Typisch Thai II

Neues von Günther Ruffert
Neues von Günther Ruffert

Teil 2
Thais lernen von Kind an, Konflikte zu vermeiden. So hat meine Frau eine Abneigung, sich bei einem Verkäufer im Geschäft oder bei einer Bedienung im Lokal über etwas zu beschweren, was nicht in Ordnung ist. Für mich Farang und als zahlender Kunde wäre das selbstverständlich.

Deutsche sind auch geneigt, sich gegen alle Wechselfälle des Lebens abzusichern. Dieses Sicherheitsdenken ist den Thais fremd. Gewiss kann man auch in Thailand alle möglichen Versicherungen abschliessen. Die Notwendigkeit zur Rund-um-Versicherung gegen alle Unbill, die einem widerfahren kann, können Thais aber nicht einsehen. Warum soll man Geld zum Fenster hinauswerfen, damit man finanziell abgesichert ist, wenn mal etwas Böses eintritt? Allein die Tatsache, dass man Geld ausgeben soll für etwas, was wahrscheinlich nie eintreffen wird, ist Thais allgemein nicht verständlich. Warum sein schönes Geld für ein Versicherungspapier ausgeben, wenn man sich heute mit diesem Geld etwas gönnen kann.

Thais haben ein anderes Verhältnis zum Geld als wir Farang. Nicht etwa, dass sie irdische Güter weniger schätzen als wir, eher das Gegenteil ist der Fall. Aber sie haben eine andere Art, mit dem Geld umzugehen. Für sie ist das reine Vorhandensein von Geld gleichbedeutend mit der Möglichkeit, es auch ausgeben zu können. Sparsamkeit ist keine ausgeprägte Eigenschaft der Thais. Im Alter vom Ersparten leben zu wollen, wird bei ihnen auf vollkommenes Unverständnis stossen. Unsere Einstellung, Geld für schlechtere Zeiten oder für unerwartete Schwierigkeiten zurück zu legen, ist ihnen fremd. Die Thais verstehen die westliche Art, Geld zusammenzuhalten oder für das Alter zurückzu–legen, als Geiz. Geld ist dazu da, sich selbst, aber auch anderen Freude zu machen, und zwar möglichst heute. Was für einen Sinn hat es, sich um das zu sorgen, was in 10 oder gar 30 Jahren sein wird, oder etwa dafür zu sparen? Vielleicht ist man dann ja bereits tot und wenn nicht, wird sich schon irgendetwas finden, wovon man leben kann. Ein Bekannter von mir, der oft in Thailand war, und auch seit vielen Jahren mit einer Thai verheiratet ist, hat das mal so ausgedrückt: Thais gehen mit dem Geld um wie der Hund mit der Wurst.

Aussehen vor Nützlichkeit

Solange Geld da ist (oder geborgt werden kann), kaufen Thai oft unbesonnen und spontan, ohne sich über den Preis viel Gedanken zu machen. Man kauft das, was einem gefällt, nicht immer das, was man braucht. Kaufen an sich macht enorm Spass, wenn das Geld alle ist, dann ist eben Schluss, und spätere Reuegefühle über zuviel ausgegebenes Geld lässt man gar nicht erst aufkommen. Beim Kauf von irgendwelchen Dingen, ob ein paar Schuhe oder ein Auto, ist das Aussehen meist ein wichtigeres Kriterium, als die Nützlichkeit oder Qualität.

Wenn man nun kein Geld besitzt, besteht eventuell die Möglichkeit, sich Geld zu leihen bzw. ein Darlehn aufzunehmen. Darlehn heisst auf Thai "ngön tschüe”, wörtlich "geglaubtes Geld” Wer allerdings glaubt, dass er Geld, was er einem Thai geliehen hat pünktlich wieder zurück bekommt, der unterliegt in der Regel einem Irrglauben. Dieser Irrglaube hat mit zur Wirtschaftskrise vor 10 Jahren beigetragen, da westliche Banken ihr Geld den Thai-Banken wegen der hohen zugesagten Zinsen praktisch aufgedrängt haben, die dieses häufig ohne Sicherheiten an Spekulanten mit entsprechenden Beziehungen weitergaben, die gar nicht daran dachten, das Geld jemals wieder zurück zu zahlen.

