Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Dienstag

Foto: epa/dpa
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Selenskyj: Ukraine braucht moderne Raketenabwehrsysteme

KIEW: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen Appell nach weiteren Waffenlieferungen aus dem Westen bekräftigt. Kiew werde seine Aktivitäten nicht reduzieren, um moderne und ausreichende Raketenabwehrsysteme für die Ukraine zu erhalten, sagte er am Dienstag in einer Videobotschaft. Die russische Armee habe aktuell erneut Stellungen im Land angegriffen. Dabei sei ein Teil der Raketen von ukrainischen Luftabwehrkräften abgeschossen worden.

Schutz vor Raketenangriffen noch in diesem Jahr zu schaffen, sei eine maximale Aufgabe für den Staat, sagte Selenskyj. «Aber das Erfüllen dieser Aufgabe hängt nicht nur von uns ab, sondern auch vom Verständnis unserer Grundbedürfnisse durch unsere Partner.»

Zuletzt habe es in Kiew und anderen Regionen einige Zeit lang keinen Luftalarm gegeben, sagte der Präsident. «Man sollte in den Handlungen von Terroristen nicht nach Logik suchen. Die russische Armee macht keine Pausen», meinte er. Sie habe nur eine Aufgabe: «Menschen das Leben zu nehmen, Menschen einzuschüchtern - damit sich auch wenige Tage ohne Luftalarm bereits wie ein Teil des Terrors anfühlen.»


Selenskyj kritisiert Armeeführung - «Entscheidungen nicht ohne mich»

KIEW: Nach heftiger Kritik an Meldeauflagen für Wehrpflichtige in der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Militärführung gerüffelt. Auf der nächsten Sitzung des Generalstabs sollen ihm Verteidigungsminister, Generalstabschef und Armeeoberbefehlshaber detailliert Bericht erstatten, forderte der 44-Jährige am Dienstag in einer Videobotschaft. «Ich verspreche dem Volk, die Sache zu klären, und bitte weiter den Generalstab, derartige Entscheidungen nicht ohne mich zu treffen.» Es gebe «Unverständnis» und «Entrüstung» in der Gesellschaft.

Zuvor hatten Armeeoberbefehlshaber Walerij Saluschnyj und der Generalstab mitgeteilt, dass wehrpflichtige Ukrainer für das Verlassen des Meldeorts eine Erlaubnis benötigen. Nach Kritik in sozialen Netzwerken wurde nachgeschoben, dass dies nur für das Verlassen des Regierungsbezirks notwendig sei. Grundlage sei eine Gesetzesnorm von 1992.

Ukrainische Männer sind zwischen 18 und 60 Jahren wehrpflichtig und dürfen seit der Verhängung des Kriegsrechts das Land nicht mehr verlassen. Die Ukraine wurde Ende Februar von ihrem Nachbarn Russland überfallen. Ab Oktober werden auch Frauen in bestimmten Berufsgruppen wehrdienstlich erfasst.


Ukraine will OECD-Mitglied werden

KIEW: Die Ukraine will der Industrieländerorganisation OECD beitreten. Er habe im Namen des Landes einen entsprechenden Antrag gestellt, teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal am Dienstag per Nachrichtendienst Telegram mit. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sei «einer der Eckpfeiler des erfolgreichen Wiederaufbaus und der Entwicklung» der Ukraine, teilte er mit.

Die Ukraine stemmt sich derzeit gegen einen Angriffskrieg Russlands. Der Konflikt dauert bereits mehr als vier Monate. Schon vor dem Krieg galt die Ukraine gemessen am Pro-Kopf-Einkommen als eines der ärmsten Länder Europas.

Die in Paris ansässige OECD vereint Länder, die sich zu Demokratie und Marktwirtschaft bekennen. Mittlerweile sind neben großen Volkswirtschaften wie Deutschland, den USA und Japan auch Schwellenländer wie Mexiko und Chile Mitglied. Die Fachleute der Organisation erarbeiten zum Beispiel regelmäßig Konjunkturprognosen.


Johnson: Ukrainer können verlorene Gebiete wieder zurückerobern

LONDON/KIEW: Der britische Premierminister Boris Johnson ist zuversichtlich, dass die Ukraine die kürzlich an russische Truppen verlorenen Gebiete zurückerobern kann.

