Trauer um Kofi Annan

Kofi Annan ist tot. Foto: epa/Martial Trezzini
Kofi Annan ist tot. Foto: epa/Martial Trezzini

GENF (dpa) - Kofi Annan war Moralist, Realist und führte die Weltgemeinschaft mit ruhiger Hand. Ruanda und Srebrenica bleiben unglückliche Kapitel seiner langen, von vielen Erfolgen gekrönten UN-Karriere. Aber als Generalsekretär setzte der Ghanaer über ein Jahrzehnt Optimismus gegen globale Ängste.

Wie kein zweiter war Kofi Annan das personifizierte Weltgewissen. Der integre Diplomat aus Ghana hat sein Ansehen als moralische Autorität geschickt eingesetzt, um als UN-Generalsekretär globale Probleme wie die Aids-Epidemie und Terrorismus anzupacken. Als erster UN-Chef hatte er sich in der Verwaltungshierarchie der Weltorganisation hochgearbeitet und war zudem der erste Amtsinhaber aus den Staaten Afrikas südlich der Sahara. Nun ist Annan im Alter von 80 Jahren gestorben.

In den höchsten Etagen der Vereinten Nationen hinterließ Annan ab 1987 als stellvertretender Generalsekretär seine Handschrift, bald auch als Chef der Abteilung für Friedenserhaltende Einsätze (DPKO). Mit dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 ereilte ihn dort eines der dunkelsten Kapitel seiner UN-Karriere. Spannungen zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi führten zum Tod von 800.000 bis einer Million Menschen und Annan brauchte zehn Jahre, um in einem BBC-Interview und später in seinen Memoiren zumindest einen Teil der Verantwortung für den Fehlschlag der Friedensbemühungen zu übernehmen.

Denn der Alarmruf aus dem bitterarmen Staat in Ostafrika hätte lauter nicht sein können: Der kanadische General Romeo Dallaire, damals Oberkommandierender der Blauhelme in Ruanda, hatte vor der Vernichtung der Tutsi-Minderheit gewarnt. Aber Annan stoppte einen von Dallaire geplanten Angriff auf ein Waffenlager, das für den Massenmord genutzt werden sollte, und verwies die Sache auch nicht an den UN-Sicherheitsrat. Annans späteres «Bedauern» und die Aussage, die «internationale Gemeinschaft» - nicht er selbst - habe versagt, kam als Aufarbeitung des Blutbads vergleichsweise schwach daher.

Auch das Massaker an 8.000 Muslimen in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 - das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg - lastete mit auf Annans Schultern. Dass niederländische Blauhelme das Gemetzel wohl hätten verhindern können, ließ das «Peacekeeping» auf einen neuen Tiefstand fallen. Beide Tragödien verfolgten Annan auch nach seinem Antritt als UN-Generalsekretär im Jahr 1997. Die von ihm angeordneten Untersuchungsberichte fanden deutliche Kritik am Vorgehen der UN in beiden Fällen.

Als Nachfolger des Ägypters Butros Butros-Ghali führte Annan als UN-Chef die Weltgemeinschaft mit ruhiger Hand durch zehn wechselhafte Jahre. In einer großangelegten Kampagne sagte er dem HI-Virus und der Aids-Epidemie den Kampf an. Für seinen Weltfonds Global Fund, mit dem auch Tuberkulose und Malaria ausgemerzt werden sollen, holte er den Microsoft-Gründer Bill Gates und später auch den U2-Sänger Bono und die damalige französische First Lady Carla Bruni-Sarkozy ins Boot.

Annan paarte als UN-Chef Realismus mit moralischer Führungsstärke und nutzte sein Verhandlungsgeschick, um die UN-Staaten bei globalen Fragen wie der Erderwärmung, Armut, Drogen und Terrorismus aus ihrer nationalen Reserve zu locken. Er kam als bescheidener Spitzendiplomat daher. Als er und die Vereinten Nationen 2001 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, bezeichnete ihn das «Time»-Magazin als womöglich «beliebtesten politischen Power-Player weltweit». Nach Worten des Nobelpreis-Komitees war er zu dieser Zeit der «führende Diplomat Afrikas». Bemerkenswert war Annans offene Kritik an den USA für deren Invasion des Iraks im Jahr 2003.

