Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Mittwoch

Foto: epa/dpa
Foto: epa/dpa

4,3 Milliarden US-Dollar Schaden für Agrarsektor der Ukraine

KIEW: Die Landwirtschaft der Ukraine hat durch den russischen Angriffskrieg nach Kiewer Berechnungen bislang Schäden von 4,3 Milliarden US-Dollar (4,1 Milliarden Euro) erlitten. Große Flächen seien beschädigt worden oder durch Minen verseucht, heißt es in einem Bericht von Forschern im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums in Kiew. So habe Ernte im Wert von 1,43 Milliarden US-Dollar nicht eingebracht werden können. Die Kosten für die notwendige Erfassung und Räumung von Minen wurden auf 436 Millionen US-Dollar geschätzt.

Außerdem sei landwirtschaftliche Technik für 926 Millionen US-Dollar zerstört worden. In den von Russland besetzten Gebieten im Süden der Ukraine seien Bewässerungssysteme im Wert von 225 Millionen US-Dollar zu Schaden gekommen. Der Schaden an Getreidesilos wurde auf 272 Millionen Euro taxiert. Zudem habe Russland Getreide im Wert von 613 Millionen US-Dollar aus den besetzten Gebieten abtransportiert.

Die Verluste in der Tierproduktion wurden mit 136 Millionen US-Dollar angesetzt. Nutztiere seien nicht nur durch Beschuss getötet worden, sie seien auch durch mangelndes Futter oder schlechte tierärztliche Versorgung umgekommen. Der Bericht ging von 42.000 toten Schafen und Ziegen, 92.000 Rindern, 258.000 Schweinen und mehr als 5,7 Millionen Stück Geflügel aus.


Selenskyj sieht Fortschritte bei internationaler Unterstützung

KIEW: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht Fortschritte bei der internationalen Unterstützung für sein von Russland angegriffenes Land. In seinem abendlichen Video für Mittwoch listete er alle internationalen Kontakte für den Tag auf: Telefonate mit US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premierminister Boris Johnson, ein Treffen mit den Regierungschefs aus Albanien und Montenegro, Edi Rama und Dritan Abazovic.

Von dem Treffen der US-geführten Ukraine-Kontaktgruppe am Mittwoch in Brüssel gehe das Signal aus, dass Waffenlieferungen verstetigt werden, sagte Selenskyj. Ebenso erwähnte er Einladungen zum Gipfel der Siebenergruppe führender Industriestaaten (G7) nach Deutschland und zum Nato-Gipfel in Spanien. Beide Treffen sollen Ende Juni stattfinden. Im Bemühen um den EU-Kandidatenstatus werde die Ukraine von den Beitrittskandidaten Albanien, Montenegro und Nordmazedonien unterstützt, sagte er.

«Bei allen internationalen Kontakten höre ich Bewunderung für die Taten unserer Verteidiger», sagte der Präsident. Er selbst kämpfe jeden Tag dafür, dass die Ukraine aus dem Ausland die notwendigen Waffen bekomme. «Doch Tapferkeit, Weisheit und taktisches Geschick müssen wir nicht importieren. Das haben unsere Helden selber.»

Aber Russland wäre nicht Russland, wenn es diesen außenpolitischen Erfolgen der Ukraine ruhig zusehen würde, sagte Selenskyj. Er verwies auf die Kürzung von Gaslieferungen in die EU durch Moskau und auf Raketenangriffe vom Mittwoch in den Gebieten Mykolajiw und Charkiw.


Selenskyj nimmt Einladungen zu Gipfeln von G7 und Nato an

KIEW: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Einladungen zu den Gipfeln von G7 und Nato angenommen.

Das schrieb Selenskyj am Mittwoch auf Twitter. Die Gruppe sieben führender Industrienationen (G7) wird Ende Juni in Bayern tagen, die Nato direkt danach in Madrid.


