Politiker wollen blutigen Konflikt im Donbass lösen

Foto: epa/Michael Klimentyev / SPUTNIK
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PARIS (dpa) - Zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren treffen sich die Präsidenten der Ukraine und Russlands unter deutsch-französischer Vermittlung wieder zu einem Ukraine-Gipfel. Bekommen die vier Hauptakteure eine Lösung für die wichtigsten Knackpunkte in dem tiefen Konflikt hin?

Im Ukraine-Konflikt treffen sich bei dem mit Spannung erwarteten Gipfel am Montag in Paris der russische Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyj erstmals persönlich. Telefoniert haben der Kremlchef und der Ex-Komiker zwar schon mehrfach. Aber erst jetzt – mehr als drei Jahre nach dem Ukraine-Gipfel 2016 – ist es dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelungen, die wichtigen Akteure für einen neuen Versuch zusammenzubringen, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dabei. Vor dem Treffen, das nach seiner Gründung in der Normandie benannt ist, sieht die Lage so aus:

DIE WICHTIGSTEN AKTEURE

WOLODYMYR SELENSKYJ: Der 41-Jährige hat nach seiner Wahl im April immer wieder betont, dass das Ende des Kriegs in den Regionen Donezk und Luhansk Vorrang habe für ihn. Rund 13.000 Menschen sind nach UN-Schätzungen bisher umgekommen. Selenskyj besuchte vor seinem ersten Ukraine-Gipfel am Freitag erneut die Regierungstruppen an der Front, die dort prorussischen Separatisten gegenüberstehen. Dabei spürte er zuletzt oft Widerstand gegen mögliche Zugeständnisse an den Donbass. Die Opfer des Krieges im Kampf um die ukrainischen Gebiete dürften nicht umsonst sein, heißt es da.

Selenskyj kann bei der Lösung des Konflikts erste Erfolge vorweisen: Im September gab es einen großen Gefangenenaustausch zwischen Moskau und Kiew. Russland gab auch drei im November beschlagnahmte ukrainische Kriegsschiffe zurück. Vor allem aber hat Selenskyj an drei Orten Teile des Militärs zurückgezogen.

Der Ukrainer hätte zwar am liebsten noch US-Präsident Donald Trump bei dem Gipfel dabei gehabt – auch wegen der massiven US-Militärhilfe in dem Konflikt. Doch weder wollen sich Berlin und Paris von Washington das Heft das Handelns aus der Hand nehmen lassen, noch zeigt der mit einer drohenden Amtsenthebung kämpfende Trump ein besonderes Interesse an dem Konflikt.

WLADIMIR PUTIN: Der 67 Jahre alte Kremlchef lässt vor dem Treffen mit Selenskyj demonstrativ gute Stimmung verbreiten. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte, dass es Grund für vorsichtigen Optimismus gebe und sich im zerstörten russisch-ukrainischen Verhältnis etwas ändere. Schon so eine persönliche Begegnung an sich sei angesichts der schweren Konfrontation zwischen Moskau und Kiew ein Erfolg. Ein Gipfelabkommen sei aber nicht geplant, sagte Peskow - höchstens «irgendein Dokument». Wichtig sei es aber vor allem, sich über die wichtigsten Punkte des Konflikts zu verständigen, sagte Peskow.

Russland besteht etwa darauf, dass die Regierung in Kiew mit den Führungen der nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk direkt in Dialog tritt, um den Konflikt zu lösen. Die Fronten hier sind aber verhärtet.

Zwar betont Moskau stets, nur Vermittler und nicht Konfliktpartei zu sein. Da aber die aus Russland auch mit Waffen unterstützten Separatisten gar nicht mit am Tisch sitzen, ist Putin in Paris Vertreter ihrer Interessen. Moskau will erreichen, dass die Regionen einen Sonderstatus erhalten, der etwa per Gesetz Rechte der russischsprachigen Bevölkerung festlegt. Der Status ist umstritten in der Ukraine. Allerdings steht er im Minsker Friedensplan von 2015, der seit Jahren auf Eis liegt. Bei Fortschritten gäbe es zudem die Chance, dass die EU die im Zuge des Konflikts erlassenen Sanktionen gegen Russland schrittweise zurückfährt. Darauf hofften auch deutsche Konzernmanager bei einem Treffen mit Putin am Freitag in Sotschi.

ANGELA MERKEL: Für die Kanzlerin sind die Ukraine-Verhandlungen ein diplomatisches Prestigeprojekt. Neben Libyen ist es derzeit der einzige Konflikt, in dem Deutschland eine führende Vermittlerrolle einnimmt. Der so genannte Normandie-Prozess wird immer wieder als ein Musterbeispiel dafür genannt, dass Deutschland zu mehr Verantwortung in der internationalen Politik bereit ist.