Das habe er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem Telefonat am Dienstag gesagt, schrieb Johnson auf Twitter. Zudem sicherte er Kiew weitere militärische Unterstützung zu. In einer Mitteilung des Regierungssitzes Downing Street hieß es, unter anderem zehn selbstfahrende Artilleriesysteme und als «loitering munition» bezeichnete Lenkwaffen sollten in den kommenden Tagen oder Wochen in der Ukraine eintreffen.


Zahl ukrainischer Schüler bei bald 150.000

BERLIN: Die Zahl der in Deutschland aufgenommenen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine nähert sich gut vier Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs der 150.000er Marke.

Wie die Kultusministerkonferenz (KMK) am Dienstag mitteilte, waren in der vergangenen Woche 146.321 geflüchtete Kinder und Jugendliche an Schulen in Deutschland angemeldet, ein Zuwachs von 2263 im Vergleich zur Vorwoche. Die meisten sind bisher in Bayern (26.976), Nordrhein-Westfalen, wo bereits Sommerferien sind (24.662), und Baden-Württemberg (19.198) untergekommen. Die Zahlen sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar stetig angestiegen. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa elf Millionen Schülerinnen und Schüler.


Polen sammeln Geld für Drohnen-Spende an die Ukraine

WARSCHAU: Nach dem Vorbild ihrer Nachbarn in Litauen sammeln nun auch Bürger in Polen Geld für den Kauf einer Drohne, die an die Ukraine weitergegeben werden soll. Bislang seien umgerechnet rund 1,3 Millionen Euro zusammengekommen, teilten die Organisatoren am Dienstag mit. Dies ist ein Viertel des Kaufpreises von knapp fünf Millionen Euro.

Die Crowdfunding-Aktion läuft noch bis Ende Juli. In Polen ist die Solidarität mit der Ukraine sehr groß. Das EU-Land hat nach Regierungsangaben mehr als zwei Millionen Flüchtlinge von dort aufgenommen.

Anfang Juni hatten die gerade mal 2,8 Millionen Einwohner Litauens in wenigen Tagen das Geld für den Kauf einer Bayraktar-Drohne gesammelt. Begeistert von der Aktion überließ der türkische Hersteller Baykar Litauen die Kampfdrohne sogar kostenlos, damit das gesammelte Geld für andere Zwecke genutzt werden kann.

Die Ukraine setzt bereits Bayraktar-Drohnen im Kampf gegen die russischen Angreifer ein. Die Türkei hat vor dem Krieg mehrere Kampfdrohnen desselben Typs an die Ukraine verkauft, von denen bisher zwölf geliefert worden sein sollen. Zu Lieferungen während des Krieges gibt es keine Angaben.


Weiter Kämpfe im Donezker Gebiet bei Slowjansk und Bachmut

KIEW: Wenige Tage nach dem Rückzug aus der letzten Großstadt im ostukrainischen Gebiet Luhansk will die ukrainische Armee im Nachbargebiet Donezk mehrere Vorstöße russischer Truppen abgewehrt haben. So seien russische Einheiten nördlich von Slowjansk bei Dolyna zurückgeworfen worden, teilte der Generalstab in Kiew am Dienstag mit. Ebenso sei weiter das Wärmekraftwerk Wuhlehirsk umkämpft. Ein russischer Angriff südlich davon bei Nowoluhanske sei zurückgeschlagen worden. Ebenso seien Attacken an der Grenze zum verloren gegangenen Luhansker Gebiet bei Bilohoriwka und Werchnjokamjanske abgewehrt worden.

Etwas südlicher davon seien jedoch russische Einheiten bei Spirne mit massiver Artillerieunterstützung und Luftwaffeneinsatz weiter in Richtung der Stadt Siwersk vorgedrungen. Darüber hinaus berichtete der Generalstab über intensiven Artilleriebschuss an weiten Teilen der Front in den Gebieten Charkiw, Donezk, Saporischschja, Cherson und Mykolajiw. Mehrfach seien auch Luftangriffe teils mit Hubschraubern geflogen worden.

Erstmals seit fast einer Woche gab es wieder im ganzen Land - einschließlich der Hauptstadt Kiew - Luftalarm. Mehrere Raketen seien dabei in Mykolajiw in der Südukraine eingeschlagen. Raketenangriffe gab es auch im ostukrainischen Charkiw und Dnipro.