Lettland würdigt Nato-Beistand und fordert weitere Verstärkung

RIGA: Lettlands Staatspräsident Egils Levits hat den Schutz der Nato-Ostflanke durch das von Kanada geführte Nato-Bataillon in seinem Land gewürdigt. «Dies ist nicht nur eine Trainingsmission, sondern operative Abschreckung», sagte Levits am Mittwoch bei einer Zeremonie anlässlich des fünfjährigen Bestehens des multinationalen Gefechtsverbands auf dem lettischen Militärstützpunkt Adazi. Die Nato-Einheit demonstriere die Entschlossenheit der Alliierten, jedes einzelne Mitglied des Bündnisses zu verteidigen.

Angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine drängte Levits aber auf eine weitere Stärkung der Nato-Ostflanke. Die bisherige Nato-Stolperdrahtlogik zur Verteidigung des Baltikums reiche nicht mehr aus. «Im Falle eines Angriffs muss jeder der baltischen Staaten zumindest alliierte Streitkräfte in Brigadenstärke bereitstehen haben», sagte der lettische Staatschef. «Ich hoffe, dass auf dem Nato-Gipfel Ende Juni in Madrid Entscheidungen getroffen werden, die das gesamte Bündnis stärker und die Mitgliedsländer sicherer machen.»

Als Reaktion auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland hatte die Nato 2017 jeweils einen Gefechtsverband in die drei baltischen Staaten und nach Polen entsandt. Kanada führt dabei als sogenannte Rahmennation die Nato-Einheit in Lettland an, die durch zusätzliche Truppenkontingente zuletzt auf etwa 1700 Mann verstärkt wurde.

Lettland grenzt an Russland und dessen Verbündeten Belarus. Der mittlere der drei Baltenstaaten gehört wie Estland und Litauen seit 2004 der Nato und der EU an.


USA sagen Ukraine weitere Waffen im Milliarden-Umfang zu

WASHINGTON: Die US-Regierung hat eine weitere Waffenlieferung an die Ukraine im Umfang von einer Milliarde US-Dollar angekündigt. US-Präsident Joe Biden verkündete die neue Rüstungshilfe am Mittwoch in Washington nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Außerdem stellten die USA weitere 225 Millionen US-Dollar (rund 217 Millionen Euro) an humanitärer Unterstützung für das Land bereit, erklärte Biden weiter. Die USA stünden fest an der Seite der Ukraine in ihrem Kampf für die Freiheit.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar haben die USA Kiew nach eigenen Angaben bereits Waffen und Ausrüstung im Wert von 4,6 Milliarden Dollar (4,42 Milliarden Euro) zugesagt oder geliefert. Mit der neuen Zusage steigt die Summe auf 5,6 Milliarden US-Dollar (5,39 Milliarden Euro). Zu den Rüstungsgütern gehören zahlreiche schwere Waffen, zum Beispiel Haubitzen und Mehrfach-Raketenwerfer (letztere sind gebunden an die Zusage der Ukraine, damit keine Ziele in Russland anzugreifen).

Im Mai hatte der US-Kongress den Weg freigemacht für weitere Milliarden-Hilfen für die Ukraine, nachdem ein vorheriges Unterstützungspaket nahezu ausgeschöpft war. Das neue Paket, das Präsident Joe Biden Ende Mai mit seiner Unterschrift in Kraft setzte, hat ein Volumen von fast 40 Milliarden Dollar (38 Milliarden Euro). Davon sind sechs Milliarden Dollar für direkte militärische Hilfe für die Ukraine vorgesehen.


Tschechien benennt Prioritäten für EU-Vorsitz - Schwerpunkt Ukraine

PRAG: Kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Tschechien zum 1. Juli hat die Regierung in Prag die Beherrschung des Flüchtlingszustroms aus der Ukraine und die Planung des späteren Wiederaufbaus der Ex-Sowjetrepublik als ihre Schwerpunkte genannt. «Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine ist die Welt nicht mehr dieselbe», sagte Ministerpräsident Petr Fiala am Mittwoch in Prag.

Weitere Themen sind demnach die Energiesicherheit, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten Europas und die Cybersicherheit. Das Motto für den sechsmonatigen Vorsitz lautet «Europa als Aufgabe». Der Titel ist einer Rede entlehnt, die der frühere tschechoslowakische und tschechische Präsident Vaclav Havel (1936-2011) im Jahr 1996 in Aachen hielt. Das eigens geschaffene Logo zeigt eine Rosette aus bunten Kompassnadeln in den Nationalfarben der 27 EU-Mitgliedstaaten.

