einging.

Zu den Forderungen der Türkei gehörte auch die Aufhebung des schwedischen Waffenembargos. Am Freitag hatte Schweden erstmals seit 2019 wieder den Export von Kriegsmaterial an das Nato-Mitglied Türkei bewilligt. Wie aus einer Behördenmitteilung hervorging, hing der Schritt direkt mit dem Nato-Antrag zusammen. Kommende Woche sollen in Ankara Verhandlungen in Anwesenheit eines schwedischen Delegierten stattfinden, meldete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu.


Russland gibt strategisch wichtige Stadt Lyman auf

MOSKAU: Russland hat in einer weiteren Niederlage gegen die ukrainische Armee die strategisch wichtige Stadt Lyman im Gebiet Donezk aufgegeben.

Die Streitkräfte seien wegen der Gefahr einer Einkesselung abgezogen worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag in Moskau. Zuvor hatten ukrainische Behörden von rund 5000 eingekesselten russischen Soldaten gesprochen.


Region Charkiw: 24 Zivilisten bei Beschuss einer Autokolonne getötet

KUPJANSK: Die ukrainischen Behörden haben der russischen Armee vorgeworfen, beim Beschuss einer zivilen Autokolonne nahe der Stadt Kupjansk 24 Menschen getötet zu haben - darunter 13 Kinder. Die Zivilisten hätten versucht, sich vor russischen Angriffen in Sicherheit zu bringen, teilte der ukrainische Gebietsgouverneur Oleh Sinegubow am Samstag im Nachrichtenkanal Telegram mit. «Das ist eine Grausamkeit, die keine Rechtfertigung hat.» Die zunächst mit 20 angegebene Zahl der Toten stieg später auf 24. Ermittler und Experten seien zu der Stelle im Gebiet Charkiw gefahren, um den Fall zu untersuchen, teilte Sinegubow weiter mit.

Moskau wiederum warf Kiew vor, fliehende Zivilisten beschossen zu haben. Die Angaben beider Seiten waren von unabhängiger Seite nicht überprüfbar. Das Gebiet wird allerdings auch nach dem Rückzug der russischen Truppen, die dort im September eine schwere Niederlage hinnehmen mussten, weiter heftig beschossen. Das bestätigen auch Angaben des russischen Verteidigungsministeriums.

Erst am Freitag waren bei einem Raketenangriff auf einen zivilen Autokonvoi in der südukrainischen Stadt Saporischschja nach ukrainischen Angaben 30 Menschen getötet worden. Mehr als 100 Menschen wurden laut jüngsten Polizeiangaben vom Samstag verletzt. Der Gouverneur der Gebietsverwaltung von Saporischschja, Olexander Staruch, machte russische Truppen für den Angriff verantwortlich. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.


Dänemark und Großbritannien sichern Ukraine weiter Unterstützung zu

LONDON: Dänemark und Großbritannien haben der Ukraine nach der völkerrechtswidrigen Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland ihre weitere Unterstützung zugesagt. «Großbritannien und Dänemark unterstützen die Ukraine sehr stark und wir werden das auch weiterhin tun und zusammenarbeiten», sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Samstag in London nach einem Treffen mit ihrer britischen Amtskollegin Liz Truss.

Zu den Gaslecks an den Nord-Stream-Pipelines, über die sich die beiden Politikerinnen austauschten, sagte Frederiksen: «Es ist mir sehr wichtig zu betonen, dass die dänischen Behörden der Meinung sind, dass es kein Unfall war. Das ist Sabotage von kritischer Infrastruktur. Also ist es eine sehr ernste Situation.»

Auch aus der Downing Street hieß es, es handele sich «eindeutig um einen Akt der Sabotage». Großbritannien habe seine Hilfe bei den Ermittlungen angeboten. Außerdem hätten beide Regierungschefinnen vereinbart, beim Streben nach Energieunabhängigkeit enger zusammenzuarbeiten - etwa beim Ausbau von Windenergie.


5000 russische Soldaten in Lyman eingekesselt

LYMAN: Die ukrainischen Truppen haben in der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Gebiet Donezk nach eigenen Angaben rund 5000 russische Soldaten eingekesselt. Das sei der Stand am Samstagmorgen, teilte der ukrainische Verwaltungschef für Luhansk, Serhij Hajdaj, mit. «Die Okkupanten haben ihre Führung gebeten, nach Möglichkeit herauszukommen, woraufhin sie eine Abfuhr erhielten», sagte er. «Sie haben jetzt drei Handlungsmöglichkeiten: Entweder können sie versuchen auszubrechen oder sie ergeben sich. Oder sie sterben alle zusammen. Da sind von ihnen etwa 5000, eine genaue Zahl gibt es nicht.»

