Russisches Roulette mit der Weltwirtschaft

Foto: epa/Jim Lo Scalzo
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WASHINGTON/PEKING/BRÜSSEL (dpa) - US-Präsident Trump ist stolz auf seine Handelskriege. Bei seinen Anhängern kommt das ein Jahr vor der Wahl an. Die Weltwirtschaft aber leidet darunter. Eine Einigung mit China ist nicht in Sicht, und auch Europa droht neues Ungemach.

Jeder neue Tweet von US-Präsident Donald Trump zu den von ihm angezettelten Handelskriegen kann ein Börsenbeben auslösen. Die Konflikte bremsen das Wachstum der Weltwirtschaft, verändern Handelsströme und stören Lieferketten. Es geht um Hunderte Milliarden Euro. Bei Unternehmen und Regierungen geht daher weiter die Angst um. Die größten Volkswirtschaften - vor allem China, aber auch Europa - fürchten Trumps Unberechenbarkeit: Kommen neue Strafzölle, werden bestehende Importgebühren noch weiter erhöht oder verschont uns der US-Präsident dieses Mal?

«Handelskriege sind leicht zu gewinnen», strotzte Trump zu Beginn des Konflikts mit China vor rund eineinhalb Jahren voller Zuversicht. Doch das zähe Ringen im Jahr 2019 - inklusive wütender Tweets und einer Spirale immer höherer Zölle - dürfte ihn eines Besseren belehrt haben: Trotz der Übermacht der US-Wirtschaft beugen sich längst nicht alle Staaten seinen Forderungen. China hat sich einem von Trump gewünschten umfassenden Handelsabkommen bislang - trotz hoher wirtschaftlicher Kosten - verweigert. Inzwischen will sich Trump daher, entgegen monatelanger anderslautender Beteuerungen, mit einem Teilabkommen zufrieden geben, ein Abkommen der «ersten Phase».

Dieser von vielen Experten als Einknicken Trumps beschriebene Schritt lag wohl auch daran, dass die Kosten des Handelskriegs zuletzt immer deutlicher zu spüren waren. US-Verbraucher müssen inzwischen mehr für importierte Waren bezahlen, Unternehmen fahren wegen der vom Handelskonflikt ausgelösten Unsicherheit ihre Investitionen zurück, das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich. Das ist rund ein Jahr vor der Präsidentenwahl im November 2020, bei der Trump sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, beileibe keine gute Ausgangslage. Der Aktienmarkt schnurrt noch, angefeuert auch von den Zinssenkungen der US-Notenbank, aber es mehren sich die wirtschaftlichen Warnzeichen.

Als Präsident kann Trump in Handelsfragen weitgehend ungestört schalten und walten, er braucht keine Zustimmung des Kongresses. Genau so liebt er es: Er kann in Sekundenschnelle über Twitter Weltpolitik machen. Bei seinen Tweets zu Handelsthemen ist es ein bisschen wie beim russischen Roulette - vorher weiß man nie, ob mit scharfer Munition geschossen wird.

Der weitere Verlauf der Handelskonflikte dürfte auch ein bestimmendes Wahlkampfthema werden. Höhere Preise für US-Verbraucher machen sich nicht so gut, aber an der republikanischen Parteibasis kommt Trumps harter Kurs an. Politisch könnte es nach Meinung vieler Experten daher für Trump gut sein, die Konflikte weiter köcheln zu lassen.

Die Verhandlungen mit China laufen unterdessen weiter. Wird es bald ein Abkommen geben? Um das definitiv zu beantworten, bräuchte man eine Kristallkugel. China spricht von «konstruktiven» Gesprächen. Hinter vorgehaltener Hand fallen in Peking aber häufiger Worte wie «unberechenbar» oder «schikanös». In den USA verbreitet Trump mal neue Drohungen, mal Optimismus für eine baldige Einigung.

Trump behauptet, China wolle unbedingt ein Abkommen. Tatsächlich bremst der Handelskrieg Chinas Wirtschaft, die so langsam wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr wächst. Dafür werden aber auch die hohe Überschuldung und strukturelle Probleme verantwortlich gemacht. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping ruft sein Milliardenvolk daher zu einem neuen «langen Marsch» auf. Er erwartet keine schnelle Lösung. «Wenn notwendig, werden wir zurückkämpfen, aber wir arbeiten aktiv daran, keinen Handelskrieg zu haben», sagte er im November.

Doch die Verhandlungen könnten auch noch aus Gründen scheitern, die eigentlich nichts mit Handel zu tun haben: Die vom US-Kongress verabschiedeten Gesetze zur Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong empören Peking. Auch die scharfe Kritik der US-Regierung an der Behandlung der Uiguren in der Provinz Xinjiang sieht Chinas Führung als unerwünschte Einmischung in innere Angelegenheiten. Das macht es für Xi schwieriger, den USA Zugeständnisse zu machen.

