Tollkühne Männer in fliegenden Kisten: Lebensretter in den Dolomiten

Foto: epa/Wikipedia
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PONTIVES: Die Rettungskräfte von Aiut Alpin Dolomites genießen Kultstatus. Oft müssen die Südtiroler an ihre Grenzen gehen, um verunglückte Bergsteiger, Wanderer oder Skifahrer aus schwierigem Gelände zu bergen. In diesem Jahr wurden sie 30 Jahre alt.

Wenn ein roter Hubschrauber die Täler der Dolomiten überfliegt, geht es nicht selten um Leben oder Tod. «Man muss keinen groben Fehler begehen, um in den Bergen zu verunglücken», sagt Adam Holzknecht.

Der 53 Jahre alte Bergführer aus St. Ulrich in Südtirol ist Präsident des gemeinnützigen Vereins Aiut Alpin Dolomites und kennt das zerklüftete Gebirge genau. Das hilft ihm bei Rettungseinsätzen mit dem Aiut-Helikopter. Wenn es gilt, Verletzte aus unwegsamen Terrain zu retten und keine Zeit zu verlieren, weil Verunglückte zu verbluten oder zu erfrieren drohen. Manchmal verlieren aber auch die Lebensretter den Kampf ums Leben.

So wie vor fast 30 Jahren, als Holzknecht zu einem seiner ersten Einsätze ausrückte. Ein Vater war mit seiner etwa 15 Jahre alten Tochter von einer Klettertour an der Fünffingerspitze (2996 Meter) nicht zurückgekehrt. Die Suche brachte bald Gewissheit. Beide waren abgestürzt. Als der Helikopter am Ort der Tragödie eintraf, war den Rettern sofort klar, dass sie nicht mehr helfen konnten.

Bei dem Deutschen Torsten Lessig aus Dresden kamen die Bergretter im August 1993 an der Fünffingerspitze gerade noch rechtzeitig. Der heute 55-Jährige stürzte damals etwa 15 Meter im freien Fall ab und verletzte sich schwer. «Ein Fuß wirkte wie abgerissen. Ich sah einen Knochen und pulsierendes Blut. Da war mir klar, dass eine Arterie betroffen war und die Zeit läuft», erinnert sich der frühere Lehrer an das Drama.

Lessig blieb bei Bewusstsein, durch den Schock empfand er keinen Schmerz. Deshalb kann er sich gut an die Rettung erinnern. «Bei der Armee war ich in einem Hubschraubergeschwader und wusste, was ein Hubschrauber kann und wann es gefährlich wird.» Der Heli sei schräg an die Wand herangeflogen und zwei Retter über die Kufen ausgestiegen - als wäre es das Normalste der Welt: «Mich hat beeindruckt, wie nah er an die Wand herankam. Da fehlte nicht mehr viel.»

Marco Kostner ist fast drei Jahrzehnte für Aiut Alpin geflogen. «Da ich selbst Bergsteiger war, fiel mir als Pilot die Nähe zum Berg leichter.» In den Bergen zu fliegen, sei anders, sagt der 61-Jährige: «Hier ist die Luft immer in Bewegung. Man hat nicht nur eine Windrichtung, sondern alle. Der Wind kann auf jeder Höhe anders sein, auch von unten oder oben kommen.» Die größte Gefahr sei aber der Nebel. Da müsse man sich immer ein Fenster offenhalten, wo man sicher landen oder sich in der Luft festhalten kann, berichtet der Pilot.

Holzknecht sieht manche Einsätze durchaus als Gratwanderung: «Routine ist gut, wenn sie zu Sicherheit führt. Routine kann gefährlich sein, wenn sie Automatismen zur Folge hat. Denn jeder Einsatz ist anders.» Jeder im Team müsse die ihm zugeteilten Aufgaben autonom erledigen und zugleich auf das Zusammenspiel achten.

Zur Besatzung gehört neben dem Piloten, dem Arzt und Bergretter noch der Windenmann. Er bedient die Seilwinde und koordiniert den Einsatz. Nach Erhalt des Notrufes soll der Hubschrauber binnen zwei Minuten startklar sein.

Seit 30 Jahren ist Aiut Alpin Dolomites Teil der Luftrettung in Südtirols. Die Statistik ist ein Beleg dafür, wie sehr der Verein gebraucht wird - nicht nur von Bergsteigern oder Wanderern. Auch Skifahrern, verletzten Forstleuten oder Unfallopfern im Straßenverkehr wird per Hubschrauber oder zu ebener Erde geholfen. Allein für die Wintersaison 2020 stehen 475 Einsätze zu Buche, 16 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden. Nach Italienern (274) kamen die meisten Einsätze Deutschen (99) zu Gute.

Holzapfel glaubt nicht, dass die Risikobereitschaft von Bergsteigern oder Wandersleuten im Lauf der Jahre wuchs. Ein Problem sieht er dennoch: «Die Leute nehmen sich immer weniger Zeit für eine Tour. Im 19. Jahrhundert hat man sich für die Besteigung des Ortler eine Woche Zeit gelassen und sich erstmal akklimatisiert. Heute wollen das die meisten an einem Tag erledigen.» Viele erlitten in den Bergen auch einen Herzinfarkt. «Man muss nicht abstürzen, um tödlich zu verunglücken», sagt Holzknecht und rät zu ausreichender Vorbereitung.

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