Zwei russische Grenzregionen werfen Ukraine Beschuss vor

KURSK/BRJANSK: Die beiden russischen Grenzregionen Brjansk und Kursk haben der ukrainischen Seite erneut Beschuss vorgeworfen. Der Brjansker Gouverneur Alexander Bogomas schrieb am Dienstag auf Telegram, das Dorf Sernowo sei mit Artillerie beschossen worden, verletzt worden sei aber niemand. Auch aus den betroffenen Kursker Dörfern gab es zunächst keine Informationen über mögliche Opfer.

Russland, das vor viereinhalb Monaten selbst einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine begonnen hat, beklagt immer wieder Beschuss auch auf dem eigenen Staatsgebiet. Zuletzt gab es solche Meldungen fast täglich. Den bislang folgenschwersten Angriff auf russischem Gebiet verzeichnete bislang die Grenzregion Belgorod, bei dem in der Nacht zum Sonntag laut Behörden vier Menschen starben.

Die ukrainische Seite äußert sich in der Regel nicht zu diesen Vorwürfen. Moskau wiederum hat in der Vergangenheit mit verstärkten Angriffen auf ukrainische Ziele gedroht, sofern eigenes Staatsgebiet beschossen wird.


Botschafter Melnyk soll nach Kiew zurückkehren

BERLIN: Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, soll Medienberichten zufolge abberufen werden und ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Die «Bild»-Zeitung berichtete unter Berufung auf mehrere Quellen in Kiew, dass das Außenministerium dies Präsident Wolodymyr Selenskyj vorgeschlagen habe. Noch im Herbst könne der Wechsel des 46-Jährigen erfolgen. Melnyk könnte stellvertretender Außenminister werden, schrieb die Zeitung. Die «Süddeutsche Zeitung» meldete unter Berufung auf Kreise des ukrainischen Präsidialamtes ebenfalls, dass Melnyk seinen Posten in Berlin verlassen und ins Außenministerium nach Kiew wechseln soll.

Melnyk ist in Deutschland durch scharfe Kritik an der Ukraine-Politik der Bundesregierung bekannt. Zuletzt geriet er mit umstrittenen Äußerungen über den früheren Nationalistenführer Stepan Bandera (1909-1959) unter Druck. Melnyk hatte Bandera in einem Interview in Schutz genommen und gesagt: «Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen.» Dafür gebe es keine Belege. Scharfe Kritik an den Äußerungen kamen unter anderem aus Polen und von der israelischen Botschaft in Berlin. Das ukrainische Außenministerium hatte erklärt, Melnyk habe seine persönliche Position wiedergegeben, die nicht die Haltung des Ministeriums sei.

Die Regierung in Kiew und Melnyk selbst reagierten zunächst nicht auf Anfragen der Deutschen Presse-Agentur zu den Medienberichten. Melnyk war am Dienstag bei einem Termin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit rund 150 nach Deutschland entsandten Botschaftern und hochrangigen Vertretern internationaler Organisationen in Franken nicht dabei.


London: Rückzug aus Lyssytschansk erleichtert Ukrainern Verteidigung

LONDON: Der Rückzug ukrainischer Truppen aus der ostukrainischen Stadt Lyssytschansk dürfte nach Einschätzung britischer Experten die Verteidigung ihrer Positionen erleichtern. Der Rückzug sei größtenteils geordnet abgelaufen, hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London am Dienstag. «Die von den Ukrainern gehaltenen Bereiche der Zwillingsstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk bestanden aus einer Ausbuchtung, die von drei Seiten von den Russen attackiert werden konnte», hieß es in der Mitteilung. Es gebe eine realistische Möglichkeit, dass sich ukrainische Kräfte nun auf eine leichter zu verteidigende, gerade Frontlinie zurückziehen.

Die jüngsten Fortschritte der russischen Invasionstruppen sind nach Einschätzung der britischen Experten die Folge «einigermaßen effektiver Koordination» zwischen verschiedenen Gruppen der russischen Streitkräfte. Trotzdem gehen sie davon auf, dass der Krieg weiterhin zäh sein wird. «Die Schlacht um den Donbass war bisher von langsamen Fortschritten und dem massenhaften russischen Einsatz von Artillerie gekennzeichnet, wodurch Dörfer und Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden», so die Mitteilung. Es sei sehr wahrscheinlich, dass der Kampf um die Region Donezk in gleicher Weise ablaufen werde.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar veröffentlicht die britische Regierung regelmäßig Geheimdienstinformationen zum Verlauf. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

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