Türkei schiebt deutsche mutmaßliche IS-Mitglieder ab

Dutzende Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind in einer kleinen Behelfs-Zelle in einem Gefängnis nahe Mossul (Irak) eingesperrt. Foto: Andrea DiCenzo/dpa
Dutzende Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind in einer kleinen Behelfs-Zelle in einem Gefängnis nahe Mossul (Irak) eingesperrt. Foto: Andrea DiCenzo/dpa

ISTANBUL/ BERLIN (dpa) - Etwa jeder dritte der Islamisten, die aus Deutschland ins IS-Gebiet ausgereist waren, ist tot. Von denen, die den Niedergang des Pseudo-Kalifats überlebt haben, kommen jetzt einige zurück. Abgeschoben aus der Türkei.

Die Türkei schiebt in dieser Woche mindestens sieben mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit zwei Kindern nach Deutschland ab. Es ist das erste Mal, dass militante Islamisten auf diesem Weg nach Deutschland zurückkehren. Bisher hatte die Bundesregierung nur bei der Rückholung einiger weniger IS-Kinder assistiert. Dutzende Anhänger der Terrormiliz kamen in den vergangenen Jahren auf eigene Faust zurück - viele von ihnen landeten später vor Gericht.

Dass einige der in Syrien inhaftierten deutschen IS-Anhänger eines Tages zurückkehren würden, wusste die Bundesregierung. Die Abschiebungen aus der Türkei kommen für die hiesigen Sicherheitsbehörden dennoch etwas plötzlich. Außenminister Heiko Maas forderte die Türkei auf, zügig weitere Informationen zur geplanten Abschiebung mutmaßlicher IS-Anhänger nach Deutschland zu liefern.

Wenn betroffene Personen einen «Bezug zu IS-Kampfhandlungen» hätten, wolle man dafür sorgen, dass sie sich in Deutschland vor der deutschen Gerichtsbarkeit verantworten müssen, sagte der SPD-Politiker am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Es brauche aber «ausreichend gerichtsfeste Beweise», um jemanden in Haft zu nehmen oder vor Gericht zu stellen.

Zum aktuellen Stand sagte der Außenminister: «Wir befinden uns zurzeit im Dialog mit den türkischen Behörden.» Man wisse, dass in dieser Woche zehn Menschen nach Deutschland überführt werden sollten. Es handele sich dabei im Wesentlichen um Frauen und Kinder.

Nach dpa-Informationen soll am Donnerstag eine siebenköpfige Familie zurückgebracht werden, die dem salafistischen Milieu in Hildesheim zugerechnet wird. Sie war demnach im Januar in die Türkei eingereist, über einen Aufenthalt in Syrien ist nichts bekannt. Zuerst hatte der «Spiegel» über die Familie berichtet. Am Freitag sollen dann zwei Frauen kommen, die zuvor in einem Lager in Syrien gefangengehalten worden waren.

Wie dpa erfuhr, sollen mindestens zwei der Frauen aus dem Lager Ain Issa in Syrien ausgebrochen sein. Eine von ihnen ist dem Vernehmen nach eine Konvertitin aus Hamburg. Der Mann, mit dem sie einst ins IS-Gebiet ausgereist war, soll schon vor Jahren getötet worden sein.

Ein Mann, der bereits am Montag abgeschoben werden sollte, war in der Türkei zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Bei ihm gibt es keine Hinweise zu einer Zugehörigkeit zum islamistischen Spektrum.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte die volle Wachsamkeit der deutschen Behörden und sorgfältige Einzelfallprüfungen zu. «Wir werden alles tun, um zu verhindern, dass Rückkehrer mit Verbindungen zum IS zu einer Gefahr in Deutschland werden», erklärte der CSU-Politiker am Montagabend.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte der Deutschen Presse-Agentur, vor der Abschiebung nach Deutschland müsse nicht nur in jedem Fall die Staatsangehörigkeit geklärt werden, sondern auch, «wohin zum Beispiel Doppelstaatler gehen». Außerdem bräuchten die deutschen Behörden Zeit, um mögliche Ermittlungen und Strafverfahren vorzubereiten. Diesen diplomatischen Ablauf sollte der Bundesaußenminister mit seinen guten Kontakten in die Türkei gewährleisten können, sagte Schuster.