Neben den neuen Strafzöllen hat im laufenden Jahr vor allem die Androhung der US-Regierung, den chinesischen Telekomriesen Huawei mit umfassenden Sanktionen zu belegen, für Schockwellen gesorgt. Der Schritt hat chinesischen Unternehmen nach Ansicht von Experten ihre Verwundbarkeit gezeigt und dazu beigetragen, dass Firmen nun bemühen, sich von US-Zulieferern und Technologie abzukapseln. Gleichzeitig rührt Trump die Trommel, um US-Unternehmen dazu zu bewegen, Produktionsstätten in China zurück in die USA zu verlegen.

Die nächste Klippe galt es bereits am Sonntag zu umschiffen: Dann sollen eigentlich neue Strafzölle auf Konsumgüter wie Smartphones und Laptops aus China im Wert von rund 150 Milliarden US-Dollar in Kraft treten. Wegen der laufenden Verhandlungen erscheint ein neuer Aufschub wahrscheinlich - aber schon ein Tweet könnte alles wieder ändern. Sollten die Zölle in Kraft treten, würden damit erstmals auf fast alle aus China eingeführten Waren im Wert von rund 500 Milliarden Dollar zusätzliche Gebühren erhoben.

Trump hatte den Handelskrieg ursprünglich aus Verärgerung darüber angezettelt, dass China weit mehr in die USA exportiert als umgekehrt. Washington fordert von Peking nun unter anderem eine Marktöffnung, den Kampf gegen den Diebstahl von Urheberrechten und eine Verringerung staatlicher Subventionen.

China hofft, dass die USA beim Abschluss eines Teilabkommens die seit 2018 neu verhängten Strafzölle wieder abschaffen. Für Trump könnte das nach einem Einknicken aussehen; für China ist es aber nach Meinung von Experten eine rote Linie. «Wenn es eine Vereinbarung gibt, müssen die Strafzölle aufgehoben werden», sagt Huang Weiping, Wirtschaftsprofessor an der Volksuniversität in Peking. Die Verhandlungen würden daher sicher noch einige Zeit dauern, sagt er.

Während der Streit der beiden größten Volkswirtschaften andauert, leidet die Weltwirtschaft: Der Konflikt könnte die globale Wirtschaftsleistung 2020 um bis zu 700 Milliarden US-Dollar senken, warnt etwa der Internationale Währungsfonds (IWF). Das entspräche rund 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Summe setzt sich aus direkten und indirekten Kosten zusammen - wie etwa Vertrauensverlust, Unsicherheit, niedrigeren Investitionen und Marktreaktionen.

Als wäre das noch nicht genug, droht auch an einer weiteren Handelsfront Ungemach: Trump droht der Europäischen Union mit der Einführung von Sonderzöllen auf Auto-Importe. Eine Frist dazu ließ Trump im November verstreichen, doch Experten sind sich einig: Ganz vom Tisch ist die Drohung noch nicht. Falls es dazu käme, würde Brüssel auch neue Zölle verhängen. Das könnte wiederum Trump zu einem Vergeltungsschlag ermuntern - so könnte es zu einer gefährlichen Spirale kommen, ähnlich wie mit China. Hier steht sogar noch mehr auf dem Spiel: Die USA und die EU haben 2018 Waren und Dienstleistungen in Höhe von fast 1,3 Billionen US-Dollar ausgetauscht.

Der von Brüssel erhoffte Start von Verhandlungen zur Beilegung der Streitigkeiten scheint unterdessen in weite Ferne gerückt zu sein. Die USA blockieren den Start über ein Industriegüterabkommen, weil sie wollen, dass auch über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen geredet wird. Aus EU-Sicht ist dies jedoch derzeit ausgeschlossen, weil Länder wie Frankreich Einbußen für EU-Landwirte befürchten, sollten alle Einfuhrbeschränkungen wegfallen.

Im kommenden Jahr - im laufenden US-Wahlkampf - dürfte das alles noch schwieriger werden. «Die Bedrohung ist noch nicht weg, und wir sind uns dessen bewusst», sagte jüngst Cecilia Malmström, Handelskommissarin unter Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, zu den Autozöllen. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass Trump im Wahljahr einen Konflikt vom Zaun brechen würde, der auch die US-Wirtschaft und die Börse schwer treffen würde. Doch Gewissheit gibt es keine: Trump könnte das in Jahrzehnten etablierte System des Welthandels schon mit wenigen Tweets erneut auf den Kopf stellen.

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