Verfassungsrichter kippen Teile des Wahlrechts

Foto: Pixabay
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PRAG: In nur acht Monaten soll in Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus bestimmt werden. Doch nun sind Teile des Wahlrechts für verfassungswidrig erklärt worden. Regierungschef Andrej Babis reagiert verärgert. Steht das Land vor einer Krise?

Das Verfassungsgericht in Tschechien hat wenige Monate vor der Parlamentswahl für ein politisches Erdbeben gesorgt: Es kippte am Mittwoch entscheidende Teile des Wahlrechts, die kleinere Parteien benachteiligt hatten. Der Regierung bleiben bis zur Abstimmung am 8. und 9. Oktober nur noch acht Monate Zeit, um Nachbesserungen durch beide Kammern in Prag zu bringen. Schlimmstenfalls droht eine Verschiebung der Wahl. Geklagt hatten 21 Parlamentarier verschiedener Fraktionen.

Die Verfassungsrichter bemängelten, dass das Gesamtwahlgebiet in unterschiedlich große Untergebiete eingeteilt sei. In Verbindung mit dem angewandten Verfahren zur Sitzverteilung nach D'Hondt führe das zu Verzerrungen. Bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus hatte die kleine Bürgermeisterpartei STAN mehr als doppelt so viele Stimmen für ein Mandat benötigt wie die populistische Bewegung ANO des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis.

Der Regierungschef reagierte auf das Urteil mit scharfen Vorwürfen. «Das Verfassungsgericht hat definitiv alle Hemmungen verloren», sagte der 66-Jährige. Es versuche, die politische Situation im Land zu verändern. Dem Präsidenten des Gerichts, Pavel Rychetsky, warf Babis vor, kein unabhängiger Richter zu sein. In einer Zeit, in der das Land unter der Corona-Pandemie leide, werde das Vertrauen der Bürger in das politische System untergraben, so der Unternehmer und Multimilliardär.

Präsident Milos Zeman warnte vor einer unlösbaren Verfassungskrise. Das tschechische Grundgesetz schreibt das Verhältniswahlrecht vor. An der Fünf-Prozent-Hürde hielten die Richter mit Sitz in Brünn (Brno) fest. Für ungültig erklärten sie indes eine Regelung, nach der bisher eine gemeinsame Wahlplattform zweier Parteien mindestens zehn Prozent der Stimmen erreichen musste.

«Alle Wählerstimmen müssen das gleiche Gewicht haben», forderte Ivan Bartos von der tschechischen Piratenpartei. Die konservative Oppositionspolitikerin Marketa Pekarova-Adamova erklärte, man begrüße die Entscheidung für gerechtere Startbedingungen. Das Urteil hätte aber ihrer Ansicht nach früher kommen können.

Nach einer aktuellen Umfrage der Agentur Median verlieren die Regierungsparteien derzeit an Zustimmung. Die ANO käme demnach auf 26,5 Prozent der Stimmen, ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner CSSD nur auf 7 Prozent. Zweitstärkste Gruppierung wären die Piraten und ihre Verbündeten mit 25 Prozent, gefolgt von der konservativen Wahlplattform Spolu (Gemeinsam) mit 18,5 Prozent.

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