Die Zeiten, in denen die Bundesregierung klar die Federführung bei der Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine hatte, sind aber vorbei. Macron drängt dabei immer mehr in Vordergrund. Die Russen sehen Merkel, die 2021 aufhören will, zudem als «lahme Ente».

Ein weiteres Problem für Merkel: Ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor dem so wichtigen Gipfeltreffen, wird das deutsch-russische Verhältnis durch den vermuteten Auftragsmord an einem Georgier in Berlin auf eine schwere Belastungsprobe gestellt. Mit der Begründung fehlender russischer Kooperation bei der Aufklärung hat das Auswärtige Amt zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Moskau hat angekündigt, darauf zu reagieren. Das dürfte zwischen Merkel und Putin am Rande des Gipfels Thema sein.

EMMANUEL MACRON: Als Gastgeber stellt der 41-Jährige den sogenannten Normandie-Gipfel in einen größeren sicherheitspolitischen Kontext. Der einstige Senkrechtstarter, der mit seiner Fundamentalkritik an der Nato heftige Debatten auslöste, fordert dabei, das Verhältnis zu Russland grundlegend zu überdenken. Russland ist seiner Ansicht nach kein Feind der westlichen Militärallianz mehr. «Es bleibt eine Bedrohung, aber es ist bei einigen Themen auch ein Partner», lautet das Credo Macrons.

Für Sicherheit und Stabilität in Europa sei ein «solider und fordernder Dialog» mit Moskau nötig, meint der Herr des Élyséepalastes. Um zu einem neuen Verhältnis zu Moskau zu kommen, müsse es bei einigen Themen Fortschritte geben - dazu zählt Macron nicht zuletzt das Normandie-Spitzentreffen in seinem Amtssitz.

Dem mächtigsten Franzosen lässt sich kein Desinteresse für den Ukraine-Konflikt vorwerfen. Er empfing im Frühjahr Selenskyj, als dieser noch Anwärter für das Präsidentenamt in der Ukraine war. Merkel dagegen gewährte ihm erst nach seiner Wahl Audienz.

DIE WICHTIGSTEN KNACKPUNKTE IN DEM KONFLIKT

SONDERSTATUS FÜR DEN DONBASS: Bis zum Jahresende gilt zwar noch ein Gesetz, das einen Sonderstatus mit sprachlicher, kultureller, wirtschaftlicher Autonomie und eigenen Justiz- und Sicherheitsorganen nach der Abhaltung von Wahlen vorsieht. Das ukrainische Parlament hat allerdings kaum noch Zeit, ein neues Gesetz zu verabschieden oder das alte zu verlängern. Streit gibt es um die sogenannte «Steinmeier-Formel». Die nach dem Bundespräsidenten und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) benannte Formel regelt, in welchen Schritten der Status für die Regionen Luhansk und Donezk eingeführt werden kann. Selenskyj etwa hatte sich gegen Wahlen dort ausgesprochen, solange die Separatisten bewaffnet sind.

ENTMILITARISIERUNG: In Paris soll es auch um weitere Abschnitte für den Entflechtung genannten Truppenabzug von der Frontlinie gehen. In der ukrainischen Presse kursieren neun Orte. Doch strebt Selenskyj im Idealfall eine Entmilitarisierung der gesamten über 400 Kilometer langen Kontaktlinie an.

GEFANGENENAUSTAUSCH: Priorität hat für den ukrainischen Staatschef ein Gefangenenaustausch «aller gegen alle». Aktuell wird ein Austausch von 250 Gefangenen aus Kiew gegen 100 aus Luhansk und Donezk diskutiert.

GRENZKONTROLLE UND WAHLEN: Kiew beharrt auf der Rückgabe der Kontrolle des ukrainisch-russischen Grenzabschnitts vor der Abhaltung von Wahlen in den Gebieten Luhansk und Donezk. Der Friedensplan von 2015 sieht dies jedoch erst nach dem Urnengang und der Verankerung des Sonderstatus für die Separatistengebiete in der Verfassung vor.

ERDGASTRANSIT: Offiziell ist das zwar kein Gipfelthema, aber konfliktträchtig ist es trotzdem. Russland ist weiter auf die Ukraine als wichtigstes Transitland für seine Gaslieferungen in die EU angewiesen – auch weil die Ostseepipeline Nord Stream 2 erst Mitte 2020 voll funktionstüchtig sein soll. Die finanziell klamme Ukraine wiederum braucht die Einnahmen aus den Transitgebühren. Der Transitvertrag über Durchleitungsmengen und –gebühren läuft Ende dieses Jahres aus. Putin und Selenskyj könnten bei bilateralen Gesprächen hier die Richtung vorgeben. Dass es eine rasche Lösung gibt, daran haben beide ein Interesse.

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