Ukraine erwartet mehr westliche Waffen - Weniger Gaslieferungen

Satellitenbilder aus der Ostukraine: weiterhin umfangreiche Artillerieangriffe. Foto: epa/Maxar Technologies Handout
Satellitenbilder aus der Ostukraine: weiterhin umfangreiche Artillerieangriffe. Foto: epa/Maxar Technologies Handout

KIEW/MOSKAU: Die letzte Brücke ist zerstört, doch die Straßenkämpfe in der ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk gehen weiter. In einem Chemiewerk sollen Hunderte Zivilisten ausharren. Vieles erinnert an Mariupol. Nun macht Moskau ein Angebot.

Für den zähen Abwehrkampf gegen die russische Armee erwartet der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutlich mehr Unterstützung des Westens. «Wir müssen noch viel mehr gemeinsam tun, um diesen Krieg zu gewinnen», sagte Selenskyj der «Zeit» in einem am Dienstag veröffentlichten Interview. Insbesondere brauche sein Land mehr moderne Artilleriegeschütze wie etwa Mehrfachraketenwerfer. Zur Unterstützung Deutschlands sagte er, die Waffenlieferungen seien «immer noch geringer, als sie sein könnten».

Russland hatte das Nachbarland Ende Februar überfallen. Zuletzt geriet die Ukraine im Zuge heftiger russischer Angriffe im Osten stärker in Bedrängnis. Im Fokus der teils verlustreichen Kämpfe steht weiter die strategisch wichtige Stadt Sjewjerodonezk.

Deutschland muss sich unterdessen auf deutlich weniger Gas aus Russland im Sommer einstellen. Der Energieriese Gazprom kündigte an, die maximalen Liefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren. Grund seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens: Ein Verdichteraggregat sei nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurück.

Selenskyj: «Helft uns. Bitte»

Selenskyj sagte auf die Frage, ob er sich von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die klare Formulierung wünsche, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen: «Wie auch immer der Wortlaut ist: Jeden Tag sterben Dutzende von Menschen hier in der Ukraine. Jeden Tag. Wie soll ich da ruhig bleiben?» Russlands Präsident Wladimir Putin hasse die Idee eines freien und vereinten Lebens in Europa, und seine Soldaten hielten dagegen. «Also sagt, was ihr wollt und wie ihr es wollt, aber helft uns. Bitte.» Bereits tags zuvor hatte Selenskyj gewarnt, Deutschland dürfe keinen Spagat zwischen der Ukraine und den Beziehungen zu Russland versuchen.

Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi könnten schon Mitte der Woche die Ukraine besuchen. Eine offizielle Terminangabe steht aber noch aus.

Ukraine: Zivilisten im Chemiewerk Azot in Sjewjerodonezk

Nachdem die dritte und damit letzte Brücke der Stadt Sjewjerodonezk über den Fluss Si?werskyj Donez zerstört wurde, wachsen die Sorgen um die in der Stadt verbliebenen Zivilisten. Die Lage rund um das örtliche Chemiewerk Azot sei besonders schwer, sagte der Chef der städtischen Militärverwaltung, Olexander Strjuk, im ukrainischen Fernsehen. Auf dem Werksgelände sollen demnach in Bombenschutzkellern etwa 540 bis 560 Zivilisten ausharren. «Gewisse Vorräte wurde im Azot-Werk geschaffen», sagte Strjuk. Zudem leisteten Polizisten und Militärs Hilfe. Das Gelände stehe aber unter ständigem Beschuss, auch die Straßenkämpfe dauerten an.

Die Situation in dem Werk erinnert an jene der Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine, wo sich im Asovstal-Werk ukrainische Soldaten und Zivilisten verschanzt hatten. Inzwischen ist die Stadt inklusive des Stahlwerks unter russischer Kontrolle.

Russland kündigte für Mittwoch die Einrichtung eines Fluchtkorridors für die eingekesselten Zivilisten im Chemiewerk Azot an. die Flucht über einen humanitären Korridor ermöglichen. Der Fluchtweg soll in nördliche Richtung in die Stadt Swatowe (Swatowo) im Gebiet Luhansk führen, wie der Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, Michail Misinzew, sagte. Der Ort Swatowe liegt in der von prorussischen Separatisten kontrollierten und von Moskau als Staat anerkannten Volksrepublik Luhansk.

Rund 812 Millionen Euro Spenden für ukrainische Kriegsbetroffene

Das Schicksal der vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betroffenen Menschen scheint bei den Deutschen eine hohe Spendenbereitschaft auszulösen. Mindestens 812 Millionen Euro wurden seit Beginn des Krieges am 24. Februar gesammelt, wie das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) mitteilte. Die Spendenaufkommen dürfte demnach sogar noch höher liegen, da auch viele kleinere Initiativen Geld gesammelt hätten, die bei der Ergebung nicht berücksichtigt worden seien. Dem Institut zufolge ist mit dem Zwischenstand bislang nominal das höchste Spendenaufkommen gesammelt worden, das seit Ende des Zweiten Weltkrieges für eine einzelne Katastrophe gemessen worden sei.

Bauern wollen mehr Getreide in Deutschland anbauen

Der Bauernverband dringt wegen knapperer weltweiter Getreidemengen infolge des Krieges in der Ukraine auf eine Produktionsausweitung auch in Deutschland. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte auf dem Bauerntag in Lübeck, Russland setze Lebensmittel als Waffe ein. «Dieses Schwert muss stumpfer werden, und wir können es stumpfer machen.» So könnten mit einer vorübergehenden Nutzung zusätzlicher Flächen 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden. Er erwarte von der Politik, dass sie dieses Instrument nutze.

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