Toben ist tabu

Gesicht zu haben, hat eine grosse Bedeutung in Thailand. Es ist für den Farang schwer zu beschreiben, was genau dazu gehört. Es ist das Ansehen. das man geniesst, wegen seiner Stellung, seines Vermögens, seiner Kleidung und natürlich auch wegen der Freigiebigkeit, mit der man seine Freunde beglückt. Ein Thai wird sein Tun oder Lassen weniger danach ausrichten, was nach unserem Verständnis vernünftig oder logisch ist, sondern zunächst danach, was ihm "Gesicht” verleiht. Kurz- oder gar längerfristige Folgen seiner Handlungen sind dagegen nicht wichtig, und es ist daher unnötig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das Gesicht bewahren bedeutet für den Thai vor allem Konfrontationen zu umgehen, und sich darum zu bemühen, sich oder andere Leute nicht in Verlegenheit zu bringen.

Da er gewohnt ist, es mit lächelnden und ruhig sprechenden Menschen zu tun zu haben, reagiert ein Thai leicht irritiert, wenn ihm jemand mit ernstem oder verkniffenem Gesicht begegnet. Er fühlt sich bedroht, wenn ihn jemand anschreit. Der Farang, der über eines der vielen Dinge ausrastet, die ein Europäer als Faulheit, Desinteresse oder als unverschämte Abzockerei ansieht, verliert schnell sein Gesicht wenn er anfängt zu schreien. Gesetzeshüter sind beleidigt, wenn man sie kritisiert, und sie beschützen ihre Kollegen, die in zweifelhafte Aktivitäten verwickelt sind. Ein Thai macht keine Fehler. Wenn ein Thai sein Gesicht verliert, dann ist nicht selten das Risiko des frühzeitigen Ablebens für den Verursacher um einige Prozent gestiegen. Bei der grossen Zahl von Morden in Thailand (jährlich 10.000) spielt Rache für einen erlittenen Gesichtsverlust eine bedeutende Rolle.

Da es bedeutsam ist, in jeder Situation sein Gesicht zu wahren, sind die Thais auch empfindlich gegen persönliche Kritik. Sie sind es gewohnt, dass man Kritik jemanden gegenüber nicht direkt äussert. Wenn man einen Thai, womöglich in Gegenwart anderer Leute, kritisiert, dann könnte er sein "Gesicht verlieren”, eine ganz böse Sache für einen Thai. Dann kann es vorkommen, dass er ausrastet und völlig überzogen reagiert. Deutsche wollen grundsätzlich immer Recht haben. Thais hingegen wollen nie zugeben, dass sie etwas falsch gemacht haben, weil sie Angst haben, dann ihr Gesicht zu verlieren. Wenn ein Thai einen Fehler macht oder etwas Falsches tut, und er wird so darauf hingewiesen, dass es von Anderen zur Kenntnis genommen wird, verliert er an Gesicht.

Eine andere Eigenschaft der Thais, die uns Farang manchmal übel aufstösst, ist ihr legerer Umgang mit der Wahrheit. Ein Thai wird einem lieber dreimal ins Gesicht lügen, als einmal eine für ihn oder auch für den anderen unangenehme Wahrheit zu sagen. Ein Grund dafür ist die Scheu der Thais vor jeder direkten Konfrontation, vor allem aber auch wieder die Angst vor Gesichtsverlust. Man vermeidet aus Höflichkeit, etwas direkt abzulehnen oder zu verneinen. Ein Thai, nach dem richtigen Weg gefragt, wird vermutlich eher einen falschen Weg angeben, als zuzugeben, den Weg nicht zu kennen

Kurze Nasen, lange LügenEinen augenblicklich bestehenden Konflikt durch Lügen zu lösen ist die einfachste Möglichkeit, einer unangenehmen Situation auszuweichen. Wer für irgendetwas die Schuld auf sich nimmt oder eingesteht, der verliert damit sein Gesicht. Thais leben nur in der Gegenwart. Sie stören sich nicht daran, dass eines Tages, wenn die Lüge offenbar wird, das Problem noch stärker auftreten wird. Erstens passiert das in der Zukunft und ist daher im Augenblick uninteressant, und zweitens wird einem dann schon etwas Neues einfallen. Wer in solch gesellschaftlichen Mustern aufgewachsen ist, dem wird die reine Wahrheit nur dann über die Lippen kommen, wenn sie keinen Nachteil für ihn zur Folge hat