Mehrere europäische Staaten haben es bisher abgelehnt, IS-Anhänger zurückzuholen, die von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) in Nordsyrien gefangen genommen worden waren. Die Grünen und die FDP forderten, dass Deutschland mutmaßliche IS-Mitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit zurücknimmt und sie vor Gericht stellt. Man könne nicht von anderen Ländern fordern, Straftäter zurückzunehmen, aber im Fall von Menschen, die ein «Hochsicherheitsrisiko für die gesamte Weltgemeinschaft» seien, nichts mit diesen zu tun haben wollen, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

Laut dem Sprecher des türkischen Innenministeriums, Ismail Catakli, sind neben den Deutschen 15 weitere ausländische IS-Mitglieder betroffen. Ein Amerikaner wurde demnach bereits abgeschoben, ein 28-jähriger Däne am Montag noch am Flughafen in Kopenhagen festgenommen. Er war in der Türkei zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich dem IS angeschlossen hatte. Die Rückführung elf französischer IS-«Kämpfer» und zweier Iren ist laut Catakli geplant. Sie seien ebenfalls in Syrien gefasst worden.

Die Türkei hatte am 9. Oktober eine Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien begonnen, die sie als Terrororganisation betrachtet. Dabei wurden nach offiziellen Angaben 287 IS-Anhänger festgenommen, darunter Frauen und Kinder. Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sitzen derzeit mehr als 1000 Anhänger des IS in türkischen Gefängnissen, darunter 737 ausländische Staatsbürger.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, es befänden sich - außer den Menschen, deren Abschiebung für diese Woche avisiert wurde - «weniger als 20 Personen» in türkischer Abschiebehaft, bei denen noch geprüft werden müsse, ob sie tatsächlich Deutsche seien.

Auch Frauen, die nicht selbst für die Terrormiliz gekämpft haben, müssen in Deutschland mit Strafverfolgung rechnen. Sie könnten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung belangt werden - etwa wenn sie versucht haben, Menschen aus der Heimat zur Ausreise in von der Terrormiliz kontrolliertes Gebiet zu bewegen.

Die von der YPG geführten SDF hatten vor Beginn des türkischen Einmarschs die Kontrolle über Tausende IS-Gefangene. Schätzungsweise 10 000 IS-Kämpfer waren in mehreren SDF-Gefangenenlagern im Nordosten Syriens untergebracht, davon etwa 2000 ausländische Kämpfer sowie etwa 8000 syrische und irakische Staatsbürger. Die Kurdenmilizen hatten außerdem die Kontrolle über mehrere Lager, in denen rund 70 000 Frauen und Kinder untergebracht waren. Tausende von ihnen sollen Angehörige von IS-Mitgliedern sein. Die SDF haben sich nach russischen Angaben inzwischen zurückgezogen. Die Türkei und Russland einigten sich, den Grenzstreifen gemeinsam zu kontrollieren.

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Jürgen Kesselheim 12.11.19 13:48
#A Kossorotow
Wenn die "mutmaßlischen" Anhänger der IS die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, dann steht ihnen das Recht und die Pflicht zu, in Deutschland vor Gericht gestellt zu werden! Sollte ihnen (Herr Kossorotow) in Thailand Unrecht geschehen, dann berufen sie sich auch auf ihre deutsche Staatsbürgerschaft und bitten die Botschaft um Beihilfe! Und in Thailand lebt es sich gefährlicher als in Deutschland. Den Wohnsitz wertvoller macht wohl eher das Wetter und die Tatsache, daß unser Geld in Thailand mehr Kaufkraft hat.