Eine solche Zahl an eingekesselten Russen habe es überhaupt noch nicht gegeben in dem Krieg, sagte Hajdaj. Es seien fast alle Zugänge blockiert. Westliche Militärexperten gehen davon aus, dass Lyman in den nächsten Tagen komplett befreit wird. Für die Armee des russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre das eine neue massive Niederlage in der seit mehr als sieben Monaten andauernden Invasion.

Kremlchef Putin hatte am Freitag die besetzten Teile der Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson unter internationalem Protest annektiert. Kein Staat erkennt diesen Bruch des Völkerrechts an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte angekündigt, alle besetzten Territorien zu befreien. Er setzt dazu auf schwere Waffen des Westens und auf Militärberater der Nato-Staaten.


London: Moskau setzt Abwehrraketen in Bodenoffensive ein

LONDON: Nach Einschätzung britischer Geheimdienste setzt Moskau bei seiner Bodenoffensive in der Ukraine mittlerweile Abwehrraketen ein, die eigentlich für den Abschuss von Flugzeugen oder anderen Geschossen bestimmt sind. Bei einem Angriff auf einen Konvoi südöstlich der Stadt Saporischschja am Freitag sei mutmaßlich eine solche Luftabwehrrakete mit großer Reichweite eingesetzt worden, hieß es am Samstag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Lokalen Behörden zufolge seien dabei 25 Zivilisten zu Tode gekommen.

Die britischen Geheimdienste werten den Einsatz einer solchen Rakete als Zeichen russischer Munitionsengpässe, da diese Waffen als strategisch wertvoll und nur in begrenzter Zahl vorhanden gelten. Moskau setze mutmaßlich nun auch solche Waffen ein, um sich taktische Vorteile zu verschaffen und nehme dabei hin, dass Zivilisten getötet würden, die nach der völkerrechtswidrigen Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete als eigene Bürger Russlands gelten müssten.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.


Lambrecht: Von Putins Atomdrohungen nicht lähmen lassen

CHISINAU: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat angesichts der russischen Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen vor einer Lähmung des Westens gewarnt und zur weiteren Unterstützung der Ukraine aufgerufen. Die Drohungen würden von der Bundesregierung ernst genommen und sehr besorgt beobachtet, sagte die SPD-Politikerin am Samstag in Chisinau in Moldau nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Anatolie Nosatii.

«Da gilt es, sehr aufmerksam zu sein. Aber da gilt es auch, sich von solchen Drohungen nicht lähmen zu lassen», warnte Lambrecht. Sie ergänzte: «Das darf nicht dazu führen, dass man nachlässig in der Unterstützung für die Ukraine wird.» Es gelte nun, «wachsam zu sein, sehr besonnen zu reagieren und auch, dafür zu sorgen, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommt». Die Ukraine müsse weiterhin konsequent unterstützen werden.

Mit Blick auf die Ankündigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, nach der Annexion von vier Gebieten seines Landes durch Russland einen beschleunigten Beitritt zur Nato zu beantragen, äußerte sich Lambrecht zurückhaltend. Die Ukraine sei selbstverständlich frei darin, das Bündnis zu wählen, in dem sie sich gut aufgehoben fühle. Ein Nato-Beitritt sei aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Die Frage werde nun im Kreis der 30 Nato-Staaten beraten. «Es wird da keine Alleingänge von Deutschland geben», sagte Lambrecht.

Selenskyj hatte am Vortag erklärt, er wolle einen beschleunigten Beitritt zur Nato beantragen. Allgemein gilt als Voraussetzung für einen Nato-Beitritt, dass der Beitrittskandidat nicht in internationale Konflikte und Streitigkeiten um Grenzverläufe verwickelt sein darf.


Baltische Staaten befürworten Nato-Beitrittsantrag der Ukraine

TALLINN/RIGA/VILNIUS: Die baltischen EU- und Nato-Staaten Estland, Lettland und Litauen befürworten ein beschleunigtes Verfahren für den Nato-Beitritt der Ukraine. «Die baltischen Freunde der Ukraine unterstützen voll und ganz die Aufnahme der Ukraine in die Nato so bald wie möglich», schrieben die Außenminister Urmas Reinsalu (Estland), Edgars Rinkevics (Lettland) und Gabrielius Landsbergis (Litauen) am Freitagabend wortgleich auf Twitter. «Der inspirierende Mut der Ukraine kann unser Bündnis nur stärken.»

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor nach der formellen Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland angekündigt, einen beschleunigten Beitritt zur Nato zu beantragen. Die Bundesregierung und die USA hatten sich dazu zurückhaltend geäußert. Die baltischen Staaten gelten international als Fürsprecher der von Russland angegriffenen Ukraine.

