Vom Gerichtssaal in die Prager Burg?

​Tschechien vor Präsidentenwahl 

Der frühere tschechische Ministerpräsident Andrej Babis wartet auf seinen Prozess vor dem Prager Stadtgericht in Prag. Foto: epa/Martin Divisek
Der frühere tschechische Ministerpräsident Andrej Babis wartet auf seinen Prozess vor dem Prager Stadtgericht in Prag. Foto: epa/Martin Divisek

PRAG: Umfragen sagen ein enges Rennen um das Präsidentenamt in Tschechien voraus. Gleichzeitig muss sich einer der Favoriten, Ex-Regierungschef Babis, in Prag vor Gericht verantworten. Wer noch hat Chancen - und was bedeutet das Ergebnis für Europa?

Es kommt nicht oft vor, dass ein Präsidentschaftskandidat auf der Anklagebank sitzt. Doch in Tschechien muss sich Ex-Regierungschef Andrej Babis wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Subventionsbetrug verantworten. Seinen Ambitionen auf das höchste Staatsamt tut das aber keinen Abbruch. Der populistische Politiker, Milliardär und frühere Kommunist wittert darin gar ein Komplott eines «Machtkartells» gegen sich.

Fast alle Umfragen sagen voraus, dass Babis in die Stichwahl um das höchste Staatsamt in dem EU- und Nato-Mitgliedstaat kommen wird. Als Präsident auf der Prager Burg würde er Immunität genießen und wäre vor Strafverfolgung geschützt. Rund 8,3 Millionen Bürger sind aufgerufen, am 13. oder 14. Januar ihre Stimme abzugeben. Erreicht wie erwartet keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, folgt die zweite Runde am 27. und 28. Januar.

In dem Prozess in Prag geht es um einen Fall, der Babis seit Jahren verfolgt. Im Mittelpunkt steht das Wellness-Resort «Storchennest», das umgerechnet rund zwei Millionen Euro an EU-Fördergeldern für kleine und mittlere Unternehmen beantragte. Doch nach Ansicht der Anklage gehörte es faktisch der riesigen Babis-Firmenholding Agrofert - und hätte die Gelder nie bekommen dürfen. «Ich habe nie etwas Strafbares getan, ich bin unschuldig», sagt Babis. Die Anklage fordert für den 68-Jährigen drei Jahre Haft auf Bewährung.

Neben Babis treten acht weitere Bewerber bei der Präsidentschaftswahl an. Gute Chancen sagen Umfragen auch der Wirtschaftsprofessorin Danuse Nerudova voraus, die als einzige Frau in den Ring steigt. An einem verschneiten Winterabend kommen viele junge Menschen in die Kulturhalle der Stadt Beroun, 30 Kilometer südwestlich von Prag, um die 44-Jährige zu sehen.

Es sei ihr nicht egal, wie die Gesellschaft in ihrem Land aussehe, sagt Nerudova, die von 2018 bis 2022 die Universität in Brünn (Brno) leitete. «Ich biete Empathie an und die Fähigkeit, der anderen Seite die Hand zu reichen.» Eines schließt sie indes aus: Als Präsidentin würde sie Babis «niemals begnadigen».

Manche sehen Parallelen zur slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova, die 2019 gewählt und jüngst für ihren Einsatz für die liberale Demokratie mit dem Friedenspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung ausgezeichnet wurde. Doch der Politologe Jiri Pehe dämpft die Erwartungen: «Caputova hatte ein klares Profil als zivilgesellschaftliche Aktivistin und Rechtsanwältin, wohingegen Nerudova keine so starke Lebensgeschichte vorweisen kann.»

Nerudova geht auf der Videoplattform TikTok mit Szenen aus ihrem Alltag auf Stimmenfang bei den Jungen. Babis reist seit Monaten mit einem Wohnmobil durchs Land, gibt sich nach außen bescheiden. Ein anderer aussichtsreicher Kandidat, Ex-General Petr Pavel, zeigt sich als leidenschaftlicher Jogger und Motorradfahrer.

Im Gegensatz zu Babis spricht sich der 61-jährige Ex-Soldat für weitere Waffenlieferungen an Kiew aus. Sollte Russland in der Ukraine nicht verlieren, wäre das ein Risiko für die Zukunft, betont der frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses. Doch Pavel kämpft mit teils abstrusen Vorwürfen, er sei vor der Wende von 1989 zum kommunistischen Spion ausgebildet worden.

Während Pavel und Nerudova als eher proeuropäisch gelten, ging Babis schon als Regierungschef auf Konfrontationskurs mit Brüssel. Er kämpfte für «nationale Interessen» und lehnte den Euro ab. Im Wahlkampf traf er sich nun mit Ungarns Viktor Orban an einem Grenzzaun zu Serbien, um vor den Gefahren illegaler Migration zu warnen. Dennoch beschwichtigt der Politologe Lukas Jelinek: «Europa muss vor Babis keine Angst haben - bei der Außenpolitik ist die Regierung am Drücker.»

Tatsächlich hat der tschechische Präsident laut Verfassung überwiegend repräsentative Aufgaben. Doch er gilt als wichtiger Meinungsmacher mit Einfluss auf die öffentliche Debatte. Er ist oberster Befehlshaber der Streitkräfte und ernennt die Verfassungsrichter. Der Präsident kann Gesetze an das Parlament zurückverweisen. Die Abgeordneten können sein Veto aber überstimmen.

Wie auch immer die Wahl ausgehen mag: Den Preis für die schwierigsten Fragen bekommt eine Schulklasse, die im TV-Sender Prima die Kandidaten befragen durfte. Von den Planeten des Sonnensystems konnte Andrej Babis nur zwei nennen. Auch das bekannteste Werk des Nationalschriftstellers Jaroslav Hasek - «Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk» - sagte ihm nichts.

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