Warum Italien sich schwer tut, Geld anzunehmen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (R) und der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte (L) bei einem Familienfoto während des Gipfels des Europäischen Rates in Brüssel. Foto: epa/Olivier Hoslet
Bundeskanzlerin Angela Merkel (R) und der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte (L) bei einem Familienfoto während des Gipfels des Europäischen Rates in Brüssel. Foto: epa/Olivier Hoslet

ROM: Billiges Geld oder Stigmatisierung? In Italien ist ein hitziger Streit darüber entbrannt, ob das Land Mittel aus der Corona-Kreditlinie des Euro-Rettungsschirms beantragen soll. Die Frage spaltet Contes Regierung. Jetzt trifft er sich mit Merkel.

Bis zu 36 Milliarden Euro an günstigen Krediten könnte das von der Corona-Krise gebeutelte und hoch verschuldete Italien vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bekommen. Doch ob das Land die in der Corona-Pandemie geschaffene Kreditlinie des ESM in Anspruch nehmen wird, ist völlig unklar - trotz eines drohenden Wirtschaftseinbruchs um mehr als zehn Prozent.

«Es ist eine ideologische Debatte geworden, die von der Realität entkoppelt ist», sagte Carlo Calenda, Chef der oppositionellen proeuropäischen Partei Azione. Populisten und Nationalisten sähen den ESM als «Trojanisches Pferd»: Die Gegner befürchten, dass Brüssel zu viel Kontrolle über Italien bekommt.

Den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte bringt das in eine unangenehme Situation: Denn die ESM-Gegner sitzen auch in seiner Regierung. Am Montag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel Conte auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung nördlich von Berlin. Bei dem Treffen dürfte auch das ESM-Problem zur Sprache kommen, das Conte Kopfschmerzen bereitet.

Denn der ESM hat in manchen politischen Lagern in Italien einen schlechten Ruf: Er wird dort mit der Sparpolitik verbunden, die während der Schuldenkrise in der Eurozone mit Hilfen aus dem Rettungsschirm einherging. Seit Mitte Mai stehen für die Eurostaaten 240 Milliarden Euro Kreditlinien aus dem ESM zum Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie bereit.

«Mit der neuen Kreditlinie kann der ESM keine Art von nachträglichen Sparmaßnahmen, Troika, Rentenkürzungen oder Kürzungen im öffentlichen Sektor durchsetzen», versicherte der Generalsekretär des ESM, Nicola Giammarioli, kürzlich in einem Interview der italienischen Zeitung «La Repubblica». Es sei nun eine völlig andere Situation: «Die einzige Bedingung, die erfüllt werden muss, ist, dass das Geld für das Gesundheitssystem verwendet werden muss», sagte er.

So manchen italienischen Politiker in Regierung und Opposition überzeugt das nicht. «Nicht ein einziges Komma» des ESM-Vertrages habe sich geändert, sagte etwa Alberto Bagnai, Senatsabgeordneter für die oppositionelle rechte Lega, der Deutschen Presse-Agentur. Jedes Gerede über die Bedingungslosigkeit der Kredite habe «keinen rechtlichen Wert». Er befürchtet: «Der ESM würde die Politik künftiger Regierungen stark beeinflussen.»

Piernicola Pedicini, Europaabgeordneter der mitregierenden populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ist ganz auf der Seite des Lega-Politikers. Seine Partei halte «diese verbalen Zusicherungen für unzureichend und auf jeden Fall nicht rechtlich bindend», sagte er der dpa. M5S und Lega hatten von 2018 bis 2019 gemeinsam regiert. Pedicini sprach ferner von einem «möglichen Stigmatisierungseffekt», wenn Italien demütig zum ESM gehe, was seine Kreditkosten in die Höhe treibe und seine finanziellen Schwierigkeiten verschlimmere.

In Contes Regierung sitzen neben den ESM-Gegnern von der Fünf-Sterne-Bewegung auch die proeuropäischen Sozialdemokraten (Partito Democratico, PD), die den ESM befürworten. Das Pro-ESM-Lager vertraut auf den politischen Zusicherungen der Europäischen Kommission und anderer über die weicheren Bedingungen des ESM und weist auf den Kostenvorteil der Kredite hin.

Die Ökonomen Fabrizio Pagani und Fabio Pammolli rechnen in der italienischen Zeitung «Il Foglio» vor, dass Italien 0,08 Prozent Zinsen für ein zehnjähriges ESM-Darlehen zahlen würde, während die Rendite seiner zehnjährigen Anleihen 1,6 Prozent betrage. Wenn man sich also auf ESM-Kredite statt auf reguläre Anleiheemissionen verlasse, würde das Land in einem Jahrzehnt 5,8 Milliarden Euro sparen, schätzen die beiden Ökonomen.

Lega-Chef Matteo Salvini schlug vor, es wäre besser, die Italiener dazu zu bringen, Staatsanleihen zu kaufen, statt auf EU-Institutionen zu vertrauen - selbst wenn das die teurere Option wäre. Bei Twitter schrieb er: «Ich vertraue Italienern. Ich vertraue - bei allem gebotenen Respekt - nicht der europäischen Bürokratie. ESM? Geld, das mit Zinsen zurückgezahlt werden muss, zu Bedingungen, die von anderen diktiert werden.»

Wolfgango Piccoli vom Beratungsinstitut Teneo sagte, er sehe keinen Grund, auf die Hilfe des ESM zu verzichten. «Das wäre, als würfe man fünf Milliarden Euro weg.» Seiner Einschätzung nach werde sich Conte schlussendlich darauf einlassen. Er werde dabei alle möglichen politischen Manöver anwenden, um die Entscheidung der widerspenstigen Fünf-Sterne-Bewegung so schmackhaft wie möglich zu machen. Eine schnelle Entscheidung erwartet er aber nicht: «Wenn man bedenkt, dass das Hauptziel dieser Regierung darin besteht, so lange wie möglich an der Macht zu bleiben», werde sie versuchen, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

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