Nicht zuletzt ist schliesslich der Geisterglaube eine typische Thai-Eigenschaft. Der Glaube an Geister ist über alle Gesellschaftsschichten hinweg weit verbreitet und hat deutlich sichtbaren Einfluss auf die Menschen und ihr Verhalten. Für Thais ist der ganze Kosmos von Engeln, Dämonen, Vampiren, kurz von überirdischen Wesen belebt. Geister, das heisst Wesen, die wir nicht wahrnehmen können, sind in jedem Haus, jedem Baum, jedem Reisfeld, jedem Fluss. Der richtige Umgang mit den Geistern ist für Thais so normal, wie essen und schlafen. Der Farang - auch wenn er nicht an diesen Spuk glaubt - sollte sich hüten, darüber zu spotten oder das ganze Brimborium solch einer Geisterzeremonie als Unsinn zu bezeichnen. Die Geister könnten Spott oder Herabsetzung übel aufnehmen und sich am Farang und auch an den Menschen, mit denen er zusammenlebt, rächen.

Man sollte sich davor hüten, all das, was uns hier seltsam erscheint, durch die Farang-Brille zu sehen. Vor allem der Farang, der längere Zeit unter ihnen leben und gut auskommen will, muss die grundlegend verschiedene Einstellung der Thais zu den alltäglichen Dingen des Lebens akzeptieren. Er sollte sich vor allem hüten, seine vermeintliche Überlegenheit zu zeigen oder gar arrogant und besserwisserisch zu wirken.

Diese unvollständige Aufzählung von Thai-Eigenschaften soll nicht darüber urteilen, ob etwas negativ oder positiv ist. Sie bezieht sich vor allem auf das Milieu, in dem ich lebe, also auf das ländliche Thailand. In Bangkok mögen einige Dinge anders gewichtet sein, aber auch dort sind ja die meisten Menschen, mit denen der Farang zu tun hat, vom Land eingewandert. Sie haben ihre anerzogenen Vorstellungen mitgebracht. Jeder Farang, der in Thailand zurechtkommen will, tut gut daran, diese angeborenen oder anerzogenen Eigenschaften in Rechnung zu stellen und Thais so zu nehmen, wie sie sind, und nicht wie er sie haben möchte. Das gilt insbesondere für den Farang, der in Thailand oder auch in Europa mit einer Thai-Frau zusammen leben will.

Günther Ruffert
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Autor der Bücher:

Geschichten aus Thailand: Erschienen im Heller Verlag Taufkirchen (D)

Farang in Thailand: Erschienen im Heller Verlag Taufkirchen (D)

Ein Fenster zum Isaan: Erschienen in FARANG-Edition, Chonburi (TH)

Ich lebe seit über 20 Jahren in Thailand, davon fast 15 Jahre in einem typischen kleinen Isaan-Dorf. Natürlich hängt der Standpunkt, den man bei der Beschreibung von Land und Leuten einnimmt, von den persönlichen Verhältnissen ab. Ich erhebe deshalb keineswegs den Anspruch, eine objektive Beschreibung der Sitten und Gebräuche in diesem Land zu Papier zu bringen.

In den Jahren hat sich vieles verändert, auch meine Meinung zu dem, was um mich herum passiert. Ich finde aber, dass gerade in den Dörfern im Isaan die meisten Veränderungen nur oberflächlich sind. Wenn man ein bisschen daran kratzt, kommt schnell das alte Thailand zum Vorschein.

Für den Farang ist es schwierig, das Denken und Handeln der Thai zu verstehen, genauso wie es für den Thai schwierig ist, das Denken und Handeln der Farang zu verstehen. Vor allem bei den Farang, die das Land noch nicht gut kennen, können meine Geschichten vielleicht zum besseren Verständnis all dessen beitragen, was ihnen in Thailand zunächst unverständlich erscheint. Und sie können helfen, Stolpersteine zu vermeiden.

Günther Ruffert

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