TV-Doku über raffinierten Kaufhaus-Erpresser

13. Juni: «Jagd auf Dagobert»

Szene mit Zeichnungen die den Kaufhaus-Erpresser «Dagobert» aus der Dokumentation
Szene mit Zeichnungen die den Kaufhaus-Erpresser «Dagobert» aus der Dokumentation "Jagd auf Dagobert - Vom Verbrecher z. Foto: Christoph Assmann

BERLIN: Bahngleise in der Dämmerung, dazu die Technoversion vom Soundtrack «Das Boot», aus dem Off spricht eine Stimme. «In Kriminalfilmen ist ja alles immer sehr einfach. Da sind die Verbrecher grundsätzlich ganz böse, skrupellos und gefühllos - und haben keine Angst. Die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders aus.» Es ist die Stimme von Kaufhaus-Epresser «Dagobert» alias Arno Funke. Vor 30 Jahren hat der Berliner den damaligen Kaufhaus-Konzern Karstadt erpresst. Zwei Jahre narrte er mit seinen ausgeklügelten Tricks die Polizei - und wurde zum Medienstar. Jetzt widmet sich eine neue TV-Dokumentation der spektakulären Kriminalgeschichte. Sie läuft am Montag um 20.15 Uhr im Ersten.

Unter dem Titel «Jagd auf Dagobert - Vom Verbrecher zum Volkshelden» zeichnet der Film von Tim Evers die Verbrecherjagd mit gescheiterten Geldübergaben nach, für die die Polizei Häme erntete und der Erpresser zunehmend zum «Volkshelden» wurde. So gaben etwa 1993 bei einer ARD-Umfrage 61 Prozent der Befragten an, den gewitzten Bastler sympathisch zu finden. «Dagobert» nannten Polizei und Medien den heute 72-Jährigen, weil er mit «Onkel Dagobert grüßt seine Neffen» in Zeitungsannoncen das Signal zur Geldübergabe geben wollte.

Entstanden ist dabei auch eine Reise in die Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands - mit einem stimmungsvollen Soundtrack der früher 1990er Jahre. «Ich wollte die Geschichte in die Zeitgeschichte einbetten, die Stimmung von damals darstellen - da ist die Musik ein wichtiges Mittel», sagte Evers der Deutschen Presse-Agentur. Funke habe sich die Unsicherheit nach der Wiedervereinigung mit einer gewissen Wildwest-Mentalität zunutze gemacht, etwa in dem er aus Telefonzellen in Ost-Berlin bei der Polizei angerufen habe, so Evers.

In der ARD Mediathek ist die Dokumentation bereits als dreiteilige Serie zu sehen. Am 13. Juni folgt dann die 45-minütige Dokumentation im Ersten - genau 30 Jahre, nachdem in Hamburg nachts in einem Kaufhaus die erste Bombe des Erpressers explodiert ist. Weitere folgten unter anderen in Bremen und Hannover.

Ermittler aus Hamburg und Berlin berichten in der Dokumentation von schlaflosen Nächten und wachsender Nervosität, als mitten im Weihnachtsgeschäft am 6. Dezember 1993 in Berlin eine Rohrbombe explodiert. Ausschnitte damaliger Nachrichten-Sendungen zeigen, wie die Polizei zunehmend unter Druck geriet und verhöhnt wurde. Aussagen eines damaligen Angestellten des Kaufhaus-Konzerns verdeutlichen dagegen die Angst der Beschäftigten. So erinnerte etwa damals in den Kaufhäusern eine verschlüsselte Durchsage die Angestellten jeden Abend kurz vor Ladenschluss daran, nach zurückgelassenen Taschen und Koffern zu sehen. «Dieser psychische Druck der Beschäftigten wurde damals weggedrückt», so Filmemacher Evers.

Funke selbst sagt dazu heute: «Natürlich - das tut mir leid. Das ist leider nicht mehr zu ändern. Aber das war nicht so geplant.» Der 72-Jährige selbst ist in der Dokumentation nicht zu sehen, nur seine Stimme ist zu hören. Somit wird er wieder zum Phantom. «Dadurch verschiebt sich der Fokus auf die Tat, was einen gewissen Effekt hat», beschrieb Evers. Ganz freiwillig war das aber nicht: Funke steht als Berater für eine Fiction-Serie für den Streamingdienst TVNow über die Erpressungen unter Vertrag. «Wir haben jedoch viel telefoniert», schilderte Evers.

Nach seiner Verhaftung am 22. April 1994 war Funke 1996 endgültig wegen Erpressung des Berliner KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und mehrerer Sprengstoff-Anschläge auf Karstadt-Filialen zu neun Jahren Haft und Schadenersatz verurteilt worden. Das Gericht bescheinigte dem gelernten Schilder- und Lichtreklamehersteller eine hirnorganisch bedingte Depression und verminderte Schuldfähigkeit. Im Sommer 2000 kam er vorzeitig frei.

Der eloquente Ur-Berliner geht offen mit seiner Vergangenheit um - und nutzt die dadurch entstandene Prominenz auch. Noch in der Haft kam die Anfrage des «Eulenspiegel», ob er für das Satiremagazin zeichnen wolle. Er hat eine Autobiografie veröffentlicht, gehörte 2013 zu den Kandidaten im RTL-«Dschungelcamp», stand in Berlin in der Show «Erbrechen lohnt sich nicht» auf der Bühne.

«Mein Leben hat durch die Taten eine völlig andere Richtung bekommen. Ich habe viele interessante Menschen kennengelernt», sagte Funke der Deutschen Presse-Agentur. «Gegenüber anderen Straftätern hatte ich den Vorteil, dass ich einen sozialen Hintergrund hatte, der mir weitergeholfen hat - und ich nicht völlig auf den Kopf gefallen bin», sagte der 72-Jährige. Seine Erfahrungen zum Thema Resozialisierung habe er beispielsweise als Referent an der juristischen Fakultät in Münster weitergegeben.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 13.06.22 13:20
Wenn Arno Funke, alias Dagobert jetzt noch behauptet, Verbrechen zahlt sich aus, hat er nicht ganz Unrecht, wenn man sich sein Leben nach der Gefängnisentlassung ansieht.