Viele Menschen sehnen sich dieses Jahr ganz besonders nach dem April. Nicht nur, weil er nach einem strengen Winter Frühling verspricht, sondern vor allem, weil sie auf eine Beendigung der allgegenwärtigen Brexit-Diskussion hoffen.
Während US-Amerikaner und Chinesen emsig dabei sind, ihre Konzerne zu stärken und sich möglichst vorteilhaft für die Zukunft in Position zu bringen, bietet Europa ein tragikomisches Schauspiel, das für den aufgeklärten internationalen Beobachter kaum zu glauben ist. Das neue Motto scheint die Konzentration auf Unwesentliches zu sein. Auch größere Verluste werden gern in Kauf genommen, solange man das Gefühl hat, im Recht zu sein oder das Richtige zu tun.
Bedauerlicherweise bekleÂckern sich Politiker auf beiden Seiten des Kanals nicht mit Ruhm. Der britische Handelsminister Liam Fox hatte vollmundig angekündigt, bis Ende März dieses Jahres 40 Handelsabkommen abschließen zu wollen. Er träumte wohl von Zeiten, in denen mehr als 400 Millionen Menschen im Empire lebten und der britische Einfluss enorm war. Tatsächlich müssten die Ergebnisse der Verhandlungen für die Akteure ernüchternd sein. Bisher konnten nur Abkommen mit kleineren Staaten geschlossen werden wie den Färöern Inseln, Chile oder der Schweiz. Bedeutende IndustrieÂnationen wie Japan zeigten den Briten die kalte Schulter und boten pragmatisch an, dass Großbritannien ja zu denselben Bedingungen weiter Handel mit Japan betreiben könnte wie vorher die EU. Dieser Ansatz ist erfrischend klar und logisch, allerdings ein starkes erstes Indiz, dass die Welt nicht darauf wartet, bilaterale Handelsabkommen mit Großbritannien zum Vorteil der Briten abzuschließen.
Was will Europa im 21. Jahrhundert erreichen?
Auf der anderen Seite des Kanals hat man in diesen Tagen nichts Besseres zu tun als sich Gedanken über die jetzt freiwerdenden Sitze der Briten im EU Parlament zu machen. Der normale Mensch würde wahrscheinlich davon ausgehen, dass diese Sitze nach dem Austritt Großbritanniens nicht besetzt werden. Tatsächlich sollen jedoch 27 der 73 Sitze der Abgeordneten der Insel laut Verfassungsausschuss nun von allen Europäern wählbar sein. Warum diese Änderung des Wahlrechts nun mit einem Teil der britischen Sitze ausprobiert werden soll, ist unklar. Klar ist jedoch, dass es keine zusätzlichen Sitze für Deutschland geben würde, wohl aber mehr Sitze für Frankreich und Spanien. Insgesamt materiell kein gravierender Unterschied, wohl aber Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ein zentralistisches Europa nach den Regeln Frankreichs fürchten und dies auf alle Fälle verhindern möchten. Beim Bürger entsteht durch derartige Manöver nicht der Eindruck, dass die EU beherzt versucht, Konzepte zu entwickeln, um bekannte strukturelle Schwächen endlich zu überwinden und die Union zukunftsfähig zu machen.
Selbst wenn man einigermaßen optimistisch in die Zukunft schaut und annimmt, dass der gesunde Menschenverstand auch bei der Umsetzung des Brexits letztendlich obsiegt und sich beide Seiten im Ergebnis nicht tiefer ins eigene Fleisch schneiden werden als in der aktuell verfahrenen Situation nötig, so fehlt sowohl bei den Briten als auch bei der EU ein Plan, was man eigentlich in Zukunft machen möchte. Die USA und China hingegen wissen relativ genau, was sie strategisch im 21. Jahrhundert erreichen möchten, China kommuniziert dies sogar offen und nennt dabei Meilensteine bis 2050, die durchaus realisÂtisch sind. Der Aufbau einer neuen Seidenstraße sei nur als ein für Europa relevantes Beispiel genannt.
Auf europäischer Seite tut sich außer den üblichen Lippenbekenntnissen nicht viel. Die deutsche Kanzlerin verkündet wie vom Tonband, Deutschland müsse eine führende Rolle beim Thema künstliche Intelligenz spielen. Gleichzeitig schwänzen Schüler neuerdings massenweise freitags die Schule, um für das Klima zu protestieren. Aus dem Volk der Dichter und Denker wird derzeit ein Volk von Rechthabern und MoralisÂten. Wie sie sich in Zukunft im Vergleich zum angelsächsischen oder chinesischen Nachwuchs darstellen werden, wird man sehen. Bis es soweit ist sagen wir erst einmal: Tschüss Großbritannien!
Über den Autor
Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.
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