Tschechien übernimmt den Vorsitz im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 1. Juli von Frankreich. Geplant sind 14 informelle Ministertreffen und ein Gipfeltreffen. Die EU-Mitgliedstaaten wechseln sich beim Vorsitz turnusmäßig alle sechs Monate ab. Zuletzt hatte Tschechien diese Aufgabe 2009 übernommen. Überschattet wurde dies damals vom Sturz der Regierung von Mirek Topolanek durch ein Misstrauensvotum.


Verteidigungsminister der Nato-Staaten beraten über Aufrüstung

BRÜSSEL: Die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Donnerstag (9.30 Uhr) über noch offene Fragen im Zusammenhang mit dem großen Gipfeltreffen Ende Juni in Madrid. Bei diesem sollen die Staats- und Regierungschefs darüber entscheiden, wie das Bündnis mittel- und langfristig auf die Bedrohungen durch Russlands Kriegspolitik reagiert. Zudem ist unter anderem vorgesehen, eine Erhöhung der Gemeinschaftsausgaben zu vereinbaren.

Bei den Gesprächen der Verteidigungsminister wird es konkret zum Beispiel um die Verstärkung der Ostflanke durch zusätzliche Nato-Truppen gehen. Vor allem die baltischen Staaten dringen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf eine deutlich größere Unterstützung durch Bündnispartner. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte bereits in der vergangenen Woche an, dass Deutschland seine Truppenpräsenz in Litauen noch einmal ausbauen werde.

Überschattet werden die Gespräche in Brüssel von der anhaltenden Weigerung des Bündnismitglieds Türkei, einem Start von Nato-Beitrittsgesprächen mit Finnland und Schweden zuzustimmen. Die beiden Länder hatten Mitte Mai die Aufnahme in die Verteidigungsallianz beantragt. Die Türkei blockiert bislang aber den Aufnahmeprozess und begründet seine Haltung mit der angeblichen Unterstützung Finnlands und Schwedens von «Terrororganisationen» wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.


US-Verteidigungsminister wirbt in Brüssel für mehr Hilfe für Ukraine

BRÜSSEL: US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat Verbündete wie Deutschland zu zusätzlicher militärischer Unterstützung für die Ukraine aufgerufen. Russland versuche, die ukrainischen Stellungen mit Waffen großer Reichweite auszuschalten und bombardiere weiter wahllos ukrainisches Territorium, sagte Austin am Mittwoch bei einem Treffen der US-geführten Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel. Deshalb müsse man die gemeinsamen Anstrengungen für die ukrainische Selbstverteidigung intensivieren. «Wir müssen uns selbst noch stärker antreiben», sagte Austin. Man könne es sich nicht erlauben, Schwung zu verlieren.

Die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe besteht seit Ende April. Über sie werden vor allem Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte koordiniert. An einem ersten Treffen der Gruppe im rheinland-pfälzischen Ramstein nahmen etwa 40 Staaten teil, am Mittwoch waren es nach Angaben von Austin mehr als 45.

Austin wollte am Mittwochabend nach den Beratungen in der Nato-Zentrale eine Pressekonferenz geben. Im Anschluss sollten Beratungen der Nato-Verteidigungsminister beginnen. Die Nato ist bei dem Thema Waffenlieferungen offiziell außen vor, weil auch Nicht-Bündnisstaaten Teil der Kontaktgruppe sind und die Nato nicht militärisch in den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland involviert werden soll.


Neues Nato-Paket soll Ukraine beim Abschied von Sowjet-Waffen helfen

BRÜSSEL: Die Nato will der Ukraine noch stärker beim Umstieg auf westliche Waffensysteme helfen. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Mittwoch am Rande eines Verteidigungsministertreffens, er erwarte, dass sich die Alliierten beim Gipfeltreffen Ende Juni in Madrid auf ein umfassendes Unterstützungspaket einigen. Dieses solle auch den Übergang von Ausrüstung aus der Sowjetzeit zu moderner Nato-Ausrüstung und die Interoperabilität mit dem westlichen Militärbündnis erleichtern.