Allgemein gilt als Voraussetzung für einen Nato-Beitritt, dass der Kandidat nicht in internationale Konflikte und Grenzstreitigkeiten verwickelt sein darf.


Chef von AKW Saporischschja von russischer Seite festgenommen

SAPORISCHSCHJA: Der Chef des von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, Ihor Muraschow, ist festgenommen worden. Russische Behörden informierten die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) am Samstag, dass der Generaldirektor des größten europäischen Kernkraftwerks «vorübergehend festgenommen wurde, um Fragen zu beantworten», wie ein IAEA-Sprecher in Wien am Samstag sagte. Nach ukrainischen Angaben wurde Muraschow von Moskauer Truppen entführt. Der Präsident der ukrainischen Betreibergesellschaft Enerhoatom, Petro Kotin, teilte mit, dass der Kraftwerks-Chef am Vortag von einer russischen Patrouille am AKW-Standort Enerhodar auf der Straße gestoppt, aus dem Auto gezerrt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht worden sei. Russland hält das AKW seit Anfang März besetzt.

«Es gibt keine Erkenntnisse zu seinem Schicksal», teilte Kotin im Nachrichtenkanal Telegram mit. Er warf Russland atomaren Terrorismus gegen das Management und gegen die Mitarbeiter des Kraftwerks vor. Muraschow, der die Hauptverantwortung für das sichere Funktionieren und die nukleare Sicherheit der Anlage trage, müsse sofort freigelassen werden. Kotin forderte auch den Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, auf, sich für Muraschows Freilassung einzusetzen. Die IAEA kontaktierte die russischen Behörden und fordere Aufklärung.

Das AKW war immer wieder beschossen worden. Sowohl die russischen Besatzer als auch die ukrainischen Behörden warnten mehrfach vor einem möglichen atomaren Zwischenfall mit massiven Auswirkungen für ganz Europa. Die IAEA setzt sich für rasche weitere Gespräche über eine Waffenstillstandszone um das AKW ein. Der staatliche russische Atomkonzern Rosatom, der das Kraftwerk gemeinsam mit russischen Einheiten kontrolliert, ist nach Angaben seines Managements bereit, über technische Aspekte einer Schutzzone zu reden.


Parlamentswahlen angelaufen

RIGA: Überschattet von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und Sorgen über steigende Energiekosten haben in Lettland am Samstagmorgen die Parlamentswahlen begonnen. Gut 1,5 Millionen Wahlberechtigte entscheiden in dem baltischen EU- und Nato-Land über die 100 Sitze im Parlament in Riga. Zur Wahl treten 19 Parteien und Bündnisse an. Erste Ergebnisse werden in der Nacht zum Sonntag erwartet. Dabei dürfte keine Partei die absolute Mehrheit erzielen.

In Umfragen liegt die liberalkonservative Partei Jauna Vienotiba von Regierungschef Krisjanis Karins vorn. Karins führt derzeit ein Viererbündnis aus konservativen Parteien und Kräften aus der politischen Mitte an. Ob dieses Bündnis an der Macht bleibt, ist fraglich. Meinungsforscher und Experten erwarten ein fragmentiertes Parlament in dem Ostseestaat mit einer starken russischstämmigen Minderheit. Lettland ist ein Nachbarland Russlands.

Der Wahlkampf wurde dominiert von der russischen Invasion in die Ukraine und deren Auswirkungen. Große Sorgen bereiten vielen Bürgern in dem 1,9-Millionen-Einwohner-Land zudem die stark steigenden Energiepreise und die galoppierende Inflation.


Ukrainischer Präsidentenberater warnt vor Einsatz von Atomwaffen

BERLIN: Nach Meinung des externen Beraters des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, ist es nicht undenkbar, dass Moskau im Krieg gegen die Ukraine auch Atomwaffen einsetzen könnte. «Angesichts der inneren Panik in der Russischen Föderation und der zunehmenden militärischen Niederlagen steigt das Risiko dafür», sagte Podoljak der «Bild» (Samstag).

Anders sieht das laut dem «Bild»-Bericht der Außenpolitik-Experte Wolfgang Ischinger. «Mit einem nuklearen Ersteinsatz wäre die höchste denkbare Eskalationsstufe erreicht», sagte der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz der Zeitung. Diese sei aber Russland zufolge nur für «existenzielle Bedrohungen» vorgesehen.

Der Kreml hat in Verbindung mit dem Angriffskrieg in der Ukraine wiederholt indirekt auch mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vergangene Woche bei der Ankündigung der Mobilmachung von 300.000 Reservisten für den Krieg gesagt: «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff.» Beobachter sahen darin eine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen.

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