Aber auch die Jahre, in denen Annan vom obersten Stockwerk des UN-Hauptquartiers in New York dirigierte, hatten ihre Schattenseiten. Ein Beispiel ist die Umsetzung des Programms «Oil For Food», das dem Irak den Ölhandel trotz bestehender Sanktionen teilweise erlaubt, um Lebensmittel und andere Güter für die Bevölkerung zu kaufen. Der Diktator Saddam Hussein konnte das Programm laut einer CIA-Studie missbrauchen, um durch Schmiergelder, Zuschläge und Ölschmuggel rund 12,6 Milliarden Dollar zu verdienen. Das Fehlverhalten von UN-Mitarbeitern plagten das Programm mit.

Annans Vorname ist in Ghana keine Seltenheit, denn Kofi bedeutet in der örtlichen Sprache Akan schlicht «Freitag». Kofi Atta Annan wurde am 8. April 1938 - einem Freitag - in Kumasi geboren, als sein westafrikanisches Heimatland noch die britische Kolonie Goldküste war. Er war der Spross einer prominenten Familie: Seine Großväter und ein Onkel waren Stammesführer der Volksgruppe der Fante, sein Vater ein erfolgreicher Manager.

Annan wuchs in den Jahren der ghanaischen Unabhängigkeitsbewegung auf, was ihn sehr prägte. Ab 1958 studierte er in Ghana - ein Privileg, das nur wenigen Einheimischen zugängig war -, bevor er mit Hilfe eines Stipendiums in die USA und später nach Genf wechselte.

Schon 1962 begann er seine Karriere als Beamter bei den Vereinten Nation in Genf. Es folgten Stationen unter anderem in Äthiopien, Ägypten und New York, bevor er am Massachusetts Institute of Technology einen Master in Wirtschaftsstudien ablegte. 1974 verließ er die UN und ging für zwei Jahre zurück nach Ghana - doch es hielt ihn nicht in der Heimat. Annan wechselte zum UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) nach Genf, später folgten Positionen in New York, wo er ab 1986 zur Führung gehörte.

Nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit als UN-Chef gab es in Ghana Spekulationen, ob er als Präsidentschaftskandidat antreten würde. Obwohl er keine nennenswerte Parteibasis hatte, rechneten Beobachter ihm Chancen zu, denn die Ghanaer waren stolz auf «ihren Sohn», den Weltenlenker. Annan selbst zog es wohl nicht ernsthaft in Erwägung. Als Wohnsitze behielt er New York und Genf.

In der Schweiz gründete er 2007 auch die Kofi Annan Stiftung, die sich für die Förderung von Demokratie und Vermittlung in Krisenlagen einsetzt. Er machte sich auch für eine Modernisierung der Landwirtschaft in Afrika als Schlüssel zu einer besseren Zukunft stark. Obwohl er als Erwachsener nie für eine längere Zeit nach Ghana zurückgegangen war, schlug sein Herz auch immer für die Heimat.

Besonders deutliche Worte fand er dabei nach dem Ende seiner Amtszeit: Zu viele Politiker in Afrika hätten sich persönlich bereichert «und an ihrem Amt auch lange nach dem Ende ihres Mandates festgehalten». Annan meinte, Afrikas Wachstum könne sich verdoppeln und die Armut könne drastisch reduziert werden, wenn sich endlich die Regierungsführung verbessern würde. «Eine der Folgen der schlechten Führung ist weit verbreitete Korruption», konstatierte er 2015.

Annan hat aus einer 1970 geschiedenen Ehe mit der Nigerianerin Titi Alakija zwei Kinder. Seine zweite Frau, Nane Maria Lagergren, hat eine Tochter aus einer früheren Ehe.

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