Bislang nutzt die von Russland angegriffene Ukraine überwiegend Ausrüstung, die noch in der Zeit der früheren Sowjetunion entwickelt wurde. Das erschwert es dem Westen derzeit auch, Nachschub an Waffen und Munition zur Verfügung stellen.

Die Vorbereitungen für die Unterstützung laufen bereits seit längerem. Stoltenberg hatte bereits im April gesagt, die Nato arbeite daran, der Ukraine beim Umstieg auf Waffen und Systeme nach Nato-Standard zu unterstützen.

Der Übergang erfordere viel Wissensaustausch und Know-how, erklärte der Norweger am Mittwoch. Es sei eine Herausforderung, von den älteren auf modernere Systeme umzusteigen.


Russlands Ex-Präsident Medwedew schockiert mit neuen Ukraine-Aussagen

MOSKAU: Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hat das Fortbestehen der Ukraine als souveräner Staat infrage gestellt - und damit einmal mehr für Aufsehen gesorgt. Er habe gelesen, die Ukraine wolle Verträge über die Lieferung von US-amerikanischem Flüssiggas für zwei Jahre abschließen, schrieb Medwedew, der mittlerweile stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates ist, am Mittwoch auf Telegram. Dann fügte er hinzu: «Nur eine Frage: Wer hat denn gesagt, dass die Ukraine in zwei Jahren überhaupt noch auf der Weltkarte existieren wird?»

Medwedew war zwischen 2008 und 2012 Kremlchef und galt damals vor allem unter jungen Menschen teils als Hoffnungsträger auf ein freieres Russland. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine aber fällt er vor allem mit verachtenden Kommentaren in Bezug auf das Nachbarland auf. In der Ukraine werden seine Aussagen als Beleg dafür gesehen, dass Moskaus offizielles Kriegsziel - die angestrebte «Befreiung» des Donbass - nur ein Vorwand für die Vernichtung der gesamten ukrainischen Kultur sei.

Der Kreml kommentierte Medwedews neueste Äußerungen nicht direkt. Sprecher Dmitri Peskow sagte auf Nachfrage von Journalisten lediglich: «Wir wissen, dass die Ukraine große Probleme hat.» Das Land weigere sich weiterhin, «nationalistische Einheiten» in den eigenen Reihen zu «zügeln», meinte Peskow weiterhin. «Und deshalb verspricht das natürlich nichts Gutes für die Ukraine.»

In Moskau wird der Ende Februar begonnene Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder mit einer vermeintlichen «Befreiung» von «Nazis» gerechtfertigt. Erst am Montag hatte der Chef der russischen Raumfahrtbehörde, Dmitri Rogosin, behauptet: «Das, was in der Ukraine gewachsen ist, ist eine existenzielle Bedrohung für das russische Volk, die russische Geschichte, die russische Sprache und die russische Zivilisation.» Dann schrieb er: «Deshalb lasst uns all dem besser ein Ende bereiten. Ein und für allemal.»


Moskau: Große Zahl an westlicher Militärtechnik vernichtet

MOSKAU: Das russische Militär hat nach eigenen Angaben im Westen der Ukraine ein von Nato-Staaten bestücktes Munitionsdepot vernichtet. Dort seien im Gebiet Lwiw mit Raketen unter anderem Geschosse für Haubitzen vom Typ M777 zerstört worden, teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Mittwoch in Moskau mit. In den ostukrainischen Gebieten Donezk und Dnipropetrowsk sei an Bahnanlagen eine große Zahl an Waffen und Militärtechnik der USA und europäischer Länder, die an die ukrainischen Streitkräfte übergeben worden seien, vernichtet worden.

Das Ministerium meldete auch Angriffe in anderen Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk. Bei Luftschlägen, unter anderem auch im Gebiet Charkiw, sei Militärtechnik - darunter Panzer, Mehrfachraketenwerfer und Haubitzen vom Typ M777 - zerstört worden, hieß es. Auch insgesamt 300 ukrainische Kämpfer seien bei den Einsätzen getötet worden. Überprüfbar waren die Angaben von unabhängiger Seite nicht.

Russland machte keine Angaben zu eigenen täglichen Verlusten. Die ukrainische Seite gab sie am Mittwoch mit 250 getöteten russischen Soldaten an - und mit insgesamt 32.750 seit Kriegsbeginn. Die Ukraine spricht von etwa 10.000 getöteten Soldaten in den eigenen Reihen, zwischen 100 bis 200 am Tag.

Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und hat seither nach eigenen Angaben auch rund 6500 ukrainische Soldaten als Kriegsgefangene genommen. Auch auf ukrainischer Seite gibt es russische Gefangene, allerdings deutlich weniger.


Kreml: Setzen weiter auf Kommunikation mit Westen

MOSKAU: Ungeachtet der zutiefst belasteten Beziehungen will der Kreml den Dialog mit westlichen Staaten nicht völlig aufgeben. «Kommunikation ist notwendig, wir werden auch in Zukunft kommunizieren müssen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. «Amerika wird sich nirgendwo hinbewegen, Europa wird sich nirgendwo hinbewegen, also müssen wir irgendwie mit ihnen kommunizieren.» Die Kommunikation müsse aber auf gegenseitigem Respekt und der Wahrung von Sicherheitsinteressen beruhen, fügte Peskow hinzu. Dies sei derzeit aber nicht absehbar.

Die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen sind seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar auf einem absoluten Tiefpunkt. Europa und die USA verhängten eine Vielzahl beispielloser Sanktionen gegen Russland und unterstützen die angegriffene Ukraine mit Waffen.


Selenskyj pocht auf EU-Kandidatenstatus für Ukraine

PRAG: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eindringlich dafür geworben, seinem Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten zuzuerkennen. Der 44-Jährige sprach am Mittwoch per Video zu beiden Parlamentskammern in Tschechien, das in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Der Kandidatenstatus würde unter Beweis stellen, dass Europa eine wirkliche Gemeinschaft sei und die europäischen Werte mehr bedeuteten als nur leere Phrasen, sagte Selenskyj.

Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt. Die EU-Staaten beauftragten die EU-Kommission daraufhin, eine Empfehlung abzugeben, ob das Land den Status eines Beitrittskandidaten bekommen sollte. Wie es weitergeht, soll dann auf einem Gipfel am 23. und 24. Juni entschieden werden.

Selenskyj warnte, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Sieg nicht in der Ukraine haltmachen würde. Dessen imperiale Ambitionen reichten «von Warschau bis nach Sofia, von Prag bis nach Tallinn». Zum Abschluss zitierte er das Motto des früheren tschechoslowakischen und tschechischen Präsidenten Vaclav Havel (1936-2011): «Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lüge und Hass.» Dafür erhielt er von den tschechischen Parlamentariern minutenlangen, im Stehen dargebrachten Beifall.


Separatist: Evakuierung von Chemiewerk in Sjewjerodonezk gescheitert

SJEWJERODONEZK: In der umkämpften ostukrainischen Großstadt Sjewjerodonezk ist die von Moskau geplante Evakuierung des Chemiewerks Azot nach Angaben prorussischer Separatisten vorerst gescheitert. Weil die ukrainische Seite vom Werksgelände mit Granatwerfern und Panzern schieße, könnten sich dort keine Menschen in Sicherheit bringen, teilte der Separatistenvertreter Rodion Miroschnik mit. Das russische Verteidigungsministerium hatte den humanitären Korridor für Mittwoch angekündigt, damit Zivilisten aus den Bunkern der Industrieanlage fliehen können.

Vermutet werden dort mehr als 500 Zivilisten; die Separatisten gehen davon aus, dass es bis zu 1200 Menschen sein könnten. Sie hätten über den Korridor in jenes Gebiet fliehen sollen, das von prorussischen Kräften kontrolliert wird. Miroschnik teilte auch mit, dass sich in der Azot-Anlage rund 2000 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner verschanzt haben könnten. Bestätigt ist das von ukrainischer Seite nicht. Eine Aufforderung Moskaus zur Kapitulation hatte die ukrainische Seite abgelehnt.

