Trauma, Schmerz, für immer eine Lücke

30. Mai: «Totgerast»

Foto: Jan Müller/Zdf/dpa
Foto: Jan Müller/Zdf/dpa

BERLIN: Antonia ist 16 Jahre alt, als ein Auto in den Wagen ihrer Familie rast. Antonias Mutter, ihr Vater und ihre ältere Schwester sterben, zudem drei Menschen im Auto des Unfallfahrers. Auch acht Jahre später erinnert sich die junge Frau immer wieder an den Unfall, noch immer kommen Flashbacks hoch. Und natürlich fehlen ihr die Opfer. «Ich vermisse meine Familie sehr, sehr regelmäßig», erzählt Antonia in der «37 Grad»-Reportage «Totgerast - Wie Angehörige weiterleben», die am Dienstag um 22.15 Uhr im ZDF läuft.

Nur der Unfallverursacher und Antonia überlebten 2014. Der jungen Frau ist es wichtig, bei den Prozesstagen vor Ort zu sein - obwohl der Unfall und damit der Prozess in Namibia stattfinden, Tausende Kilometer von ihrer Heimatstadt Berlin entfernt. Kreuze und bemalte Steine erinnern an die Toten und mahnen Vorbeifahrende. Dass der Mann, der damals mit seinem Wagen zu schnell in der Wüste unterwegs war, nicht über den tödlichen Unfall spricht und trotz der Anklage weiter Auto fährt, ist für sie schwer zu ertragen.

Der Film von Thomas Riedel, der zur Reihe «37 Grad» gehört, zeigt sensibel zwei Schicksale hinter den Verkehrsstatistiken und Medienberichten über einzelne Unglücke. Denn was Antonia erlebt hat, ist bei weitem kein Einzelfall: 2782 Menschen starben 2022 allein bei Unfällen auf deutschen Straßen, rund 358.000 Leute wurden verletzt.

Die knapp 30-minütige Sendung verschafft Antonia und Steffen - auch er ein Hinterbliebener - Gehör und begleitet sie ein Stück weit. Der Schmerz, der zu erahnen ist, berührt, ohne dass man als Publikum den Eindruck hat, unangemessen in intimste Bereiche vorzudringen. Neben Mitgefühl bleibt die Hochachtung davor, wie die zwei ihren Weg gehen.

Dabei geht es auch darum: wie schwierig für sie und ihr Umfeld der Umgang mit dem Trauma ist. Antonia erzählt, sie habe damals ihre Mitschüler und Freunde nicht überfordern wollen, ihre Gefühle lieber versteckt und nach außen fröhlich gewirkt. «Dann habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass das gerade in den ersten Zeiten für viele auch schwierig war einzuordnen. Eine Freundin meinte zu mir, es wäre einfacher, hätte ich einfach mal geweint.» Sie wünscht sich, dass die Leute sich trauen, mit ihr zu reden.

Steffen hat die Erfahrung gemacht, dass Viele nicht mit seiner Situation zurechtkommen. Er hat seine Frau und kleinen Sohn verloren, als ein Auto in der Pfalz mit überhöhter Geschwindigkeit in den Wagen der Familie fuhr. Auch eine Freundin der Familie verunglückte tödlich. Nur seine kleine Tochter Nora, damals gerade einmal einen Monat alt, überlebte den Unfall. «In dem Moment war wichtig: Die Kleine ist im Krankenhaus, die Kleine ist alleine, die Kleine braucht jemanden.» Ihr soll es trotz des Todes der Mutter gut gehen.

Er selbst versucht, zu begreifen, alles über den Unfall zu erfahren. Das Wrack bewahrt er auf, falls es vor Gericht als Beweismittel benötigt werden sollte. Nüchtern beschreibt der 37-Jährige heute den Unfallablauf und zeigt am Wrack, wer wo saß. An der Unfallstelle hat er Kreuze aufgestellt, mit Fotos der Toten und einem Kuscheltier - zur Erinnerung und als Mahnung an die Vorbeifahrenden.

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