Überfüllte Lager, kaum Kliniken

Coronavirus bedroht Flüchtlinge

Foto: epa/Erdem Sahin
Foto: epa/Erdem Sahin

IDLIB/ISTANBUL/NAIROBI: Flüchtlinge zählen ohnhehin zu den Schwächsten der Schwachen. Sollte sich in den verschiedenen Krisenherden das Coronavirus in Migrantenlagern ausbreiten, wären Unzählige der Lungenkrankheit hilflos ausgsetzt.

Schon zu normalen Zeiten ist die Not unter Flüchtlingen und Vertriebenen groß. Wie etwa im Nordwesten Syriens: Dort sind seit Anfang Dezember fast eine Million Menschen vor den Truppen der Regierung geflohen, vor allem Frauen und Kinder. Lebensmittel, Unterkünfte, Heizmaterial, Medikamente - es fehlt an allem. Und jetzt droht auch noch das Coronavirus. Sollte es sich ausbreiten, droht Unheil unbekannten Maßes. «Dann muss man, so brutal sich das anhört, fast schon mit einem Massensterben rechnen», warnt Dirk Hegmanns, Regionaldirektor der Welthungerhilfe.

Aber auch anderenorts könnte die Lungenkrankheit Covid-19 Migranten schwer treffen. Doch es gibt auch Hoffnung. Eine Übersicht:

SYRIEN: Noch ist in dem Bürgerkriegsland kein Fall bekannt. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Menschen infiziert sind - auch in den Gebieten unter Kontrolle von Rebellen wie um die Stadt Idlib. Viele Vertriebene leben in völlig überfüllten Lagern, «dicht gedrängt unter unmenschlichen Bedingungen», wie die Hilfsorganisation Save the Children beklagt. Es ist praktisch unmöglich, Kontakt zu meiden. Die Hilfsorganisation Weißhelme verteilt nun Broschüren über Vorbeugemaßnahmen. Viel mehr bleibt ihr nicht übrig.

Schon jetzt ist das Gesundheitssystem in der Region völlig überlastet. Durch Luftangriffe der syrischen Armee und des Verbündeten Russland sind viele Krankenhäuser zerstört. Verbreitet sich das Virus, drohen auch die verbliebenen Einrichtungen zusammenzubrechen. Im ganzen Nordwesten Syriens gebe es gerade einmal 50 Beatmungsgeräte, warnt Hegmanns.

TÜRKEI: In Pazarkule, an der Grenze zu Griechenland, haben Migranten Campingzelte im Wald aufgebaut. Wie viele Menschen sich noch dort aufhalten, ist unklar. Aus Kreisen des griechischen Militärs hieß es: deutlich weniger als noch vor einer Woche, geschätzt zwischen 3.000 und 4.000. Der türkische Rote Halbmond informiert über Schutzmaßnahmen. Es gebe Toiletten zum Hände waschen und Ärzte vor Ort, berichtet die Hilfsorganisation.

Aus Sicht der Vorsitzenden des Istanbuler Büros des Menschenrechtsverein IHD, Gülseren Yoleri, reichen die Toiletten aber nicht aus. «Die Bedingungen, um die Menschen ausreichend zu informieren, sind gar nicht gegeben.» Die Migranten hausten völlig verstreut, die Hygiene sei mangelhaft, es gebe kein fließendes Wasser, nur Wasserschläuche. «Frauen befüllen Tüten mit Wasser, um darin ihre Wäsche zu waschen», sagt Yoleri.

Dass Risiko, das sich Menschen anstecken, sei sehr hoch. Aus Behördenkreisen heiße es, man wolle nicht, dass ein dauerhaftes Lager an der Grenze entstehe. Was mit den Migranten geschehe, sei völlig unklar. Vielleicht würden sie auch wieder von der Grenze weggebracht und auf die Provinzen aufgeteilt.

GRIECHENLAND: Aus Angst vor einem Ausbruch der Corona-Pandemie in den völlig überfüllten Registrierlagern für Migranten hat Griechenland eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen erlassen. In allen Lagern auf den griechischen Inseln und dem Festland sind derzeit Besuche verboten. Doch humanitäre Organisationen warnen vor einem Ausbruch der neuartigen Lungenkrankheit in den heillos überfüllten Camps.

«Es ist nur eine Frage der Zeit», sagt Dimitris Patestos, Chef der Niederlassung der Organisation Ärzte der Welt auf der Insel Lesbos, der Deutschen Presse-Agentur. Auf Lesbos harren im und um das Lager von Moria derzeit mehr als 19.000 Menschen aus. Eigentlich liegt die Aufnahmekapazität bei knapp 3.000. Auch das dortige Krankenhaus hat zu kämpfen. Es wurde für nicht mehr als 30.000 Einwohner gebaut. Jetzt müssen die Ärzte zusätzlich 20.000 Flüchtlinge versorgen.

LIBYEN: Das nordafrikanische Bürgerkriegsland ist das wichtigste Transitgebiet für afrikanische Flüchtlinge, die nach Europa wollen. Viele von ihnen sind hier gestrandet. Oft hausen sie unter elendigen Bedingungen in Lagern.

Die UN-Mission in Libyen rief alle Konfliktparteien dazu auf, wegen der Corona-Pandemie die Gefechte einzustellen und auch keine weiteren ausländischen Kämpfer ins Land zu schicken. Die öffentliche Versorgung ist durch den Bürgerkrieg stark beeinträchtigt. Der Präsidentschaftsrat der international anerkannten Regierung von Tripolis rief am Wochenende den Notstand aus. Seit Montag sind alle Grenzen geschlossen. Offiziell gibt es noch keinen Fall von Covid-19. Allerdings werden auch so gut wie keine Tests gemacht.

KENIA: Das ostafrikanische Land hat nach UN-Angaben etwa 485.000 Flüchtlinge aufgenommen - mehr als fast jedes andere Land Afrikas. «Natürlich haben wir Bedenken, die wir an jedem stark bevölkerten Ort mit möglichen Hygiene-Problemen hätten», sagt Dana Hughes, die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerk. In den Camps würden zunehmend Seifen verteilt und Helfer im Bereich Gesundheit stärker unterstützt. In einigen ostafrikanischen Ländern wie Uganda könne man auf Erfahrungen aus der Prävention gegen Ebola zurückgreifen.

Einige Experten sind sogar der Meinung, dass manche Flüchtlingslager in Kenia besser gegen einen möglichen Covid-19-Ausbruch gewappnet sind als der Rest es Landes. Zum Beispiel Dadaaab sagt die Leiterin der Organisation Care in Kenia, Philippa Crosland-Taylor. In dem einst größten Flüchtlingslager der Welt, das vor fast 30 Jahren geöffnet wurde, leben etwa 217.000 Menschen. «Die Infrastruktur für die Verteilung von Hilfsmitteln und Diensten ist dort schon vorhanden», sagt Crosland-Taylor. Zudem gebe es bessere medizinische Einrichtungen als in vielen anderen Teilen des Landes.

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