Der Gouverneur des Luhansker Gebiets, Serhij Hajdaj, sprach in seinem Blog des Nachrichtenkanals Telegram von andauernden Gefechten in Sjewjerodonezk und weiteren Orten der Region. «Es wird schwieriger, aber unsere Soldaten halten den Feind gleich an drei Seiten auf. Sie schützen Sjewjerodonezk und erlauben keinen Vormarsch nach Lyssytschansk», sagte er. Lyssytschansk, wo es laut Hajdaj viele Verletzte gibt, liegt an einem Fluss gegenüber von Sjewjerodonezk, das bereits zum großen Teil von russischen Truppen kontrolliert wird. Die Brücken zwischen beiden Städten sind zerstört.

Russland hatte die ukrainischen Kämpfer - wie zuvor im Stahlwerk der Hafenstadt Mariupol - aufgefordert, sich zu ergeben. Das Verteidigungsministerium in Moskau kündigte an, dass das Leben der Kriegsgefangenen in diesem Fall verschont werde. Nach der Eroberung von Mariupol waren Tausende ukrainische Soldaten in Gefangenschaft gekommen. Russland hat nach eigenen Angaben bisher rund 6500 Kämpfer in seiner Gewalt.


Nato lädt ukrainischen Präsidenten zu Gipfel in Madrid ein

BRÜSSEL: Die Nato hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Gast zu ihrem Gipfeltreffen in Madrid eingeladen. Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch mitteilte, ist allerdings noch nicht klar, ob Selenskyj wirklich anreist oder aus seinem Amtssitz in Kiew zugeschaltet wird. «Er ist willkommen, persönlich zu kommen. Wenn das für ihn nicht möglich ist, wird er per Videokonferenz zu uns sprechen», sagte Stoltenberg.

Bei dem am 28. Juni in der spanischen Hauptstadt beginnenden Gipfeltreffen der westlichen Militärallianz wollen die Staats- und Regierungschefs der 30 Nato-Staaten entscheiden, wie das Bündnis mittel- und langfristig auf die Bedrohungen durch Russlands Kriegspolitik reagiert. Konkret geht es dabei zum Beispiel um die Verstärkung der Ostflanke durch zusätzliche Nato-Truppen. Vor allem die baltischen Staaten dringen seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine auf eine deutlich größere Unterstützung durch Bündnispartner. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte bereits in der vergangenen Woche an, dass Deutschland seine Truppen in Litauen noch einmal verstärken werde.

Stoltenberg äußerte sich am Mittwoch wenige Stunden vor dem Beginn eines zweitägigen Nato-Verteidigungsministertreffens. Bei ihm soll der Gipfel in Madrid weiter vorbereitet werden.


Macron: Müssen klare Signale an Ukraine senden

MIHAIL KOGALNICEANU: Europa muss Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zufolge ein klares politisches Signal an die Ukraine senden. Dazu sei Einigkeit untereinander notwendig, sagte Macron am Mittwoch bei einer Pressekonferenz auf dem Militärstützpunkt Mihail Kogalniceanu in Rumänien.

«Der politische Kontext und die Entscheidungen, die die EU und die Nationen treffen müssen, rechtfertigen neue, tief gehende Diskussionen und neue Schritte voran», so Macron zu einer möglichen Reise in die Ukraine. Er hatte immer betont, erst nach Kiew reisen zu wollen, wenn dies nützlich sei. Es gibt Berichte, wonach er unter anderem gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch diese Woche in die Ukraine reist.

Macron sagte zudem, sie alle wollten, dass es eine Feuerpause gebe und die Verhandlungen wieder aufgenommen würden. Zu einem gewissen Zeitpunkt, hoffentlich wenn die Ukraine gewonnen habe und die Kämpfe eingestellt wurden, müsse man verhandeln. Wenn der ukrainische Präsident mit Russland rede, säßen die Europäer mit am Tisch, um Sicherheitsgarantien zu liefern. Macron betonte erneut, dass man die Ukraine zwar unterstütze, aber keinen Krieg gegen Russland führe.

Macron hatte zuvor mit dem rumänischen Präsident Klaus Iohannis gesprochen. Frankreichs Staatschef sagte dabei einen Ausbau der französischen Militärpräsenz in dem an die Ukraine grenzenden Land zu. Laut Élyséekreisen sind dort zurzeit französische Soldaten stationiert. Iohannis und Macron sprachen neben der Unterstützung für die Ukraine auch über die EU-Beitrittsanträge des Landes sowie Moldaus. Auch die Themen Energiesicherheit und Nahrungsmittelversorgung kamen zur Sprache.


«Latvijas Avize»: Putin nennt endlich den wahren Kriegsgrund

RIGA: Die national-konservative lettische Zeitung «Latvijas Avize» beschäftigt sich am Mitttwoch mit den Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Großen Nordischen Krieg unter Zar Peter I. verglich:

«Nach mehr als hundert Tagen hat Putin endlich die wahren Grund für den Krieg erklärt. Es ist weder die Verteidigung des Donbass, die «Entnazifizierung» der Ukraine oder deren «Entmilitarisierung», die Bedrohung durch die Nato, biologische Labore oder irgendein anderer von den Propagandakanälen des Kreml in den vergangenen Monaten verbreiteter Unsinn. Der Hauptgrund ist die «Rückeroberung und Stärkung» derjenigen Gebiete, die Russland in Person von Putin als seine eigenen betrachtet. Und wer daran zweifelt, dass sich dies nur für die Ukraine bezieht: In derselben kleinen Redepassage wurde direkt und offen etwa auch Narva erwähnt. Und das ist in Estland - einem Nato-Land!»


Ostukraine: Lage im umkämpften Sjewjerodonezk wird schwieriger

SJEWJERODONEZK: Im Osten der Ukraine dauern die Gefechte um die Großstadt Sjewjerodonezk und weitere Orte im Gebiet Luhansk an. «Es wird schwieriger, aber unsere Soldaten halten den Feind gleich an drei Seiten auf. Sie schützen Sjewjerodonezk und erlauben keinen Vormarsch nach Lyssytschansk», teilte der Gouverneur des Luhansker Gebiets, Serhij Hajdaj, am Mittwoch in seinem Blog des Nachrichtenkanals Telegram mit.

Lyssytschansk, wo es laut Hajdaj viele Verletzte gibt, liegt an einem Fluss gegenüber von Sjewjerodonezk, das bereits zum großen Teil von russischen Truppen kontrolliert wird. Die Brücken zwischen beiden Städten sind zerstört.

Die Russen beschössen weiter Häuser und hätten in Sjewjerodonezk erneut das Chemiewerk Azot angegriffen, sagte Hajdaj. «Der Gegner ist schwächer in den Straßenkämpfen, deshalb eröffnet er das Feuer aus Artillerie, wodurch unsere Häuser zerstört werden», sagte er. Auch in den umliegenden Ortschaften gebe es schwere Schäden. Vielerorts habe es zudem russische Luftschläge gegeben.

Der Gouverneur äußerte sich zunächst nicht zu dem von der russischen Seite für den Mittwochmorgen angekündigten humanitären Korridor zur Evakuierung des Chemiewerks Azot. In den Bunkeranlagen der Industrieanlage werden mehr als 500 Zivilisten vermutet. Sie sollen bis zum Abend auf von Moskau und prorussischen Truppen kontrolliertes Gebiet fliehen können. Zudem hat Russland die ukrainischen Kämpfer aufgefordert, sich zu ergeben. Das Verteidigungsministerium in Moskau kündigte an, dass das Leben der Kriegsgefangenen verschont werde.


London: Moskau kontrolliert mittlerweile Großteil von Sjewjerodonezk

LONDON: Nach Einschätzung britischer Geheimdienste haben die Russen nach mehr als einem Monat erbitterter Gefechte den Großteil der ukrainischen Stadt Sjewjerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht. Dabei seien durch heftigen Beschuss enorme Kollateralschäden verursacht worden, hieß es am Mittwoch in der täglichen Lageeinschätzung des britischen Verteidigungsministeriums.

Díe Geheimdienste gehen davon aus, dass eine Vielzahl russischer Kräfte weiterhin rund um das örtliche Chemiewerk Azot gebunden sein wird, «solange die ukrainischen Kämpfer im Untergrund überleben können». In dem Werk sollen ukrainische Soldaten, aber auch Hunderte Bürgerinnen und Bürger, Zuflucht suchen. Für Mittwoch war die Schaffung eines humanitären Korridors angekündigt.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor fast vier Monaten veröffentlicht die britische Regierung regelmäßig Geheimdienstinformationen zum Verlauf. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.